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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Diese Chroniken beschränken sich indeß wesentlich auf die Mittheilung der That der Ermordung des Comthurs und deren begleitende Umstände. Sie erzählen darüber Folgendes.

Don Juan Tenorio, der Sohn einer vornehmen Familie aus dem Geschlechte der Vierundzwanziger, erstach den greisen Comthur Gonzalo de Ulloa in Sevilla, als dieser die gewaltsame Entführung seiner Tochter hindern wollte. Der Leichnam wurde im Kloster zu St. Francisco, in welchem die Familie eine Capelle besaß, beigesetzt und das Grabmal mit der Statue des Gemordeten geziert. Den Mörder selbst schützte seine hohe Geburt vor dem Arme der Justiz. Indeß gelang es den Mönchen des Klosters, die an dem wüsten Treiben Don Juan’s längst ein Aergerniß genommen hatten, diesen in ihr Kloster zu locken und durch seine Ermordung den Rachegefühlen des Ulloa’schen Geschlechts Genüge zu leisten, wogegen sie nach außen das Gerücht verbreiteten, Don Juan habe die Statue des Comthurs in gotteslästerlicher Weise verhöhnt, da habe ihn diese erfaßt und durch die klaffenden Steinplatten in das höllische Feuer gestürzt. Mit der Zeit trat diese klösterliche Erfindung ganz an die Stelle der Wahrheit und die Kirche hatte damit durch Aufstellung eines Beispiels für das Walten des göttlichen Strafgerichts sich selbst, gleichzeitig aber auch der Poesie ein Verdienst erworben. Es ist bekanntlich dies nicht der einzige Fall, in welchem die Dichtkunst bei der Kirche sich zu bedanken hat.

Englische Forscher haben bei Gelegenheit der Kritik des Byronschen Don Juan herausgefunden, daß ein vornehmes Hidalgogeschlecht, Namens Tenorio, in der That in Andalusien existirt hat, daß unser Weiberheld der jüngste Sohn eines berühmten Admirals aus jenem Geschlechte und der vertraute Freund des castilischen Königs Peter des Grausamen, sein Oberkellermeister und Genosse seiner Unthaten und Grausamkeiten gewesen ist. Es fiele dann sein Leben in die Zeit der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts.

Das schreckliche Ende des Don Juan wurde im Gedächtnisse des Volkes festgehalten und, um dasselbe immer mehr mit der höheren Gerechtigkeit in Einklang zu bringen, seine Person zu einem immer größeren Sünder im Reiche der Liebe, zu einem professionellen Verführer und Lebemann, zu einem dämonischen Verhöhner und Zertreter aller christlichen Lebensordnung hinaufgeschraubt und zu diesem Ende ihm verschiedene abenteuerliche Thaten angedichtet. So wurde unter Anderen folgendes Bravourstück von ihm erzählt.

Nach einem schwelgerisch vollbrachten Tage ging er Abends am Ufer des Guadalquivir spazieren und bat einen am anderen Ufer wandelnden Fremden um Feuer für seine Cigarrette. Sogleich langte dieser Fremde, den Don Juan nur hatte verhöhnen wollen, seinen Arm in immer wachsender Verlängerung über den Fluß herüber, und Don Juan brannte kaltblütig seine Cigarre an dem herübergereichten Feuer der fremden Cigarre an. Dieses Abenteuer ist, wie schon der Brauch des Rauchens andeutet, unserem Helden jedenfalls erst später und zwar zu einer Zeit angedichtet, wo jeder ausschweifende Lebenswandel auf ein Bündniß mit dem Teufel zurückgeführt wurde.

Nachdem so die Sage ein paar Jahrhunderte durch das Mittel der Tradition sich heimlich forterhalten hatte, nahm sich die Dichtkunst ihrer an, sammelte die einzelnen Züge und gestaltete sie zu einem Drama. Die Hand, die dies that, war wieder eine geistliche. Der Predigermönch Gabriel Tellez, Beneficiat des Ordens Unserer lieben Frauen von der Gnade zu Madrid, gab neben vielen anderen Komödien unter dem Schriftstellernamen Tirso de Molina auch ein Schauspiel: „Der Verführer von Sevilla oder der steinerne Gast“ (el burlador de Sevilla y convidado de piedra) 1634 zuerst gedruckt heraus, als dessen Held Don Juan Tenorio figurirt. Erst mit dieser dichterischen Belebung wurde die Figur auch über die Grenzen Andalusiens hinaus bekannt; von da an entwickelt sich erst ihr kosmopolitischer Charakter; sie wird typisch für alle Zeiten, und selbst die in dem Drama weiter auftretenden Personen und vorgeführten Handlungen theilten dieses Schicksal. Es ist also ist diesem Don Juan des Tirso de Molina das zuerst ausgeprägte Original der späteren Don Juane, die in Dramen, Epen, Romanen und im wirklichen Leben spuken, zu suchen. Deßhalb ist es wohl am Platze, die äußerst lebensvolle und bewegliche Handlung dieses Dramas einer kurzen Skizzirung zu unterwerfen.

Wir treffen gleich in der ersten Scene Don Juan mitten in seiner charakteristischen Thätigkeit. Kaum hat er sich in Neapel zum Besuche seines Oheims, des spanischen Gesandten Don Pedro Tenorio eingefunden, nachdem ihn sein Vater bereits wegen Kränkung einer edlen Sevillanerin fortgeschickt hatte, als er der Herzogin Isabella unter der Maske ihres Verlobten Don Octavio einen nächtlichen Besuch im Palaste des Königs macht. Die den Betrug frühzeitig wahrnehmende Donna ruft nach Hülfe; der König erscheint, läßt Don Juan durch Don Pedro gefangen nehmen, dieser aber den sauberen Vogel, als er in ihm seinen Neffen erkennt, entschlüpfen. Er flieht zur See, leidet unterwegs Schiffbruch, wird ohnmächtig an eine Küste geschleudert und erwacht in dem Schooße eines hübschen Fischermädchens, die eben noch, ehe ihr die zweideutige Gabe des Meeres in den Schooß gefallen, die Freiheit ihres jungen Herzens von jedem Banne der Liebe in begeisternden Versen gepriesen hatte. Don Juan schlägt die Augen auf, nicht um sich des wiedergewonnenen Daseins zu erfreuen, sondern um sofort zu entdecken, daß es in der That ein allerliebstes Mädchen ist, die ihn in ihren Armen hält. Diese Entdeckung und der Entschluß, das Entdeckte zu besitzen, fallen bei ihm stets zusammen. Sie bilden nur einen Moment. Und so öffnet er den Mund auch nicht etwa um seiner Retterin zu danken, sondern um ihr ahnungsloses Herz sofort mit den verführerischsten Schmeichelreden zu bestürmen und durch die heißesten Schwüre an sich zu ketten. Die Aermste empfindet zu spät, wie weit gefährlicher es ist, Menschen statt, wie sie seither that, Fische zu angeln. In der über sie jäh hereinbrechenden Erkenntniß ruft sie ihre Nachbarn, ihre bisher abgewiesenen Freier zur Verfolgung des Treulosen auf, dem sie in der Unschuld ihres Glaubens an seine Treue sogar selbst zur Flucht verholfen, und stürzt sich reuegefoltert in das Meer.

Don Juan ist indessen wieder ist seiner Vaterstadt Sevilla angelangt. Auch Don Octavio ist dahin gegangen, um Jenen wegen des Attentats auf seine Verlobte anzuklagen. Des Letzteren Vater erhebt lauten Jammer über das wüste Treiben seines Sohnes, den der König nach der Anklage Octavio’s aus Sevilla verbannt. Don Juan beantwortet solche väterliche „Moralpredigten“ mit Spott und Hohn, ist indeß wieder im Begriffe, ein neues galantes Abenteuer auszuführen. Diesmal gilt es der Geliebten seines eignen Freundes und einstigen Genossen seiner Thaten – in einem solchen Falle kehrt er sich weder an Freund noch Feind –, des Marquis de la Mota, eines gewöhnlichen Wüstlings, der auf noch weit niedrigerem Niveau steht als Don Juan. Des Freundes rother Mantel übernimmt die Täuschung, aber der Betrug gelingt auch diesmal nicht. Die Dame, auf deren Herz es abgezielt war, ist die Tochter des Comthurs Gonzalo de Ulloa, Donna Anna. Auf ihr Hülfegeschrei kommt der Vater hinzu, fällt Don Juan an und wird von diesem erstochen. Don Juan entkommt, und der eben eintreffende Freund gilt als Mörder. Dieser taucht hierauf bei einer bäuerlichen Hochzeitsfeier wieder auf. Die Braut hat das Verhängniß, ihm zu gefallen, und er weiß durch ein wahrhaft raffinirtes Mittel den eifersüchtigen Bräutigam sich vom Halse zu schaffen. Er macht ihm weis, seine Braut habe bereits mit ihm die Treue gebrochen. Mit einer solchen Braut mag selbst ein Patricio nichts mehr zu schaffen haben. Er verläßt sie; Don Juan hat freies Spiel und seiner überlegenen Rede und einigen kräftigen Eidschwüren gelingt es sehr bald, das Herz der ländlichen Schönen zu erobern.

Diesen beiden Figuren begegnen wir als Zerline und Masetto im Mozart’schen Don Juan. Die Grundzüge ihrer Charaktere sind hier beibehalten, wenn auch in etwas weiterer Ausführung. Die Fischerin Tisbea ist nicht mit aufgenommen.

Damit enden zunächst die Liebesabenteuer unseres Helden. Die verlassenen und gekränkten Geliebten treten nun an der Seite ihrer betrogenen Freier als Rächerinnen auf. Auch das Fischermädchen ist unter ihnen. Einer ihrer Werber hat sie aus der See gefischt. Der Uebermuth des siegreich über die Mächte der Erde triumphirenden Don Juan ist auf’s Höchste gestiegen. Er wagt sich jetzt auch an die Mächte des Jenseits. Er stößt mit seinem ein seltsames Gegenstück von Glaubens- und Todesfurcht bildenden Diener Catalinon, der über die lockeren Thaten seines Herrn immer weidlich schimpft, aber ihn doch nie verläßt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_323.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)