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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 19.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Die fürstliche Frau hemmte secundenlang ihre Schritte; sah es doch aus, als falle aus den Lüften ein schwarzer Schleier verdüsternd über die strahlende Erscheinung; die schöngebogenen Brauen zogen sich finster zusammen. Dort die milchweiße, silberbestreute Robe, die wie ein Mondstrahl unter all’ den bunten Toiletten flimmerte, schien sie sehr zu befremden; die Frau Herzogin theilte offenbar die allgemeine Verwunderung über das Erscheinen der jungen Frau am heutigen Abende, aber sie schritt sofort weiter, winkte huldvoll grüßend nach allen Seiten, bevorzugte den so lange ferngebliebenen Hofmarschall, indem sie ihm die Hand zum Kusse reichte und ihn in gnädiger und schmeichelhafter Weise auf’s Neue willkommen hieß, und machte es mit glänzender Gewandtheit möglich, im langsamen Vorüberschreiten eine lange Reihe der Eingeladenen mit einigen passenden Worten zu beglücken. Der edelsteinbesetzte Fächer in ihrer Hand sprühte einen bunten Funkenregen, und die gelben Gazewogen schwebten über der nachrieselnden Atlasschleppe wie ein leichtaufsteigendes Dunstgewölk, das die Sonne vergoldet. So stand sie plötzlich vor Liane.

„Ei, sieh da! Wir haben gemeint, die gelehrte Einsiedlerin von Schönwerth sei den geselligen Freuden so abhold, daß eine directe Einladung zu unserem harmlosen musikalischen Abende gar nicht gewagt worden ist,“ sagte sie kaltblütig und gleichsam entschuldigend, daß die junge Frau eigentlich nicht eingeladen sei.

Liane wurde dunkelroth und sah erschrocken zu ihm auf, der sie hierhergebracht hatte; aber es schien, als bemerke er den Verdruß nicht, der die fürstliche Dame so unfein werden ließ.

„Hoheit, man läßt Ausnahmen gelten, wenn große Wandlungen an uns herantreten,“ sagte er in seinem gefürchteten, in Spottlust förmlich getränkten Tone; „aus dem Grunde habe ich die Baronin veranlaßt, mich heute zu begleiten – wir reisen in den nächsten Tagen ab.“

„Wirklich, Baron Mainau?“ rief die Herzogin freudig überrascht. „Diese Orientreise kreist in Ihrem Blute wie ein Fieber. Ich glaube, Sie würden sie antreten, und wenn die Welt in Flammen stünde. … Gut denn! Sie werden endlich reisemüde und dann vielleicht auch ein wenig – umgänglicher zu uns zurückkehren.“ Ihr Gesicht hatte sich aufgehellt; aber gerade, weil sie eben die Bestätigung erhalten, daß die glühend ersehnte Katastrophe in den nächsten Tagen unwiderruflich eintreten werde, empörte sie doppelt die stolze Ruhe und Zuversicht, mit welcher diese junge Frau neben Mainau verharrte. Stand sie nicht mit einem Fuße bereits auf dem Heimwege, der sie nie wieder nach Schönwerth zurückbringen sollte, die Geschiedene? Und doch fiel es ihr nicht ein, die Hand zurückzuziehen, die so fest, „so auf ihr gutes Recht pochend“ auf Mainau’s Arme lag.

„Sie werden sich freuen, Ihr stilles Rudisdorf wiederzusehen?“ fragte sie mit einem feindseligen Seitenblicke nach den verhaßten feinen Fingerspitzen.

„Ich habe die Reise nach Rudisdorf aufgegeben, Hoheit,“ versetzte Liane beklommen und verlegen; es war ihr peinlich, Das auszusprechen, aber der directen Frage gegenüber gab es kein Ausweichen.

Die Herzogin wich unwillkürlich zurück; die graciös gehobene Hand mit dem Fächer glitt schlaff an der knisternden Atlasrobe nieder. „Wie? Sie bleiben?“ – Ein spöttisches Lächeln zuckte um die entfärbten Lippen. „Ah, ich verstehe! Sie sind großmüthig und wollen unsern guten Hofmarschall nicht verlassen,“ setzte sie rasch hinzu, wobei sie huldvoll das Haupt gegen den alten Herrn neigte, der allmählich näher gekommen war. Er hatte, trotz des stark summenden Geräusches im Saale, mit gespanntem Ohre doch jedes Wort erfangen. Jetzt fuhr er in zürnendem Schrecken empor:

„Hoheit, ich muß unterthänigst bitten – Ihr alter getreuer Hofmarschall hat mit[WS 1] diesen Entschließungen durchaus nichts zu schaffen,“ erklärte er, im feierlichen Proteste die Hand auf das Herz legend.

„Das ist wahr; der Onkel hat dabei gar keine Stimme gehabt,“ bestätigte Mainau vollkommen ruhig und ziemlich laut. Fast schien es, als spräche er zu den Umstehenden und nicht zu der Herzogin. „So sehr ich auch stets wünschen muß, ihn in treuen, fürsorgenden Händen zurückzulassen, in dem Falle stehe ich mir doch selbst am nächsten. Ich konnte mich nicht zur Trennung entschließen; deshalb hat meine Frau in ihrer selbstlosen Güte eingewilligt mit mir zu gehen.“

Das klang so selbstverständlich, so ernst und würdevoll, als habe sich dieser Mund nie in verletzendem, frivolem Spotte verzogen, als habe es nie eine Zeit gegeben, wo er die schlanke, schweigende Frau an seiner Seite mitleidslos den bösen Zungen, der gehässigsten Beurtheilung überlassen, ja, sie in dieselbe hinein gedrängt.

Die Herzogin setzte plötzlich ihren hastig und rauschend entfalteten Fächer in Bewegung, als sei es erstickend schwül im weiten Saale geworden. „Also eine neue Caprice, Baron

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „mii“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_299.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)