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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 21.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Drei Liebeslieder.*[1]

Von Hoffmann von Fallersleben.

Du hast mir keinen Kranz gewunden,
Auch nicht ein Blümlein mir geweiht,
Doch einen Kranz der schönsten Stunden
Den schönern Tagen angereiht.

Du hast mir keinen Wein credenzet,
Auch nicht ein einzig Tröpfelein,
Doch hat Dein Auge mir geglänzet,
Als schenkt’ es Deine Seele ein.

Du hast kein Liedlein mir gesungen
Von Liebeslust und Liebesleid,
Doch ist mir jedes Wort erklungen
Wie lauter Liebesseligkeit.

Du bist nicht nahe mir geblieben,
Kurz war des Sehens süßes Glück,
Doch immer zaubert mir mein Lieben
Dein süßes holdes Bild zurück.

Heil Dir, daß etwas Dich begeistert,
Was Deine Schönheit noch verschönt,
Wenn auch die ganze Welt Dich meistert
und Dich verspottet und verhöhnt.

Bleib’ allem, was nach Wahrheit strebet,
Bleib’ allem Guten zugewandt,
Und jede Seele, die da lebet
Für Freiheit, sei mit Dir verwandt!

Nie soll sich Dir ein Freier nahen,
Der nicht zugleich ein Freier ist,
Kein Mann soll Deine Hand empfahen,
Der Dir nicht ist, was Du mir bist.

Heil Dir, daß etwas Dich begeistert,
Was Deine Schönheit noch verschönt,
Wenn auch die ganze Welt Dich meistert
Und Dich verspottet und verhöhnt.

Mich könnte noch die Welt versöhnen,
Wenn sie Dich liebte wie ich Dich,
Wenn sie sich sehnte nach dem Schönen
Und am Gefund’nen freute sich.

Doch nein! sie kann Dich nur beneiden,
Hohn ist der Sold, den sie Dir bringt.
So muß es auch die Rose leiden,
Daß sie der Dornen Neid umringt.



Des Frühlings Boten send’ ich Dir,
In diesen winterlichen Tagen,
Daß sie noch einen Gruß von mir,
Ein stilles Lebewohl Dir sagen.

Könnt’ ich für meines Lebens Müh’n
Vom Schicksal Eine Gunst erwerben!
Wie diese Blumen möcht’ ich blüh’n
Und so an Deinen Blicken sterben.



Die Blumen sind verwelket,
Die Du empfängst von mir,
Verklungen sind die Lieder,
Die ich gesungen Dir.

Gern hätt’ ich Dir erneuet,
Was Freude Dir gemacht,
Gern hätt’ ich frische Blumen
Und Lieder Dir gebracht.

Ach! wär ich nicht gezogen
So weit von Dir hinaus,
Noch heute brächt’ ich Blumen
Und Lieder Dir in’s Haus.

Nun ist mir in der Ferne
Nach Dir so bang’ und weh,
Als ob ich nie Dich wieder,
Nie, nie Dich wieder sah’.



  1. * Die obigen, wohl noch nicht veröffentlichten Lieder Hoffmann’s von Fallersleben gingen uns aus dem Nachlasse des Dichters von vertrauenswürdiger Seite zu. Hoffmann dichtete sie im Jahre 1845 während seines Aufenthaltes in Mecklenburg an eine dortige junge Dame.
    D. R.




Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Schluß.)


Lianens sonst so liebliches Antlitz mit den weichen Zügen erschien wie versteinert in Entschlossenheit und Härte. „Herr Hofmarschall,“ fuhr sie in ihrer Rede fort, „der Mann verfolgte die schöne Indierin auch Nachts durch die Gärten, um sie dem armen Sterbenden im rothen Zimmer zu rauben; sie mußte sich hinter Schloß und Riegel flüchten vor ihm. – Sieh hin, Raoul,“ unterbrach sie sich und deutete nach dem Hofmarschalle, der vernichtet in sich zusammengesunken war, „Herr von Mainau will Dir Dein Kind entreißen, unter dem Vorwande, daß der einzige ehrenfeste, unbescholtene Mann der Familie auch nur den einzigen jungen Träger des Namens erziehen dürfe, aber seine Hand hat ein Menschenleben schwer geschädigt, und die Intrigue, durch die Gabriel und seine Mutter verstoßen worden sind, wirft unauslöschliche Flecken auf den ‚Nimbus des Edelmannes‘. Du kannst ruhig sein angedrohtes Vorgehen abwarten; Leo wird ihm nie zugesprochen werden.“

Hatte sie gemeint, der Schuldige sei unter der Wucht der Anklagen und des so plötzlich aufgerüttelten Gewissens vollständig zusammengebrochen, so war das ein Irrthum gewesen. Schon bei ihrem Hinweise auf seine geknickte Haltung hatte er sich mittels eines energischen Ruckes steif aufgerichtet; bei der Anschuldigung bezüglich Gabriel’s und seiner Mutter nickte er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_331.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)