Seite:Die Gartenlaube (1874) 332.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

wiederholt, wie amüsirt, mit dem Kopfe, und jetzt brach er in schallendes Hohngelächter aus.

„Das Tableau meiner Verbrechen ist ja famos zusammengestellt, schöne Frau. … Ich sag’s ja, diese Weiber mit den rothen Flechten sind Teufel im kühl ausgesonnenen Intriguiren. Tausend noch einmal, was für pikante Sachen! … Und das wird theatralisch effectvoll vorgetragen im eilig übergeworfenen schwarzen Trauergewande, das Sie, beiläufig gesagt, blaß und unschön wie ein Gespenst macht –“

„Onkel, kein Wort weiter!“ rief Mainau erbittert und zeigte zum ersten Male nach der Thür.

„Schön, schön – ich werde gehen, wenn es mir beliebt. Aber jetzt bin ich der Angegriffene und bin es mir selbst schuldig, Licht in diese Geschichte zu bringen. … Was Sie plötzlich so siegesgewiß, so unglaublich herausfordernd mir gegenüber macht, gnädige Frau – ich kann mir’s denken. Während wir hier stritten, sind Sie voll leicht verzeihlicher Neugier hinübergegangen, um das ‚unglückliche Weib‘ sterben zu sehen. Das giebt einen köstlichen Nervenreiz; das cajolirt den schauerbedürftigen diabolischen Zug in der weiblichen Natur –“

„Ich bitte Dich, Raoul, thue Nichts, was Du später bitter bereuen müßtest!“ rief Liane, mit beiden Armen Mainau umschlingend, der, außer sich, auf den giftigen Sprecher losstürzen zu wollen schien.

„Der weiblichen Natur,“ wiederholte der alte Herr hämisch lächelnd, da Mainau, zornig den Boden stampfend, ihm den Rücken zuwandte. „Möglich, daß die gelähmte Zunge der ‚armen Bajadere‘ im Delirium des Sterbens noch einmal – es soll ja dergleichen vorkommen – so viel Beweglichkeit zurückerhalten hat, verwirrtes Zeug zu lallen, sehr möglich sogar. Aber welcher vernünftige Mensch nimmt dergleichen für baare Münze, oder formulirt gar solch’ miraculeuses Zeug zu ehrenkränkenden Anklagen? … Meinen Standesgenossen, wie sie auch heißen mögen, dürften Sie mit diesen allerliebsten Neuigkeiten nicht kommen. Man kennt mich und würde von der zweiten Frau meines Schwiegersohnes einfach behaupten, daß sie mit Ränken umzugehen wisse.“

„Sprich weiter, Liane! Ich fürchte, die Herren Standesgenossen werden Dinge zu hören bekommen, die den Begriff vom angeborenen Adel kläglich zu Schanden machen,“ sagte Mainau schneidend. „Aber sprich zu mir! Du hörst ja, der Herr Hofmarschall hat mit der Sache nichts zu schaffen, mich aber spannt sie auf die Folter.“

„Die Frau im indischen Hause war todt, als ich hinüberkam; über ihre Lippen ist dreizehn Jahre lang kein verständliches Wort mehr gekommen, und so ist sie auch gestorben,“ versetzte die junge Frau; sie verstummte für einen Moment wieder und schloß die Augen; ein abermaliger Schwindel überfiel sie. Sie stützte sich fest auf die Tischplatte und fuhr rascher fort: „Was ich zu sagen habe, weiß ich von einem Zeugen, der seit Onkel Gisbert’s Rückkehr aus Indien in Schönwerth gewesen ist, einem Zeugen, der nicht faselt, sondern genau weiß, daß er das, was er behauptet, nöthigenfalls beschwören muß.“ Sie sprach in der That zu Mainau, als sei der Mann mit der aufhorchenden, nicht zu unterdrückenden Besorgniß in den gespannten Zügen hinausgegangen, und sie erzählte, wie er sich, unterstützt von dem Geistlichen, zum Herrn von Schönwerth gemacht, mit welcher raffinirten Grausamkeit Onkel Gisbert von der Frau getrennt worden war, die er bis zu seinem letzten Athemzuge geliebt hatte. … Dazwischen klang spöttisches Kichern oder ein gemurmelter Fluch zu ihr herüber, aber sie ließ sich nicht beirren. Nur als der Name der Löhn zum ersten Male auf ihre Lippen trat, da mußte sie innehalten.

„Die Bestie! Diese Natter!“ unterbrach sie der Hofmarschall in einem Gemische von Wuth und schrillem Auflachen. „Sie ist Ihr Gewährsmann, meine Gnädigste? … Sie haben mit dem rohesten, ungeschliffensten Weibe der gesammten Schönwerther Dienerschaft geklatscht und wollen nun darauf hin mich, mich angreifen?“

„Weiter, Liane!“ drängte Mainau mit bleichem Gesichte, „Lasse Dich nicht irre machen! Ich sehe bereits allzu klar.“

„Mögen Sie auch alle diese Behauptungen der Löhn zu entkräften verstehen, weil Sie allerdings mit scharfem Auge selbst über jeden, auch den kleinsten Vorgang in Schönwerth gewacht haben – Eines können Sie nicht bestreiten, denn Sie wissen nicht darum, Sie haben keine Ahnung von dem Geschehenen,“ wandte sich die junge Frau noch einmal an den Hofmarschall selbst, „die Indierin war, trotz Ihrer Wachsamkeit, wenige Tage vor seinem Tode noch einmal bei Onkel Gisbert; er ist gestorben mit der Ueberzeugung, daß sie unschuldig verleumdet worden ist.“

„Bah, Sie tragen die Farben allzu dick auf, liebe kleine Frau. Sie sollten wissen, daß das jedweder Darstellung die Grundbedingung, die Glaubwürdigkeit, nimmt,“ versetzte der alte Herr mit gut gespielter spöttischer Nachlässigkeit; allein so erloschen, so gleichsam aus vertrockneter Kehle sich ringend hatte seine Stimme noch nicht geklungen. „Von dieser rührenden Scene weiß ich allerdings nichts – sehr begreiflich! Sie wird schließlich, wie alles Andere auch, auf die pure nackte Erfindung hinauslaufen. … Uebrigens sehe ich nicht ein, weshalb ich so lammgeduldig dieses nichtswürdige Intriguengespinnst länger anhören soll. Ich bin droben in meinen Appartements jederzeit zu finden für den – Gerichtsdiener, den Sie mir so liebenswürdig auf den Hals schicken möchten – ha, ha, ha! … Gehen Sie jetzt schlafen, gnädige Frau! Sie sind entsetzlich bleich und sehen aus, als stünden Sie nicht fest auf den Füßen; ja, ja, das Dichten greift an, sagen die Leute. … Gute Nacht, meine schöne Feindin!“

„Bitte, Onkel!“ rief Mainau und trat vor die Thür, auf welche der Hofmarschall sehr eilig zuschritt. „Ich habe Dich mit unerhörter Geduld und Langmuth stundenlang mich und meine Familie verunglimpfen lassen – jetzt fordere ich von Dir, daß Du in meinem Beisein das Ende der Mittheilungen erwartest, wenn Du nicht den letzten Rest von Deiner ‚Cavalierehre‘ in meinen Augen verlieren willst.“

„Poltron!“ zischte der Hofmarschall zwischen den Zähnen und warf sich in den Stuhl zurück.

Die junge Frau erzählte den Vorfall an Onkel Gisbert’s Sterbebett. Es war todtenstill im Zimmer geworden, in dem Moment aber, wo sie beschrieb, wie der Sterbende die zwei Siegel mit so peinlicher Sorgfalt unter das Geschriebene gedrückt, da fuhren beide Zuhörer empor.

„Lüge, infame Lüge!“ schrie der Hofmarschall.

„Ah!“ rief Mainau, als falle plötzlich ein grelles Licht in tiefe Nacht. „Onkel, die Herzogin und ihr Gefolge werden bezeugen müssen, daß sie den Siegelring gesehen haben, den Smaragd, von welchem Du beiläufig erzähltest, er sei Dir vor Zeugen am 10. September von Onkel Gisbert feierlich übergeben worden. … Und jener Zettel, den er auf diese Weise einigermaßen rechtskräftig zu machen suchte, existirt er noch, Liane?“

Die junge Frau nahm schweigend, mit bebenden Händen die Kette vom Nacken und legte sie in seine Hand.

Das kleine Schmuckstück war allerdings wie „zugehämmert“; keine Spur von Mechanik ließ sich entdecken. Mainau nahm die starke Klinge eines Taschenmessers und schob sie zwischen das Gefüge – ein starker Druck, und der dünne Deckel zerbrach. … Lässig, aber doch so glücklich zusammengebrochen, daß die emporstehenden Enden die zwei Siegel vor jedweder verwischenden Berührung geschützt hatten, lag ein Zettel in dem schmalen Behälter, jedenfalls noch so, wie ihn die Indierin von ihren küssenden Lippen weg hineingelegt hatte.

„Diese Abdrücke sind, noch dazu unter dem Schutze einer so klug eingeleiteten Maßregel, für mich eine absolute Bürgschaft, so gut wie für Dich, Onkel, der Du selbst erklärt hast, ein solcher Abdruck gelte Dir mehr als die eigenhändige Unterschrift.“

Keine Antwort, kein Laut erfolgte.

„Hier die scheinbar defecte Stelle des Steines, sie tritt klar und scharf hervor. Morgen beim Tageslichte, unter der Loupe, werden wir den schönen Männerkopf bewundern können. … Und hier unten das Datum, zweimal unterstrichen: ‚Geschrieben in Schönwerth am 10. September.‘“

Er legte einen Augenblick in unbeschreiblicher Bewegung die Hand auf die Augen, dann entfaltete er das Papier. „An mich adressirt? an mich?“ rief er erschüttert. … Er trat näher an das Lampenlicht und las den Inhalt mit lauter Stimme.

Der Sterbende erklärte gleich bei Beginn, er sei in Folge seines geistigen und körperlichen Gebrochenseins der Gefangene seines Bruders und des Geistlichen. Er habe, obgleich in dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_332.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)