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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Frauen der französischen Revolution.
Von Rudolf Gottschall.
2. Madame Roland.


Madame Tallien ist die lächelnde Grazie der Revolution; Madame Roland ist ihre ernste Muse. Das Leben der Madame Tallien ist ein Roman, dasjenige der Madame Roland ein Heldengedicht, eine Tragödie.

Freilich, man darf sich unter Madame Roland keine jener Jeanne d’Arcs, jener gewaltigen Heldinnen denken, welche das heroische Bühnenmaß besitzen und um Haupteslänge über die andern Sterblichen emporragen. Sie hatte nur die Seele, nicht die Statur der Heldin. Ebensowenig hatte sie das wilde Temperament, die weitgreifenden Gesten einer Theroigne von Mericourt; sie hat sich nie mit dem Schwerte gewaffnet, nie nachstürmende Volksmassen begeistert; sie hatte nicht einmal das revolutionäre Blut, die Freude an Tumult und Aufruhr. Sie hat sich in die Revolution hineinstudirt und hineingelesen. Der Weg der Madame Roland ging aus dem Lesezimmer in den Salon und auf das Schaffot; auf diesem Wege aber zeigte sie geistige Kraft und Seelengröße, wie wenige Frauen der Geschichte.

Interessant ist ihre geistige Verwandtschaft mit ihrem gefährlichsten Gegner, Maximilian Robespierre. Sie theilte mit ihm die Begeisterung für die Tugenden des Alterthums; auch von ihm kann man sagen, daß er sich in die Revolution hineingelesen habe. Die Roland war für die Partei der Gironde, was Robespierre für die Partei des Berges war: der geistige Mittelpunkt, die Doctrin, das System, das begeisterte Priesterthum. Beide schwärmten für Rousseau und die Republik, und wie Robespierre den König, so haßte die Roland die Königin als Urheberin des ganzen über Frankreich hereingebrochenen Unglücks. Beide zeigten im Leben und Sterben eine heroische Gesinnung, nur war der Heldenmuth der Roland dem Tode gegenüber ein herausfordernder und beredsamer, derjenige Robespierre’s das Schweigen dumpfer Apathie.

Ueber ihr Leben hat uns Madame Roland selbst in ihren Memoiren Auskunft gegeben. Diese Memoiren, im Kerker und gleichsam im Angesichte des Todes geschrieben, sind schon an sich ein merkwürdiges Denkmal eines starken Charakters. Man merkt die Schatten des Todes kaum, welche auf diese Blätter fallen, so angelegentlich ist die Beschäftigung mit den kleinen und großen Interessen des Lebens, so unbefangen die Hingabe an alle Erinnerungen, selbst an diejenigen, welche dem Bereiche des „ewig Weiblichen“ angehören. Sie schrieb diese Memoiren, fortwährend unterbrochen theils vom Lärme todgeweihter Kerkergenossen, theils von den eindringenden Häschern, vor denen sie dieselben sorgfältig verbergen mußte; sie vertheilte Blatt auf Blatt zur Erinnerung an ihre Freunde.

Madame Roland war im Jahre 1754 zu Paris als die Tochter eines kleinen Goldschmieds Philipon[WS 1] geboren, der nicht ohne künstlerische Bildung und künstlerische Neigungen war, aber in beschränkten Verhältnissen sich ihnen nicht hingeben konnte. Seiner Tochter Manon ließ er indeß eine vorzügliche Erziehung zu Theil werden. Frühzeitig schon zeigte sie hervorstechende Anlagen, indem sie mit vier Jahren lesen lernte und dann im Zeichnen, in der Musik, Arithmetik und Geometrie große Fortschritte machte. Sie selbst erzählt Anekdoten aus ihrer Kindheit, welche beweisen, daß sie bereits damals einen sehr unbeugsamen Sinn hatte, der sich besonders strengen Erziehungsmaßregeln auf das Aeußerste widersetzte; sie erzählt diese Anekdoten mit einer Naivetät, welche für die damalige Zeit sowohl wie für die Ungenirtheit dieser spartanisch gesinnten Frau charakteristisch ist. Die älter werdende Manon las viel, alte Classiker, Tasso, Voltaire, Reisebeschreibungen, Romane, Predigten, aber außer Plutarch, von dem sie erklärt, daß er die Kraft und den Stolz, welche den Charakter machen, in ihr erweckt, ihr den wahren Enthusiasmus für die öffentlichen Tugenden und die Freiheit eingehaucht habe, war ihr Lieblingsautor Rousseau, mit dem sie für den stillen Reiz der Natur schwärmte und sich gegen die Ungleichheiten der Gesellschaft empörte.

Die „confessiones“ Rousseau’s waren damals Mode und sie sind für die Memoiren der Roland geworden, was der „contrat social“ für Robespierre’s politische Beredsamkeit. Es gehörte zum guten Ton, von einer erstaunlichen Offenherzigkeit zu sein, die eigenen Sünden und Laster aller Welt zu verkünden, ja mit ihnen zu kokettiren. Im Haß gegen die Heuchelei und gesellschaftliche Verlarvung ging man bis zu einer antiken Nacktheit; alles Natürliche schien verklärt und geweiht; es gab keine Mysterien des Körpers und der Seele. Hierfür spricht die Art und Weise, wie uns Madame Roland ihr eigenes Portrait entwirft und uns ihre körperliche Beschaffenheit photographisch und stereoskopisch wiedergiebt. Und während sie sich so der Erinnerung an ihre Jugendschönheit hingiebt und unbefangen erwägt, wie viel und was ihr davon noch geblieben sei, fällt ihr plötzlich ein, daß der garstige Camille Desmoulins, dieser von der Natur verwahrloste Witzbold der Revolution, dem nichts heilig war, nicht einmal die Reize einer Manon, seine Verwunderung ausgesprochen, wie sie in ihrem Alter und bei so wenig Schönheit noch so viele Verehrer habe finden können, und da weiß sie zu seiner Entschuldigung nichts anzuführen, als daß er sie nie gesprochen, und wohl nur deshalb sie falsch beurtheile. „Freilich,“ fügt sie hinzu, „wäre ich gegen einen Menschen solcher Art kalt, schweigend, vielleicht sogar abstoßend gewesen.“

Der garstige Camille! Ob Manon Roland in diesem Augenblicke Robespierre, der sie auf das Schaffot schickte, mehr haßte, als Camille, der ihre weiblichen Reize bezweifelte: das ist eine offene Frage für die Nachwelt. Eine Frau, die zu den großen Seelen ihres Geschlechts zählte, die dem Tode auf dem Schaffot entgegensah und später mit bewunderungswerthem Heroismus entgegenging, kann doch nicht umhin, einem kleinen Groll gegen den Spötter Ausdruck zu geben, der ihre körperliche Vollkommenheit nicht anerkennen wollte.

Doch kehren wir zur kleinen Manon zurück. Das zudringliche und ungebührliche Benehmen eines Lehrjungen gegen das elfjährige Mädchen reifte in ihr den Entschluß, sich auf ein Jahr in ein Kloster zu begeben. Sie erlangte die Erlaubniß ihrer Eltern dazu und verweilte dann ein Jahr bei den Damen der Congregation im Faubourg Saint-Marcel. Ihre religiösen Gefühle verschmolzen in jener Zeit mit einem innigen Naturgefühl; die Schönheit der Natur, das Wehen des Windes, der Duft der Blumen: alles stimmte ihr Gemüth andächtig. Noch später, als sie in ihr elterliches Haus auf dem Pont-neuf zurückgekehrt war, hatte sie mitten in dem tumultuarischen Treiben der Hauptstadt ihr tiefes Naturempfinden sich bewahrt; sie war ergriffen von dem Schauspiele des Abendhimmels, dessen prächtiges azurnes Gewölbe sie betrachtete, von dem bläulichen Ostrande, weit hinter dem Pont-aux-champs bis gegen Westen, wo er, von Gold und Purpur umsäumt, sich hinter die Bäume der Tuilerien und die Häuser von Chaillot hinabsenkte. Noch glücklicher war sie bei einem Sommeraufenthalte in Meudon, wo sie den Reizen des Landlebens sich mit voller Seele hingab.

Die Begabung der jungen Manon entwickelte sich immer mehr mit der eifrigen Lectüre, welche sie pflegte. Bald fing sie an, gegen die religiösen Ueberlieferungen sich aufzulehnen; das Studium der freigeistigen Schriftsteller machte sie immer unabhängiger von ihren klösterlichen Erinnerungen. Am meisten fühlte sie sich zu den stoischen Philosophen des Alterthums hingezogen; mit Seelengröße der Tugend zu huldigen, mit Opferfreudigkeit die Pflicht zu erfüllen, das wurde ihr Lebensideal. Tief ergriff sie der Tod ihrer Mutter, einer schönen und edeln Frau, an der sie mit Hingebung hing; sie hatte diesen Tod Tags vorher in einem ahnungsvollen Traume vorausgeschaut. Lange konnte sie sich über diesen Verlust nicht trösten; erst die Lectüre der „Nouvelle Héloïse“ von Rousseau weckte ihre Lebensgeister wieder. Durch regelmäßige Correspondenzen mit ihren Jugendfreundinnen aus dem Kloster hatte sie ihren Stil gebildet, und ihr wissenschaftliches Streben war so ernst, daß sie sich sogar an der Lösung einer von der Akademie von Besançon gestellten Aufgabe mit betheiligte.

Inzwischen waren nach dem Tode der Mutter die Verhältnisse des Vaters in arge Zerrüttung gerathen; auch knüpfte dieser zu mehreren Frauen Beziehungen an, welche der Tochter

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Phlipon
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_352.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)