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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

es hinter mir. Im selben Augenblicke begrüßte uns in der Thür der Conservator der Sammlung, Herr Ehrhardt, ein Mann von anerkannter naturwissenschaftlicher Tüchtigkeit, und lud uns ohne alle Phrasen zum Eintritte ein. Ein „Ah!“ der Verwunderung entfuhr Allen beim Anblick des ersten Saales. Einen solchen Prachtraum hatte Rothbart aus der alten, baufälligen Kaserne zu schaffen verstanden! Galerien verzieren und Oberlicht erhellt den stattlichen Saal, den eine Vögelsammlung vollständig einnimmt. In derselben sind die europäischen Vogelarten nahezu sämmtlich, die der übrigen Erdtheile ziemlich reich vertreten. Der Conservator fragte uns, ob Fachmänner unter uns seien. Als wir dies verneinten, meinte er: „Dann wird Ihnen weniger an unseren naturwissenschaftlichen Seltenheiten als an unserer Hauptzierde gelegen sein. Hier ist sie!“ Und wahrlich, vor solch einem Bilde muß jedes Auge von selbst lachen. Nicht weniger als dreihundert Colibris, die etwa hundertsiebenzig Arten vertreten, entfalten hier die Pracht ihrer Farben. Man weiß nicht, soll man diese, oder die geschmackvolle Aufstellung mehr bewundern. Ungern trennt man sich von den köstlichen Geschöpfchen, wie vom ganzen gleichsam lebenvollen Raum.

Im nächsten Saal machte sich eine größere Mannigfaltigkeit in schöner Ordnung geltend. Wir sahen Eier und Nester, Amphibien, Fische, Insecten, Krebse, Stachelhäuter (Seesterne etc.) und Pflanzenthiere (Korallen etc.); einen dritten Saal nahmen Conchylien und Petrefacten ein, und in einem vierten fanden wir eine Mineraliensammlung, in eine oryktognostische und eine geognostische Abtheilung geschieden. Als Glanzstück derselben zeigte uns Herr Ehrhardt eine Chalcedonkugel aus China, die ein ziemliches Quantum Urwasser einschließt, ein Naß, dessen Alter wir voll Ehrfurcht anstaunten.

„Zu dieser Sammlung“, belehrte uns zum Abschiede Herr Ehrhardt, „die unter der Direction des Oberbibliothekars Dr. von Schauroth steht, haben Herzog Ernst und sein Bruder, der Prinz Albert, 1846 den Grund gelegt und der Herzog von Edinburg ist für die Vermehrung derselben wacker in seines Vaters Fußstapfen getreten. Die afrikanische Reise des Ersteren und die Jagden des Letzteren auf den Falklandsinseln und auf Neuseeland waren besonders ausgiebig für alle Theile des Cabinets.“ Wir schieden, und meine Leipziger hatte dieser erste Gang nun mit ganz anderen Erwartungen für das noch Kommende erfüllt.

Rothbart, den wir bei den vier „Falconettlein“ fanden, die er aus der Sammlung alter Schießwaffen hier vor dem Wachtlocal aufgestellt hat, machte, nach kurzer gegenseitiger Vorstellung, meine Leipziger zunächst auf den nahen, dritthalbhundert Fuß tiefen Festungsbrunnen aufmerksam; dann ging es sofort hinauf in den Fürstenbau, der ebenfalls durch sein schlichtes Aeußere seinen reichen Inhalt nicht verräth. Auf einer Freitreppe zu einer offenen Galerie gelangt, haben wir auf der ganzen langen Rückwand derselben das von Heinrich Schneider und Rothbart gemalte und jüngst wieder aufgefrischte Frescobild des Einzugs des Herzogs Johann Casimir (er hat kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege, wie in der Ahnung an die schlimmste Zeit, die ehemalige Burg erst zur Festung umgeschaffen) mit einer seiner beiden Bräute vor uns. Unter dem zahlreichen Personal sind viele Portraits, darunter auch das Friedrich Rückert’s. Rothbarth zeigte auf den fürstlichen Brautwagen des Bildes hin, indem er eine Thür aufschloß und rief: „Hier steht das Original!“

Wirklich birgt die aufgeschlossene Halle vier solcher culturgeschichtlichen Seltenheiten: den Brautwagen Johann Friedrich’s des Großmüthigen und die beiden Brautwagen Johann Casimir’s als Denkmale des Geschmacks und der Holzbildhauerei vor, und den Ernst’s des Frommen als ein solches nach den Verwüstungen des deutschen Lebens durch den Dreißigjährigen Krieg. Der Unterschied ist merkwürdig belehrend; nur die Echtheit der überreichen Vergoldung und der Farben hat sich bei allen gleich bewährt. – Neben dieser Halle öffnet sich eine andere mit ebenso beachtenswerthen alten Festschlitten, die mit mythologischen, in Holz geschnitzten und bunt bemalten Figuren verziert sind, und mit Sätteln und Pferdegeschirren aus verschiedenen Zeiten, beachtenswerth für Geschichtsschreiber und Dichter, Künstler und Kunsthandwerker, an deren Adresse wir uns in diesen Sammlungen überhaupt noch oft zu wenden haben.

Von der Galerie aus folgten wir Rothbart in eine Vorhalle des alten Fürstenbaus, in welchem er meine Freunde besonders auf die hier aufgestellten sogenannten Orgelgeschütze (die Ahnen der Mitrailleusen) hinwies. Es sind deren zwei, das eine mit neunundzwanzig, das andere mit neunundvierzig Läufen, die zugleich losgeschossen wurden. Von diesem Vorplatze führt links eine an sich sehenswerthe Thür zum großen Waffensaale, rechts eine andere in das sogenannte Lutherzimmer. Links von der Waffensaalthür stellt ein altes Oelgemälde den Ritter Eberhard Rauber, genannt der deutsche Hercules, dar. Der in zwei Zöpfen geflochtene Bart desselben reicht bis zu den Füßen und wieder herauf bis zum Gürtel, wo die Zopfenden festgesteckt sind. Von ihm wird ein gar seltsamer Zweikampf erzählt. Auf dem letzten deutschen Turnier machte ein spanischer Ritter sich so üppig, daß Helene, des Kaisers Maximilian Töchterlein, Demjenigen den Preis verhieß, welcher den Spanier in einen Sack stecken werde. Ritter Rauber war der Held, welcher einen solchen Kampf einging und den Spanier nach gewaltigem Ringen richtig einsackte. Ich sah dasselbe Bild in den Sammlungen des Ständehauses zu Graz, wo jenes Turnier stattfand.

Rechts von der Waffensaalthür füllt die ganze Seite bis zur Fensterwand ein Frescogemälde von Heinrich Schneider aus. Es stellt die tragikomische Scene dar, wie einst die Bären, deren man stets einige in einem Zwinger hielt, sich aus demselben befreit hatten und zur Thür des Banquetsaales hereinmarschirten, wo man eben an der fürstlichen Tafel saß. Die allgemeine Flucht ist prächtig zu sehen; nur eine Hofdame besaß Geistesgegenwart und Muth genug, den Bären mit einer Schüssel voll Obst und Zuckerwerk entgegenzutreten und die Leckermäuler zu besänftigen. Was aber die Bären betrifft, so darf der geneigte Leser nur die Fenster öffnen, um in dem Bärenzwinger die späten Nachkommen der Helden jenes Bildes zu beschauen.

Wir begeben uns nun in die sogenannte Lutherstube. Ich sage „sogenannte“, weil ich nicht glaube, daß Luther, dem nachweislich der ganze obere Fürstenbau zur Verfügung gestellt worden war, sich diese düstere enge Klause zu einem halbjährigen Aufenthalt ausgewählt haben sollte. Ueberhaupt hat die Veste Coburg bei ihren gediegenen und so höchst werthvollen übrigen historischen Reichthümern nicht nöthig, sich mit unverbürgten Reformationsreliquien auszuputzen. Wer sich von der außerordentlichen Wichtigkeit von Luther’s Aufenthalt auf der Veste überzeugen will, der lese Ernst Pfeilschmidt’s treffliche Schrift: „Luther in Coburg“; er wird dann nicht mehr darnach fragen, in welchem Raum gerade der große Mann so Bewundernswerthes geleistet hat. Auch bedenke man, daß die Veste nach seiner Zeit den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat, daß sie längere Zeit im Besitz der Kaiserlichen war, die schwerlich Luther-Erinnerungen mit besonderer Liebe behandelten, und man wird auch dem Lutherbett nicht viel Glauben schenken. Dem Volk freilich war es das echte Lutherbett; die Spähne desselben haben unzählig viele Zahnschmerzen vertrieben, und dieser Glaube hat es in den dermaligen Zustand gebracht. Ich selbst habe als Knabe, meiner Mutter zu Liebe, mehrmals sogar die Bettpflöcke davongetragen – und stets durch neue ersetzt gefunden; also genau wie es mit den alten Stiefeln des Andreas Hofer erging, die, so oft sie auch von Engländern gekauft wurden, für den nächsten Engländer immer durch ein neues Paar alte Stiefel ersetzt waren. – Wie gesagt, die Veste hat solche Reliquienspielerei nicht nöthig, Luther bleibt darum doch ihr Stolz und ihre höchste geschichtliche Ehre. Deshalb ist auch das Ansammeln von Luther-Erinnerungen in einem Raum der Veste, wozu neuerdings sogar eine Luther-Bibliothek gekommen ist, aller Anerkennung werth.

Und nun hinüber zum Waffensaal. Der Anblick dieser trefflich und geschmackvoll aufgestellten reichen Waffensammlung ist in der That überraschend. Vom zwölften bis zum siebenzehnten Jahrhundert herauf fehlt hier nicht leicht eine Gattung von Waffen und Rüstzeug, und sämmtliche Waffenstücke sind in einem so vollkommenen Zustand und so gut gehalten, daß die Kunstfertigkeit und Pracht, welche die Alten in diesen Dingen kund gaben, sich hier vollkommen erkennen läßt. Der Saal nimmt das ganze Mittelgeschoß des alten Fürstenbaues ein und ist einundachtzig Fuß lang und einundvierzig Fuß breit. Auf einer Empore im Hintergrunde stehen sich zwei Ritterpaare in vollem Turnierschmuck hoch zu Roß mit eingelegten Lanzen gegenüber.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_329.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)