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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

anderer früh nistender Vögel zerreißt und die Baustoffe seiner Höhle zuträgt. Seine Kühnheit geht sogar so weit, daß er die nackten Jungen kleiner Vögel raubt, um seine eigenen flüggen Nestlinge damit zu füttern. Wir Brüder haben eine derartige Beobachtung in unserem Buche über nützliche und schädliche Thiere als eine von uns erforschte neue Thatsache bereits zur allgemeinen Kenntniß gebracht. Die mehrfachen Eingriffe eines Kukukweibchens in das Eheleben einer Menge insectenvertilgender Vögel sind keineswegs als unbedeutend zu betrachten. Es wird indessen der durch die Zerstörung der fremden Bruten zu Gunsten der untergeschobenen Leibesfrucht von diesem Vogel verursachte Schaden insofern ausgeglichen, als die Nützlichkeit der Kukuke als unersättlicher Raupenfresser zweifellos feststeht. Uebrigens ist es nach den Beobachtungen meines Bruders Adolf sehr wahrscheinlich, daß gar manche Nester von Kleinvögeln von dem Kukuke aus Raubsucht ihrer Brut beraubt werden, da der Kukuk Eier und selbst Nestlinge nicht verschmäht.

Wer kennt nicht die entschiedene Neigung unserer Katzen, der Brut der Kleinvögel auf die Spur zu kommen?

Weit gehen oft erfahrungsmäßige Klugheit und Sicherheitsmaßregeln der hartnäckig gestörten Paare. Ich habe gesehen, daß ein gelber Spötter seinem angeborenen Triebe zuwider das Gebüsch mit der Krone eines hohen, einzeln stehenden Zwetschenbaumes zur Anlage seines Kunstbaues, eine graue Grasmücke die Gartenhecke mit einem hochragenden Zweige einer Linde der Allee zur Sicherung ihres dünnen Halmennestes vertauschte. Marder, Iltis, großes und kleines Wiesel entdecken und zerstören auf der Erde sowohl wie in Löchern, Höhlen und auf Zweigen auf ihren Raubzügen viele Vogelnester; auch der Igel ist hierbei nicht auszunehmen.

Die große Haselmaus usurpirt manches Drossel- und Amselnest, Eier oder Junge verzehrend und die Wohnung ihren eigenen Bedürfnissen gemäß für sich einrichtend. Aber auch in die Mauerspalten und Baumhöhlen dringt sie ein und zerstört mörderisch die Brut der Höhlenbrüter. Wasser- und Landspitzmäuse gelangen auf ihren Raubzügen zu Lande an die Nester der Rothkehlchen, Fitise, Buchenlaubvögelchen und Bachstelzen, gierig über den Inhalt herfallend. Auf das Pfeifen der Spitzmäuse und das erregte Gebahren eines Rothkehlchenpaares hinzugeeilt, fand ich in dem Neste der Vögelchen zwei sich wüthend bekämpfende Spitzmäuse mitten unter nackten, bereits mißhandelten jungen Vögelchen. Selbst einen Maulwurf sah ich im Sommer ein halb flügges Fitischen (Laubvögelchen) aus dem Neste zerren und seinem daneben geöffneten unterirdischen Gange zuschieben, indem er sich weder um das Geschrei des Opfers, noch um das verzweiflungsvolle Flattern und Klagen der alten Vögel kümmerte. Im Walde zerstört das Eichhörnchen weit mehr Vogelnester, als der Uneingeweihte sich denken mag; ihm sind Eier und nackte Vögelchen wahre Leckerbissen.

Eine weniger in die Wagschale fallende Ursache der Nestzerstörung ist der Kampf der verschiedenen und gleichartigen Vogelpaare um den Besitz eines geeigneten Nistplatzes. Der Sperling verdrängt die Schwalbe und schleudert Eier und nackte Schwälbchen aus der Lehmwohnung. Der Mauersegler verfährt mit dem Sperlingspaare in derselben rücksichtslosen Weise, um in der Mauerspalte geeigneten Platz zur Wiege seiner Nachkommenschaft zu gewinnen. Männliche Blaumeisen unternehmen zu diesem Zwecke untereinander Kämpfe, die nicht selten mit dem Tode des unterliegenden Theiles endigen. Es ist eben wiederum der Kampf um das Dasein, der sich durch die Schöpfung in tausend und aber tausend Erscheinungen und Formen unter der Macht mannigfaltiger Veranlassungen und der Anziehungskraft der Ziele und Zwecke hindurchzieht und so viele harmlos glückliche Verbindungen, so viele Werke friedlichen Stilllebens, so viele Bilder ergreifender Fürsorge und Pflege, so viele Keime und Grundlagen neuer Generationen vernichtet. Auf die Selbstsucht des Individuums führen uns diese Auftritte alle zurück, und doch nehmen wir zugleich zu unserer Aussöhnung nicht blos an den Thaten der gebildeten Vernunftwesen, sondern auch an der Naturanlage tiefer stehender Geschöpfe den edlen, rührenden Zug der Opferfähigkeit und der Hingebung an das Leben der Gemeinschaft wahr.

Karl Müller.




Deutscher Kuli-Handel.


Die Ueberschrift des nachstehenden Artikels scheint gewählt zu sein, um Sensation zu verursachen, ist aber leider der nur allzu treffende Ausdruck für einen Menschenschacher, der während der letzten Jahre unter dem Aushängeschilde „Auswanderung nach Brasilien“ in unserem Vaterlande schwunghaft betrieben worden ist. Es ist in der Presse schon mehrfach vor einer Auswanderung nach Brasilien gewarnt, ohne daß jedoch selbst der größte Schwarzseher eine Ahnung davon gehabt haben kann, gegen welche Fülle von Gewissenlosigkeit auf der einen und Unglück auf der andern Seite er seine Feder erhebe.

Anfang Mai dieses Jahres kam das Schiff Polyxena mit circa hundert Angehörigen des deutschen Reiches aus Brasilien zurück. Diese im traurigsten Zustande befindlichen Unglücklichen bildeten die erste Sendung von Auswanderern, welche die brasilianische Regierung auf die energischen Vorstellungen der deutschen Reichsregierung für ihre Kosten in die Heimath befördert.

Was diese Menschen erduldet haben, übersteigt geradezu alles Maß. Die Beschreibung des von ihnen erlittenen Elends kann als Warnung vor weiterer Auswanderung nach Brasilien nicht weit genug verbreitet werden. Die Geschichte ihres Unglücks ist ungefähr die folgende.

Vor etwa zwei Jahren entstand in Westpreußen, besonders in der Nähe von Stargard, unter der zumeist polnisch redenden Bevölkerung plötzlich das Gerücht, die Auswanderung nach Nordamerika sei ganz verfehlt, aber in Brasilien seien goldene Berge zu erwerben. Zuvörderst traute natürlich der dort wie überall mißtrauische Bauer nicht dem allenthalben entstehenden Gerüchte. Aber es erschienen gedruckte Prospecte und in allen Kneipen wurden dieselben vorgelesen; der Eine erzählte dem andern von den Wunderdingen, die darin ständen; bald hieß es hier und da, der Bauer X. und der Arbeiter Z. hätten bereits ihre Habe verkauft, um nach Brasilien zu reisen, und schließlich ergriff ein solcher Rausch die Köpfe, daß Jeder Hab’ und Gut um den halben, ja um den vierten Theil des Werthes verkaufte, um nur recht rasch das transoceanische Eldorado zu erreichen.

Was stand nun in den Prospecten, das so die nüchternen Phantasien ergriff? Man höre!

„Die brasilianische Colonie Santa Leopoldina – oder die brasilianische Colonie Moniz, wofür ein anderes Haus arbeitete – liegt in einer höchst gesunden Gegend; die Hitze ist wenig höher, als in Deutschland, die Kälte nie größer als acht Grad Réaumur. Jedes deutsche Getreide und Gemüse (natürlich auch Kartoffeln) wächst daselbst im Ueberfluß; Fieber und Ruhren sind fast unbekannt; Arzt und Apotheker werden zwar eigentlich nie gebraucht, sind aber doch unentgeltlich für die Colonisten zu haben. Für Schulen und Kirchen ist auf’s Beste gesorgt, auch für Wohnung. Die brasilianische Regierung unterstützt jeden Einwanderer dreiviertel Jahre lang und liefert unentgeltlich oder doch für wenige Silbergroschen bebautes und in unbeschränkter Menge unbebautes Land. Viele Einwanderer, welche ganz mittellos angekommen sind, haben in wenigen Jahren sich einen bedeutenden Wohlstand verschafft. Und alle diese Herrlichkeiten sind zu haben, wenn man mir für den Kopf siebenzehn Thaler Passagegeld bezahlt.“

Soweit der Prospect, unterschrieben Louis Knorr und Compagnie in Hamburg oder, falls man nach Moniz auswandern will, L. Hermes in Antwerpen.

Ja, die beiden Geschäftsinhaber gehen noch weiter. Wer per Kopf die fraglichen siebenzehn Thaler bezahlen kann, nun gut, der bezahlt sie; wer dies aber nicht kann, der bezahlt weniger, nämlich per Kopf nur fünf Thaler oder gar nur zwei und einen halben Thaler, oder endlich blos fünf Thaler für eine ganze Familie. Wer kann da widerstehen? Also nur schnell einen Vorschuß von fünf Thalern an Louis Knorr und Compagnie in Hamburg oder L. Hermes in Antwerpen geschickt! Ist das Geld glücklich angekommen, so trifft allsobald ein schön

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_358.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)