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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und horchte mit erschreckten Augen auf ein dumpfrollendes Geräusch draußen.

„Leo fährt mit seinen Ziegenböcken durch die Halle,“ beschwichtigte Mainau. „Sei unbesorgt, der Fahrstuhl, der Dich in Deinen Fieberphantasien Tag und Nacht verfolgt hat, rollt schon längst nicht mehr durch das Schönwerther Schloß.“ … Es geschah zum ersten Male, daß er der unseligen Ereignisse wieder gedachte; aber er biß sich sofort auf die Lippen. „Ich bin Dir Erklärungen, vor Allem Beruhigung schuldig, Liane, und der Arzt hat auch jede Mittheilung erlaubt; aber es ist mir noch unmöglich, darüber zu sprechen, so wenig, wie ich im Stande bin, den indischen Garten zu betreten, wo das Furchtbare geschehen ist. Ulrike, unsere weise, verständige Schwester, wird Dir im blauen Boudoir Alles sagen, was Du wissen willst und mußt.“

Nun lag sie wieder auf dem Ruhebette, und der blauatlassene Wolkenhimmel hing über ihr. … Was zwischen heute und ihrem ersten Eintreten in dieses kleine, blaue Boudoir lag, es war genug des Schlimmen für ein ganzes langes Frauenleben, und sie hatte es in wenigen Monaten durchleiden müssen. Und doch durfte kein Glied in der Kette fehlen, die zwei gleichgültig nebeneinander verharrenden Geister allmählich entzündet und schließlich so rasch zusammengeführt hatte. … Noch sah sie nicht muthig und innerlich befreit auf das Ueberwundene zurück; sie wußte ja nicht, was nach jenem Augenblicke gekommen war, wo sie zusammenbrechend den Hofmarschall in all’ seiner Impertinenz, seinem ungebrochenen Uebermuthe drohend und hohnlächelnd vor Mainau hatte stehen sehen. Dieses Bild war ihr in der Seele haften geblieben, und wie der unverwüstliche Jasminduft von Zeit zu Zeit, als schüttle ihn die Geisterhand der vorüberschwebenden, „aus Spitzen gewobenen Seele“ höhnisch aus den Atlasfalten der Wände, sie unheimlich anhauchte, so traten die furchterweckenden Gestalten vor sie hin und ließen sie nicht ruhig werden. … Ulrike saß neben ihr. Frau Löhn trat eben ein und brachte ein Körbchen voll Trauben, welche Mainau für die Damen abgeschnitten hatte. „Von dem Spalier, das dem Herrn Hofmarschall allein gehörte,“ sagte sie. „Es sind die besten Trauben im ganzen Garten; die schönsten schickte er immer der Frau Herzogin, und die anderen wurden für theueres Geld – verkauft; nicht einmal der kleine Baron Leo kriegte eine Beere.“

Mainau hatte sie offenbar instruirt; sie erwähnte – was bisher streng verboten gewesen war – so sicher die früheren Verhältnisse.

„Wann hat der alte Herr Schönwerth verlassen?“ fragte Liane unumwunden.

„Gleich am anderen Morgen, gnädige Frau. Er kam in der Nacht vom Säulengange her, und war so böse und bissig, wie ich ihn mein Lebtage nicht gesehen – na, ich wußte ja, wo ihn der Schuh drückte. Wir standen noch Alle in der Halle. ‚Na, was steht Ihr da und gafft und horcht? Und gleich die ganze Gesellschaft beieinander? Geh’ hinauf zum Herrn Hofprediger!‘ sagte er zu dem Anton; ‚ich lasse ihn dringend bitten, in mein Schlafzimmer zu kommen.‘ Der Anton stand da wie ein Geist, und alle Anderen machten sich aus dem Staube. ‚Na, was wird’s?‘ fuhr er den Burschen an, und da sagte ihm der, was geschehen war, und daß er den Herrn Hofprediger nicht holen könne, weil er auf und davon sei. Ich stand hinter der Treppe – den Anblick vergess’ ich in meinem ganzen Leben nicht. … Der Anton mußte ihn die Treppe hinaufführen. In’s Bett ist er nicht gekommen; er hat die ganze Nacht gepackt; nur ein paarmal ist er ’nübergegangen und hat die Thüre aufgemacht und in die dunkle Stube geguckt und hat gemeint, der mit dem geschorenen Kopfe müsse absolut d’rin sein. … Am andern Morgen, punkt sieben Uhr, fuhr er zum Schloßthore ’naus.“

„Er ist ein ganz erbärmliches Subject, dieser Herr Hofmarschall,“ sagte Ulrike, während Frau Löhn einen Theil der Trauben auf den Kiesplatz hinaustrug, wo Leo noch mit seinen Ziegenböcken auf- und abfuhr. Gabriel war der Insasse des Wagens. „Von seinem Enkel hat er keinen Abschied genommen; er muß ihn geradezu vergessen haben. … Er hat nach wenigen Tagen nur insofern ein Lebenszeichen gegeben, als er durch seinen Anwalt den dritten Theil von Onkel Gisbert’s Hinterlassenschaft reclamiren ließ. … Schönwerth wird verkauft werden. Mainau will diese Besitzung nie wieder betreten, wenn er sie einmal im Rücken hat. Schon ein Aufblinken des Teiches von ferne versetzt ihn in eine unbeschreibliche Aufregung. … Nach Franken geht er aber vorläufig nicht, später allerdings, denn er will seine Güter, so viel wie möglich, selbst beaufsichtigen. … Weißt Du, Herzchen wo Dir diesmal der Weihnachtsbaum brennen wird? Im weißen Saale zu Rudisdorf, auf der Stelle, wo Papa uns immer bescheerte, Mainau hat von den Gläubigern Schloß und Park auf Jahre hinaus gemiethet; dort sollst Du völlig genesen. Ich gehe vor Euch zurück, um Alles einzurichten; die neuen Möbel sind bereits bestellt. Magnus schreibt mir, die alte Lene renne wie toll vor Freude im Schlosse umher, und juble, daß die schöne, ‚vornehme‘ Zeit wiederkomme. … Mama werden wir freilich nicht in unserer Mitte haben. Sie ist ebenso glücklich wie Lene, aber darüber, daß ihr Mainau die Wahl gelassen hat zwischen Rudisdorf und einem andauernden Aufenthalte in Dresden, den er bestreiten will. Selbstverständlich ist sie nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen und wird nur noch so lange in Rudisdorf verbleiben, um Dich und Deinen Mann anständiger Weise zu begrüßen, dann geht endlich, wie sie mir schreibt, ein Strahl der Lebenssonne für eine einsame, unverdient leidende Frau auf – das sind eben Ansichtssachen, Kind. … Frau Löhn geht mit uns. Mainau will sie stets in Deiner Nähe wissen, weil sie so goldtreu ist. Er möchte sie auch noch nicht von Gabriel trennen, der noch einige Zeit den vortrefflichen Unterricht des Hofmeisters genießen, dann aber als junger Herr von Mainau behufs seiner künstlerischen Ausbildung nach Düsseldorf gehen soll. Dein Retter aber, der Jäger Dammer, ist wohlbestallter Förster in Wolkershausen geworden und wird schon in zwei Monaten seine kleine, tapfere Försterin heimführen. … Das wäre so ziemlich Alles, was ich Dir auf Wunsch Deines Herrn und Gemahls mitzutheilen habe; er schmeichelt sich, es sei Alles auf diese Weise nach Deinem Sinne eingerichtet. … Sieh, liebes Herz, ich gehöre nicht zu den überschwänglichen Seelen, aber mir ist es stets, als müsse ich eine Dankeshymne anstimmen, wenn ich sehe, wie mein Liebling geliebt wird. Und was meinst Du denn dazu, daß ich, Ulrike, Gräfin von Trachenberg, in eigener Person das große Wirthschaftsgebäude in Rudisdorf von den Gläubigern gemiethet habe, um eine ausgedehnte Blumenfabrik zu errichten? Mainau billigt meinen Entschluß vollkommen; er giebt mir – selbstverständlich leihweise – das Einrichtungscapital und hofft zuversichtlich mit mir, daß es mir glücken wird, durch Thätigkeit und Arbeit allmählich etwas von Dem wieder frei zu machen, was Uebermuth und Verschwendung in die Haft der Sequestration gebracht haben. Gott gebe mir Kraft dazu!“

Sie schwieg, während die junge Frau, die verschränkten Hände auf die Brust gedrückt, mit geschlossenen Augen und einem entzückten Lächeln da lag, kaum athmend, als könne ein einziger Hauch alle diese lieblichen Gebilde der Zukunft verwehen; nur ein dunkler Schatten flog darüber hin. „Der Schwarze, Ulrike!“ fuhr sie empor.

„Er ist spurlos verschwunden,“ versetzte die Schwester. „Man glaubt allgemein, daß er sich unter klösterlichen Schutz geflüchtet hat. Er kann Dir nichts mehr anhaben; sei ruhig! In die Oeffentlichkeit darf er sich nie wieder wagen; der Vorfall macht ein derartiges Aufsehen, und die gesammte protestantische Bevölkerung ist so aufgebracht, daß selbst seine Beschützerin, die Herzogin, es für nöthig gefunden hat, sich für längere Zeit nach Meran ‚zur Heilung ihrer angegriffenen Brust‘ zurückzuziehen –“

Mainau trat ein. Die beiden Knaben folgten ihm.

„Raoul, wie soll ich Dir danken?“ rief die junge Frau.

Er lachte und setzte sich neben sie. „Du mir danken? Lächerlich! Ich habe mir als rechtschaffener, unverbesserlicher Egoist Alles wohlüberlegt zu einer glücklichen Zukunft eingefädelt; daß es aber auch so himmlisch schön wird, wie ich mir träume, das liegt allein in den Händen meiner – zweiten Frau.




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