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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hier flammte es fast leidenschaftlich auf in seinem Auge, „ich pflege den Genius unbedingt zu bewundern.“

„Eine höchst poetische Art der Kritik,“ spottete Welding. „Wenn Sie das unserer schönen Signora persönlich und in diesem Tonfalle wiederholen, so kann ich Sie im Voraus ihrer vollsten Gnade versichern. Uebrigens bin auch ich diesmal in der angenehmen Lage, ihr in dem morgen erscheinenden Artikel sagen zu können, daß sie in der That ein Talent ersten Ranges ist, daß ihre Fehler und Mängel nur die der Anfängerin sind, und daß es allein in ihrer Hand liegt, dereinst eine musikalische Größe zu werden. Für den Augenblick ist sie es noch nicht.“

„Nun, das ist vorläufig genug des Lobes in Ihrem Munde,“ sagte der Consul. „Aber ich denke, wir brechen jetzt auf. Die Glanzpartie der Biancona ist zu Ende; der letzte Act bietet ihrer Rolle fast gar nichts, kaum daß sie noch einmal auf der Bühne erscheint, und uns ruft die Pflicht der Wirthe an unserem heutigen Empfangsabende. Darf ich Ihnen einen Platz in unserem Wagen anbieten, Doctor? Ihre kritische Pflicht ist ja wohl gleichfalls zu Ende, und Sie, lieber Almbach, begleiten Sie uns auch, oder wollen Sie den Schluß abwarten?“

Der junge Mann hatte sich ebenfalls erhoben. „Wenn Sie und die gnädige Frau es gestatten – die Oper ist mir noch fremd, ich würde gern –“

„Nun, dann bleiben Sie ohne Umstände!“ unterbrach ihn Jener freundlich. „Aber sein Sie pünktlich heute Abend! Wir rechnen bestimmt auf Ihr Kommen.“

Er reichte seiner Frau den Arm, um sie hinauszuführen. Doctor Welding begleitete die Beiden.

„Wie können Sie nur glauben,“ spottete er draußen auf dem Corridore, „Ihr junger Gast würde vom Platze weichen, so lange die Biancona noch einen Ton zu singen hat, oder er würde es sich nehmen lassen, mit unserer übrigen Herrenwelt an ihrem Wagen Spalier zu bilden! Die schönen Augen der Signora haben schon manches Unheil angerichtet – der hat Feuer gefangen, ärger als alle Uebrigen.“

„Das wollen wir doch nicht hoffen,“ sagte die Dame mit einem leisen Anfluge von Besorgniß in ihrer Stimme. „Was würden dazu die Schwiegereltern und vor Allem die junge Frau sagen?“

„Ist Herr Almbach bereits verheirathet?“ fragte Welding überrascht.

„Schon seit zwei Jahren,“ bestätigte der Consul. „Er ist der Neffe und Schwiegersohn meines Geschäftsfreundes. Die Firma ist Almbach und Compagnie, kein sehr bedeutendes Haus, aber höchst solid und respectabel. Uebrigens thun Sie dem jungen Manne doch wohl Unrecht mit Ihrem Verdachte. In solchen Jahren ist man leicht hingerissen, besonders wenn einem der Kunstgenuß so selten zu Theil wird, wie es gerade hier der Fall ist. Unter uns gesagt, Almbach hegt in solchen Dingen etwas spießbürgerliche Ansichten und hat seinen Schwiegersohn scharf im Zügel. Er wird schon dafür sorgen, daß das Unheil, das jene Augen etwa anrichten könnten, seinem Hause fern bleibt; darauf kenne ich ihn.“

„Um so besser für ihn!“ sagte der Doctor lakonisch, während er neben dem Ehepaare im Wagen Platz nahm, der die Richtung nach dem Hafen einschlug, wo die Paläste der reichen Handelsherren liegen.

Eine Stunde darauf war in den Salons des Kaufmannes eine zahlreiche Gesellschaft versammelt. Consul Erlau gehörte zu den reichsten und angesehensten Handelsherren der reichen Handelsstadt, und wenn schon dieser Umstand hinreichend war, ihm dort eine unbestrittene Bedeutung zu sichern, so setzte er andererseits eine Ehre darein, sein glänzendes und gastfreies Haus als das erste in H. genannt zu sehen. Seine Empfangsabende vereinigten gewöhnlich Alles, was die Stadt an Capacitäten überhaupt zu bieten hatte. Es gab nicht leicht eine Berühmtheit, die sich nicht wenigstens einige Male dort zeigte, und auch der Stern der gegenwärtigen Saison, die Primadonna der augenblicklich hier gastirenden italienischen Operngesellschaft, Signora Biancona, hatte der an sie ergangenen Einladung Folge geleistet, und war nach Beendigung der Oper erschienen.

Die junge Künstlerin bildete nach ihrem heutigen Triumphe im Theater natürlich den Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft. Von den Herren mit Huldigungen aller Art bestürmt, von den Damen mit Artigkeiten überhäuft, von dem Wirthe und seiner Gattin mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit ausgezeichnet, vermochte sie sich kaum zu retten vor dem Strome der Bewunderung, der ihr von allen Seiten entgegenfluthete und der vielleicht in ebenso hohem Maße der Schönheit als der Kunst galt.

Hier fand sich freilich beides vereinigt. Auch ohne ihr so hoch gefeiertes Talent wäre Signora Biancona schwerlich in den Fall gekommen, irgendwo übersehen zu werden. Sie war eine von jenen Frauen, die überall, wo sie nur erscheinen, Auge und Sinn zu fesseln und in einer oft gefährlichen Weise festzuhalten wissen, deren bestrickender Reiz nicht allein in ihrer Schönheit liegt, sondern weit mehr noch in dem seltsamen, fast dämonischen Zauber, den gewisse Naturen ausüben, ohne daß man sich Rechenschaft zu geben vermag, woher er stammt. Es lag wie ein Hauch des glühenden farbenreichen Südens über dieser Erscheinung, die sich mit ihrem dunklen Haar und Teint, mit den großen tiefschwarzen Augen, aus denen ein so volles heißes Leben strahlte, fremdartig genug ausnahm in dieser nordischen Umgebung. Ihre Art zu sprechen, sich zu bewegen, war vielleicht lebhafter und zwangloser, als es die strengen Formen der Convenienz verlangten, aber das Feuer eines südlichen Naturells, das bei jeder Regung unwillkürlich hervorbrach, war von hinreißender Grazie. Der leichte idealische Anzug schloß sich wenig der herrschenden Mode an, aber er schien wie eigens erfunden, um die Vorzüge dieser Gestalt in das hellste Licht zu setzen, und behauptete sich siegreich neben der ringsum entfalteten Toilettenpracht der übrigen Damen. Die junge Italienerin war eben ein Wesen, das über all den Schranken und Formen des Alltagslebens zu stehen schien, und es gab wohl Keinen in der Gesellschaft, der ihr diese Ausnahme nicht bereitwillig zugestand.

Auch Almbach hatte sich nach dem Schlusse des Theaters eingefunden, aber er war völlig fremd in diesem Kreise und schien es auch zu bleiben, trotz der wohlgemeinten Versuche des Consuls, ihn mit Diesem oder Jenem bekannt zu machen. Sie scheiterten, theils an der fast düsteren Schweigsamkeit des jungen Mannes, theils an dem Benehmen der Herren, denen er vorgestellt wurde, und die, fast durchweg den höheren Börsen- oder Finanzkreisen angehörig, es nicht der Mühe werth hielten, mit dem Vertreter eines kleinen Geschäftshauses viel Umstände zu machen. Augenblicklich stand er ganz isolirt am unteren Ende des Saales und blickte scheinbar gleichgültig auf das glänzende Gewühl, aber die Augen kehrten immer wieder zu dem einen Punkte zurück, der heute Abend der Magnet für die gesammte Herrenwelt zu sein schien.

„Nun, Herr Almbach, Sie machen ja gar keinen Versuch, sich dem eigentlichen Sonnenkreise des Salons zu nähern,“ sagte Doctor Welding, an ihn herantretend. „Soll ich Sie dort einführen?“

Eine leichte Röthe der Verlegenheit darüber, daß man seinen geheimen Wunsch errieth, färbte das Antlitz des jungen Mannes.

„Signora Biancona wird von allen Seiten so in Anspruch genommen, daß ich es nicht wagte, sie auch noch zu belästigen.“

Welding lachte. „Ja, die Herren scheinen sich sämmtlich Ihrer kritischen Methode anzuschließen und gleichfalls ‚den Genius unbedingt zu bewundern‘. Nun, die Kunst hat ja das Vorrecht, Jedem Begeisterung einzuflößen. Kommen Sie! Ich werde Sie der Signora vorstellen.“

Sie schritten nach der anderen Seite des Saales, wo sich die junge Italienerin befand, aber es kostete ihnen wirklich einige Mühe, den Kreis der Bewunderer zu durchbrechen, der den gefeierten Gast umgab, und sich diesem zu nähern. Der Doctor übernahm die Vorstellung; er nannte seinen Begleiter, der heute zum ersten Male das Glück gehabt habe, Signora auf der Bühne bewundern zu dürfen, und überließ es ihm dann, sich allein im „Sonnenkreise“ zurecht zu finden. Die Bezeichnung war nicht so übel gewählt; es lag wirklich etwas von der sengenden Gluth dieses Gestirns auf seiner Mittagshöhe in dem Blicke, der sich jetzt auf Almbach richtete.

„Also auch Sie waren heute Abend im Theater?“ fragte die Sängerin leicht.

„Ja, Signora.“

Die Antwort klang kurz und düster. Kein Wort weiter, keins von jenen Complimenten, deren die Künstlerin heute bereits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_364.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2017)