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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und Puppentheater ließ andererseits das „verliebte Wesen“ jenes Don Juan vor dessen verbrecherischer Natur, die ihn von Mord zu Mord treibt, fast ganz in den Hintergrund treten. Der deutsche Idealismus konnte natürlich nicht umhin, ihn mit dem herkömmlichen Ideale zu versehen und seinem Treiben die entsprechenden „höheren Gesichtspunkte“ zu geben. Da muß er in jedem Frauenherz, das ihm verfällt, das ersehnte Ideal des Weibes suchen, und da er’s nie oder nur sehr spät findet, müssen darüber so und so Viele erst zu Grunde gehen, denen er dann ein mitleidiges Achselzucken über sein und ihr Verhängniß nicht versagt. In anderen Fällen übernimmt auch eine „reine Mädchenseele“ die sittliche Bekehrung und Reinigung des vom Dichter verhätschelten Sünders. Nur der große Grabbe blieb der alten Auffassung, dem alten wilden Don Juan treu und ließ ihm jene energische Größe, welche die Figur bei Mozart und seinen Vorgängern besaß und welche ihn ebenbürtig einstellt in die Reihe der großen Bösewichtscharaktere Shakespeare’s.

Die moderne Zeit und ihre Cultur kann sich in der That den alten Don Juan nur denken unter einer starken Beimischung von Faust; sie glaubt trotz der neuesten Belehrung des „Philosophen des Unbewußten“ nicht an das bloße dunkle Walten jenes elementaren Instincts, dessen willensstarker Hingabe das ganze Leben des Originals aller Don Juane galt.

Fr. Helbig.




Lustgang um und in die „Fränkische Krone“.


Ein Heimathbild, von Friedrich Hofmann.


Die Stadt. – Alter Kern mit frischen Armen. – „Der Ort Landes in Franken“. – Prinz Albert bei den Bratwürsten. – Markttreiben – Regiomontanus und der Liebesfrühlingsdichter. – Rückertbüste. – Callenberg – Gekaufte Bäume. – Rosenau. – Königin Victoria. – Die Beste. – Wallenstein’s Kriegsspuren. – Thor und Höfe – Rothbart. – Die Trophäenhalle. – Das Naturaliencabinet. – Dreihundert Colibris. – Tiefer Brunnen. – Brautfestzug. – Brautwägen. – Der Spanier im Sack. – Bärenbesuch. – Lutherstube. – Waffensaal. – Ein grausiges Beil und Schwert.


Ein gemeinschaftlicher Ausflug nach Coburg wurde von einem Leipziger Freundeskreis in trübseligen Wintertagen fest beschlossen und in schönster Sommerzeit ausgeführt. Da ich zu diesem Kreis gehörte, so fiel mir von selbst das Wegweiseramt in der alten Heimath zu.

Mit dem Mittagszuge der Werrabahn kamen wir in Coburg an. Es war Sonnabend. Wie sehnsüchtig auch besonders unsere Künstler die Blicke nach der jenseits der Stadt hochaufragenden Veste richteten, so bestand ich doch darauf, dem unterwegs entworfenen Programm treu zu bleiben: diesen Nachmittag der Stadt, den andern Morgen der Fahrt über Neuseß und Schloß Callenberg zur Rosenau und den Rest des Tages bis tief in die Nacht der Veste zu widmen.

Auf dem Wege vom Bahnhof zur Stadt wiederholte sich uns, sobald wir die Brücke (Judenbrücke) über die Itz überschritten hatten, das Bild so vieler Städte: aus dem alten Kern strecken überall sich die neuen frischen Arme aus. Den Coburgern muß man in ihren Neubauten ungewöhnlichen Geschmack nachrühmen; ihre Baumeister verstehen es, ihre Bauformen dem Bilde ihrer lieblichen fränkischen Hügellandschaft anzuschmiegen. Dabei unterstützt sie der schöne Sandstein, der dem Leipziger ein so seltener Anblick ist.

Das Innere der Stadt ist eben alt; die Straßen sind meist schmal und krumm, manche stattlichere, aber durch ihre Erker oder Eckthürmchen an Nürnberg erinnernd, Alles recht wacker altfränkisch. „Was Sie nur immer mit Ihrem ‚Fränkisch‘ wollen? Coburg gehört doch noch zu Thüringen!“ zürnte da Einer. – „Der Staat,“ sagte ich, „ja, aber das Volksleben, nein! Uebrigens heißt in der ganzen mittelsächsischen Geschichte dieses Ländchen ausdrücklich ‚der Ort Landes in Franken‘; Ort aber bedeutet so viel wie Bezirk oder meinetwegen Provinz.“ Wir waren derweil auf dem Marktplatz angekommen, den der Wochenmarkt mit seinem bunten Treiben erfüllte. „Da, seht Euch diese Itzgründer Bauern und Bauernmädel an! Ob das nicht echtfränkischer Schlag ist?“ Und da standen sie der Bratwurstbudenreihe entlang, jeder seine Semmel mit der eingelegten Wurst in der Hand, – und wie theilnehmend schaute hoch von seinem Postament auf des Marktes Mitte „der Albert“ zu ihnen herab, der nur äußerlich, in seinem Hosenbandsordens-Ornat, so fremd aussieht. Schade, daß man diese Statue nicht lieber in England aufgestellt und den Deutschen es überlassen hat, ihn in ihrer Kunst selbst zu verewigen! Wer kennt in dieser Gestalt den Prinzen wieder, der einst hier an denselben Bratwurstbuden zwischen den Bauern stand und sich halbtodtlachen wollte, weil seine englischen Cavaliere sich so überaus ungeschickt anstellten, als sie, wie er, Wurst und Semmel ohne Teller, Messer und Gabel verzehren sollten.

Wir durchschritten die Hauptstraßen mit ihrem lebhaften Volksgewühl und Verkehrstreiben, aber auch die Reihen der Käse- und Butterweiber, der Bamberger Gärtner, der Getreidebauern und erfreuten uns der Sprach- und Tracht-Verschiedenheiten, je nachdem die Leutchen Thüringen oder Baiern näher wohnten oder gar dort her waren. Denn in Coburg reichen sich beide, die Südthüringer und Nordfranken, zum Austausch ihrer Producte und zum gegenseitigen Befriedigen ihrer Bedürfnisse die Hand, und diese glückliche Mittellage hauptsächlich hat Coburg zur wohlhäbigen Stadt gemacht.

Die Sehenswürdigkeiten, zu denen ich in den Nachmittagsstunden bis zum Abend meine Gesellschaft führte, brauche ich hier nicht zu nennen. Sie sind nicht unbekannt, unsere Reisebücher von Meyer und Bädeker führen sie sämmtlich auf. Die Statue, welche auf unserer Illustration des Residenzschlosses „Ehrenburg“ sichtbar ist, stellt den Vater des jetzigen Landesherrn, Herzog Ernst den Ersten, dar. Das Modell dazu ist aus Schwanthaler’s Atelier hervorgegangen. Zwei andere plastische Monumentalstücke werden in den Reisebüchern nicht erwähnt, weil es nicht üblich ist, den Fremden in Schulsäle zu führen. Die Aula des Gymnasiums schmückt eine Colossalbüste des Herzogs Johann Casimir, den wir noch sehr oft zu nennen haben, und eine andere, die eines der berühmtesten Coburger Landeskinder, des großen Mathematikers Regiomontanus (Johann Müller aus dem coburgischen Städtchen Königsberg in Franken), der dem deutschen Volke seinen ersten Kalender geschrieben hat, beide von dem trotzalledem verlassenen und vergessenen Bildhauer G. von Dornis. Dazu kam neuerdings ein treffliches Relief-Medaillon Rückert’s aus der Zeit, wo er in Coburg seinen Liebesfrühling lebte und dichtete. Am Coburger Wohnhaus des Liebesfrühlingsdichters hat man in Erz den alten Brahmanen verewigt.

Prächtig war die Fahrt am andern Morgen. Wind, Welt und Wetter, Alles frisch und klar, als wir die dumpfen Gassen hinter uns hatten. Da geht’s über die Judenbrücke. Wie grün vor uns der Adamiberg lacht! Was meine Mutter mit Jean Paul da droben erlebt hat, habe ich in der Gartenlaube 1863 (Seite 143) erzählt. Am Bahnhofe vorüber, im Schatten buschiger Hügel dahin. Da erhebt sich links der Jagdthurm, den nach einem Muster aus seinem spanisch-maroccanischen Reisealbum Graf Arthur Mensdorff baute, derselbe, dem wir das Bild von Radhen Saleh (1865, Nr. 25[WS 1]) verdanken. Gleich daneben ragt Thümmel’s Grabsäule auf. Aber rechts ist Rückert’s Neuseß, und nahe an der Landstraße in seinem Garten steht des Dichters Denkmalbüste. Unsere Abbildung giebt sein Haus nicht von der Gartenseite. An dieser saß ich einmal, in der Laube neben der Thür lesend, als der alte Herr, jedenfalls einem drohenden Besuch entweichend, fuchswild zur Thür herauskam und, an mir vorüberschreitend, im besten Fränkisch murrte: „Wenn nur der Teufel die Leut’ holet!“ – Die Rückert-Büste von Ernst Conrad in Hildburghausen ist eine sinnige, wohldurchdachte Arbeit, von wahrer Künstlerhand ausgeführt. Rückert saß 1846 dazu. Die Müller’sche Marmorarbeit danach, die hier als Denkmal steht, verdient ebenfalls alles Lob.

Auf der weitern Fahrt hatten wir den schmucken Callenberg auf seinem grünen Hügel vor uns, bis dieses Grün uns selbst umfing und wir im Schatten desselben bis hinauf zum Schlosse gelangten. Auf diesem seinem Lieblingssitze – und es

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 23

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_325.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)