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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Cabinets“ auf die geheimen Fonds des auswärtigen Amtes fünfundsechszigtausend Franken angewiesen.

Unter der Regierung Ludwig Philipp’s und zwar unter dem Ministerium Guizot im Jahre 1847 ereignete es sich, das dem schwedischen Gesandten in dem Couverte seiner Regierung die für den preußischen Gesandten bestimmten Depeschen übergeben wurden, während der preußische die Depeschen des schwedischen Gesandten erhielt. Die Dunkelmänner des schwarzen Cabinets hatten die Depeschen der beiden Regierungen einfach verwechselt. Correspondenzen, welche auf der Post mit Beschlag belegt waren und für die Anklageacten benutzt wurden, spielten in politischen Processen mehrmals eine Rolle. Indessen scheint unter Ludwig Philipp’s Regierung die Verletzung des Briefgeheimnisses mehr eine Waffe gewesen zu sein, deren man sich ausnahmsweise in gefährlichen Momenten bediente, als eine permanente Instruction; wenigstens hat die Februar-Revolution keine Aufschlüsse zu Tage gefördert, welche das letztere bewiesen.

Nach dem Staatsstreiche gelangte man zur napoleonischen Tradition zurück, und namentlich die Briefe der Verbannten oder nach dem Auslande Entflohenen wurden regelmäßig erbrochen. „Was gilt,“ so schreibt ein von Napoleon’s des Dritten Regierung Verbannter, „die Verletzung des Briefgeheimnisses für eine Regierung, die so Vieles verletzt hatte! Ein frecher Einbruch mehr oder weniger, was liegt daran? Wenn man eine Constitution zerrissen, die Thüren einer Nationalversammlung erbrochen, bei Nacht die Volksvertreter aus ihren Betten ausgehoben, mit Kanonenschüssen die Häuser eines Boulevards in Grund und Boden geschossen, Paris mit Blut besudelt, die Provinzen ausgeplündert hat, sollte man da ein Bedenken haben, einen Briefumschlag zu entsiegeln? Soll man fürchten, gegen Leute indiscret zu sein, die man mit Kartätschen niedergemetzelt hat? Man wird von der Regierung zu Grunde gerichtet, deportirt, ausgetrieben, des Daches, der Familie, der Heimath, des Vermögens, des Glückes beraubt, und diese Regierung sollte ein Bedenken haben, die geheiligte Völkercorrespondenz zu unterschlagen?“

Die ehrlichen Briefträger jenseits des Canals waren anfangs ob des scandalösen Vorgehens der kaiserlichen Post äußerst entrüstet; allmählich gewöhnten sie sich aber daran. Dieser briefliche Verkehr hat allerdings Jahre hindurch gewährt, und Jahre lang hat die bonapartistische Polizei die intimsten Geheimnisse des Privatlebens der Verbannten ausspionirt. Auf Grund eines Beschlusses des Cassationshofes vom 21. November 1853, in dem es hieß, daß „die Correspondenzen, durch welche Attentate gegen den öffentlichen Frieden, gegen das Eigenthum und gegen die Sicherheit der Bürger angezettelt und begangen werden, nicht in die Classe derjenigen gehören, die durch das Gesetz geschützt werden müssen,“ hat die bonapartistische Partei nicht abgelassen, die an die Verbannten adressirten und von diesen geschriebenen Briefe einer geheimen Auslese zu unterwerfen. Und dürfte man sich deshalb wundern, daß seiner Zeit der Briefwechsel des nach Belgien geflüchteten Herausgebers der „Laterne“ ganz besonders die Neugierde der französischen Regierung erregte? Der künftige Seinedeputirte sagte damals ganz witzig, das sicherste Mittel, eine Petition an Herrn Vandal gelangen zu lassen, wäre, diese an Heinrich Rochefort zu adressiren. Der Generalpostdirector Vandal wurde von seinem Eifer so weit getrieben, daß er durch ein besonderes Circulair anordnete, die unter den Behörden Frankreichs vorkommenden Correspondenzen zu controliren, da er auf einen Brief des Grafen Chambord fahndete. Zum Spott wurde dieser Eifer „Vandalismus“ genannt.

Vandal, in Folge dieses Circulairs in der Presse heftig angegriffen, suchte in einer Vertheidigungsschrift Etienne Arago, welcher 1848 Postdirector war, zu beschuldigen, indem er behauptete, daß dieser im Interesse des Fiscus ähnliche Maßregeln getroffen hätte. Arago entgegnete dem General-Postdirector, er möge nur das zu jener Zeit erlassene Circulair veröffentlichen, woraus zur Genüge hervorgehen würde, daß nur die Karten oder sonstige portopflichtige Gegenstände enthaltenden Briefe nicht an die Adressaten bestellt, sondern in deren Gegenwart geöffnet worden seien. Den Beamten sei übrigens auf’s Strengste untersagt gewesen, derartige geöffnete Briefe zu lesen. Es dürfte sonach schwer sein, irgend eine Verwandtschaft zwischen dem Circulair Arago’s und dem des Vandal anzunehmen. Nichtsdestoweniger versuchte Rouher, wenngleich vergeblich, Vandal als gerechtfertigt hinzustellen; er behielt ihn auch trotz seines Entlassungsgesuches als General-Postdirector, und es verblieb im Bereiche der Postverwaltung beim Alten. Das Publicum wurde indessen durch diese Vorkommnisse vorsichtiger.

Uebrigens war das Circulair Vandal’s, welches so großes Aufsehen verursachte, nicht das erste; Vandal hatte deren vielmehr fünfzehn an die Postdirectionen erlassen. Man hatte eine peinliche Untersuchung unter den Beamten angestellt, um zu ermitteln, auf welche Weise Vandal’s geheimes Circulair in die Oeffentlichkeit gelangt sei, und dies geschah so auffallend, daß die Presse, der das Verfahren nicht verborgen blieb, die Vandal’sche Inquisition derartig geißelte, daß von jeder weiteren Untersuchung Abstand genommen werden mußte.

Man muß übrigens anführen, daß das schwarze Cabinet Napoleon’s des Dritten am wenigsten geheimnißvoll bei dem Oeffnen der Briefe zu Werke ging. Vandal beging somit ein großes Unrecht, dies in seiner Vertheidigung nicht anzuführen; vielleicht wäre es ihm gelungen, den Glauben an das Vorhandensein eines schwarzen Cabinets wenigstens unter dem leichtgläubigsten Theile der Franzosen zu zerstreuen. Und in der That hatten schon Personen das Vorhandensein des schwarzen Cabinets bezweifelt, wie aus einem Artikel Ducamp’s hervorgeht, an dessen Schlusse es wörtlich heißt: „Giebt es in der jetzigen Zeit noch ein Cabinet noir?“ Ducamp antwortet mit „Nein“, Montaigne sagt, er wisse es nicht, und Rabelais „vielleicht“. Es ist uns ein Leichtes, durch eine Reihe von Thatsachen zu verbürgen, daß unter Louis Napoleon das schwarze Cabinet in vollster Blüthe stand.

Der Gesandte des Kurfürsten von Hessen bediente sich des schwarzen Cabinets, um der französischen Regierung gewisse Nachrichten, welche er schicklicherweise derselben nicht wohl mittheilen konnte, zur Kenntniß zu bringen, indem er an seine Regierung eine Depesche des Inhalts richtete, daß er Dieses oder Jenes nicht thun dürfe. Diese Depesche übergab er der Post zur Beförderung. Da nun die Späheraugen des schwarzen Cabinets am allerwenigsten diplomatische Correspondenzen und Actenstücke verschonten, so kam der Inhalt selbstverständlich sofort zur Kenntniß der französischen Regierung. Während er dieses einfache Mittel anwandte, die französische Regierung irre zu leiten, ließ er die wirklich geheimen Nachrichten von anderen deutschen Courieren über die Grenze bringen.

Im Jahre 1865 empfing Baron Rothschild in Paris per Telegraph von seinem Londoner Hause die Nachricht, daß ein mit Wechseln beladener Brief an seine Adresse per Post abgesandt worden sei. Die Post kam an, aber nicht der Brief für den Banquier der Rue Lafitte. Baron von Rothschild sandte einen seiner Vertrauten zu dem General-Postdirector Vandal, nach dem Verbleib des avisirten Briefes zu recherchiren. Vandal entgegnete, es sei kein derartiger Brief von London eingetroffen. Der Secretair Rothschild’s zeigte das von London gekommene, das Eintreffen des Briefes anzeigende Telegramm und drohte, wegen des eigenthümlichen Verfahrens bei der britischen Regierung Beschwerde zu führen. Dies wirkte. Vandal begab sich in ein angrenzendes Gemach und kehrte in wenigen Minuten mit dem erwähnten Briefe zurück.

Eine nach Napoleon’s Sturz aufgefundene, mit Randbemerkungen Napoleon’s versehene Note lautet wörtlich: „Die Briefträger Henocq, Decisy, Basson, Hondé, Thibault, welche die Straßen Varennes, Celle, Chasse, St. Nicolas, d’Antin, Caumartin, die Chaussee d’Antin bedienen, sind für Geld der geheimen Polizei im Ministerium des Innern gewonnen, die von Saintomer geleitet wird. Ihr Dienst besteht darin, die Correspondenz der ihnen bezeichneten Personen abzuliefern. Sie werden dabei von Thürhütern unterstützt, die ebenfalls für die Einrichtung gewonnen sind. Sie treten bei der Briefvertheilung in die Loge dieser Thürhüter, geben dort ihre etwaigen Briefe ab und holen sie bei der nächsten Vertheilung wieder. Auf diese Weise entgehen sie dem Verdachte; denn sie können ja zu dem Thürhüter zu kommen haben, um Briefe für die Bewohner des betreffenden Hauses zu bestellen.“

Das Laster hatte unter Louis Napoleon sogar die Hülle abgestreift und liegt in seiner ganzen Nacktheit vor unseren Augen. Jeder Präfect und der Polizeipräfect von Paris hatten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_290.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)