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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Lustgang um und in die „Fränkische Krone“.


Ein Heimathbild, von Friedrich Hofmann.


(Schluß.)


Ein Stück deutscher Geschichte. – Heiteres und frommes Mittelalter! – Reformation und Mutterwürde. – Dreißigjähriger Krieg. – Tausendthaler-Gewehre und Hundertthaler-Apostelkrüge. – Hofer’s Stutzen und sein Hildburghäuser Mißgeschick. – Hinterlader, gezogene Kanonen und Revolver alter Zeit. – Die Ludwigskanone. – Ein Unicum der Holz-Mosaik. – Kupferstichsammlung. – Die Dürer und der jüngste Schatz. Lutherkirchlein. – In der alten Laube. – Schluß der Festung und des Artikels.


Wir stiegen nun auf der Treppe im Vorsaale zum obern Geschoß des alten Fürstenbaues. Hier bat ich Rothbart mir für die Räume zur Linken die Richtung der Führung zu überlassen. „Wir wollen ein Stück deutscher Geschichte durchwandern,“ sagte ich und ermahnte meine Freunde, von dieser bis zur nächsten Thür sich weder links noch rechts umzusehen, um sich den beabsichtigten Eindruck nicht zu verderben. Nachdem sie so einen Raum von der halben Länge des großen Waffensaales durchwandelt und die nächste Thür hinter sich geschlossen hatten, erkannten sie, daß sie sich plötzlich im schönsten Mittelalter befanden. Die schöne Kunst spielte damals noch gern, und darum hat sie die Decke dieses langen geräumigen Zimmers, das einst als Trinkstube gedient hat, mit etwa vierhundert Holz-Rosen geschmückt, von denen nicht zwei sich gleichen. Hoch an den Wänden wandeln, al Fresco, die Ahnen der Wettiner bis zum Ende des Mittelalters, stets Paar und Paar. Auf den Seiten der Fensternischen Bilder des häuslichen Ritterlebens und an dem bunten Kachelofen Bilder zum Theil recht derben Inhalts aus dem damaligen Volksleben. In der Mitte ein langer Tisch mit Aufsatz für eine ausgezeichnete Trinkgläsersammlung, über deren Seltenheiten die Reisebücher hinlänglich belehren.

„Nun laßt uns aus dem weltlich heiteren in das christlich fromme Mittelalter gehen!“ – und die nächste Thür führte uns in das „Marienzimmer“. Man sollte es, rascher bezeichnend, „Madonnenzimmer“ nennen. Hier ist aufbewahrt, was aus den ehemaligen Klöstern des Landes (namentlich Mönchröden) an Kunstwerken gerettet wurde. Der Hauptschmuck dieses Raumes von heiliger Dämmerung sind eine Statue der Madonna von dem tapferen Bildhauer und Bürgermeister Riemenschneider in Würzburg, dem Meister der Kaisersarkophage im Dom zu Bamberg, und neun Reliefdarstellungen aus dem Leben der Maria, nach Zeichnungen des Israel von Meken in Holz gearbeitet. Aber noch ehe wir uns durch die stille Beschauung der schönen Madonnen in die Hindämmerung zur Glaubensseligkeit jener Tage verlieren, rüttelt uns ein ahnungsvolles Donnern auf, das von Sachsen und von der Schweiz dahertönt –

Es wächst zum mächtigen Chor an und faßt mit Gewalt im Nu
Des Mittelalters Thor an und schmettert es auf ewig zu!

Die Reformation that’s! Nun öffn’ ich Euch die Thür:
Da treten aus lichtem Golde die muthigen Geister herfür. –

Sie sind hierher beschworen von Künstlers Zauberhand,
All’ die Reformatoren, wie einst ihr Kreis um Luther stand.

Bei Luthern auch von Bora sein Käthchen lobesam,
Die vom Gesang der Hora zu Wiegenliedern kam,
Die sie gleich fromm gesungen zu Gottes Freud’ und Ehr’:
Denn über die Mutterwürde geht Ihm auf dieser Welt nichts mehr.

So stehen wir im goldstrahlenden Triumphraume der Reformation. Aber was wird nun kommen? Wohin wird unser nächster Schritt durch die verhängnißvolle Thür uns führen? Oeffnet und tretet ein: Ihr seid mitten im Dreißigjährigen Krieg!

Da stehen sie, lebensgroß an der Wand, im alten Trotz sich gegenüber: da Kaiser Ferdinand und dort der Schwedenkönig Gustav Adolf, da Wallenstein und dort der Herzog Bernhard von Weimar, da der finstere Tilly und dort der Fürst des Landes in dieser großen Noth, der Herzog Johann Casimir von Coburg. Wer fühlt hier nicht den eisigen und doch erhebenden Hauch der Geschichte, des ungeheuren deutschen Schicksals! – Seid Ihr mit meiner Führung zufrieden?

Sie waren’s, und Alle bedauerten nur, daß dieser Saal nicht einzig dem Andenken an jenen Krieg gewidmet werden könne; derselbe hat noch die zweite Bestimmung eines Gewehrsaales. Hier, wie im Waffensaal hat der Castellan Merkel sich um die Reinigung und decorative Aufstellung der Waffen aller Art große Verdienste erworben. Man findet hier vom ersten wirklichen und wahrhaftigen „Schießprügel“, dem Urahn aller Handfeuerwaffen, an durch alle Verbesserungen des Gewehrschlosses guterhaltene und zum Theil außerordentlich kostbare Exemplare bis zu den neuesten und feinsten Erfindungen. Aeußerlich geschieden sind die etwa 700 Stück der Sammlung in Kriegs-, Luxus- und Jagdgewehre, unter den ersteren auch schwedische Musketen, die auf den Schlachtfeldern von Lützen und Breitenfeld, viele noch mit der Ladung, aufgefunden worden sind.

„Wie viel mag ein solches Stück werth sein?“ fragte ich, auf ein auffallend schönes Gewehr zeigend.

Rothbart lachte und sagte: „Sie haben gut gewählt. Dieses Cabinetsstück in Construction und künstlerischer Ausschmückung wird von Kennern jetzt sehr gern mit zwei- bis dreitausend Thalern bezahlt.“

Selbst bei allen Anderen rief diese Angabe ein staunendes „Was?“ hervor. Rothbart schritt ruhig zu dem mit den verschiedenartigsten Trinkgefäßen reich beladenen Büffet und ergriff einen der in langer Reihe dort aufgestellten Apostelkrüge. „Wie hoch schätzen Sie diesen?“ fragte er.

Niemand wagte zu antworten. Da zeigte er das schöne und seltene Exemplar näher und sagte: „Die Sammlungen gratuliren sich, wenn sie jetzt ein solches Stück für hundert bis hundertfünfzig Thaler erhalten können.“

Welch ein wunderliches Wesen der Mensch ist! Gestanden doch Viele, daß es wie ein neuer Respect vor diesen Sammlungen in sie gefahren sei, seitdem sie auch bedenken müßten, welcher Baarwerth hier aufgehäuft liege.

„Aber wo ist denn Hofer’s Stutzen?“ fragte plötzlich Einer, in seinem „Thüringer Wegweiser“ blätternd. „Da lese ich, daß es das interessanteste Stück dieser Sammlung sei, wenn nicht Zweifel an seiner Echtheit erlaubt wären.“ – „Dieser Stutzen war hier,“ erklärte Rothbart, „Herzog Ernst hat ihn jedoch dem Lande Tirol zurückgegeben; er befindet sich jetzt im städtischen Museum zu Innsbruck.“ – „Und was die Echtheit betrifft,“ fügte ich hinzu, „so kann ich darüber einen Aufschluß geben, der früher aus besonderen Rücksichten verschwiegen bleiben mußte und überhaupt wohl nur Wenigen bekannt geworden ist. Der Stutzen war echt. Kaiser Napoleon, in dessen Besitz er zuerst nach Hofer’s Gefangennehmung gekommen war, hatte ihn dem Könige Maximilian von Baiern zum Geschenke gemacht. Dieser verehrte ihn dem Schwiegervater seines Sohnes, des Kronprinzen Ludwig, dem Herzog Friedrich von Hildburghausen, einem leidenschaftlichen Waidmann. Als im Jahre 1826 die drei fürstlichen Erben des ausgestorbenen Hauses Gotha über die Erbtheilung im Residenzschlosse zu Hildburghausen verhandelten, sah Herzog Ernst der Erste von Coburg den Stutzen mit so sprechenden Blicken an, daß er ihn zum Geschenk erhielt. So kam er in die Coburger Gewehrkammer, die damals im Zeughause in Coburg unter der Aufsicht des alten Hofjägers Koch stand, der mütterlicherseits uns nahe verwandt war. Einstmals erbot sich der ‚Vetter Hofjäger‘, meinen Eltern die Gewehrsammlung zu zeigen; ich, als ihr ‚Größter‘, durfte mit. Als bei den Jagdgewehren auch ‚Andreas Hofer’s Stutzen‘ an die Reihe kam, fragte mein Vater, der aus einer Jägerfamilie stammte, ein wenig ungläubig: ‚Sollte der Tirol gesehen haben?‘ – ‚Freilich!‘ erwiderte der Vetter Hofjäger. ‚Aber wenn großen Herren ein Streich passirt, so müssen wir Kleinen das Maul halten, sonst geht’s an Dienst und Brod. Dir will ich’s sagen, Vetter; aber es bleibt unter uns. Siehst Du, da steht Dir einmal der alt (Herzog) Friedrich mit ein paar von seinen Cavalieren zufällig vor dem Stutzen und meint so: ‚Das gäb’ eine gute Bürschbüchse, aber der Schaft ist mir gar zu unbequem.‘ Und was geschieht? Schicken Die den Stutzen zum Büchsenmacher und lassen einen neuen Schaft hinanmachen! Da hast Du das Ding, und nun ist nichts mehr echt dran als das Schloß und der Lauf. Unser Herzog hat mich wohl zehnmal nach Hildburghausen um den alten Schaft geschickt; ich habe bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_336.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)