Seite:Die Gartenlaube (1874) 287.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

schmiegte sich so fest an ihn, daß er den unruhigen Schlag ihres Herzens fühlen konnte.

„Raoul!“ flüsterte sie zu ihm hinauf, ihn erinnernd, daß sie da sei. Er fuhr überrascht herum; dieser zärtlich weiche Herzenston von ihren Lippen traf zum ersten Male sein Ohr; zum ersten Male lag ihre ganze Seele unverschleiert in den großen stahlfarbigen Augen, welche die seinigen suchten – angesichts der eintretenden Herzogin, des ganzen Hofes verrieth ihm ein einziger angstzitternder Laut, daß seine Liebe erwidert werde.


(Fortsetzung folgt.)




Ein Berg- und Strom-Bezwinger.


Vor wenigen Wochen beging in Wien der österreichische Ingenieur- und Architekten-Verein sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum, nachdem nur sieben Tage vorher der Präsident desselben durch eine neue außerordentliche Leistung in seinem Berufe abermals dargethan, daß er seiner Stellung an der Spitze eines so bedeutenden Vereins vollkommen

Wilhelm Ritter von Engerth.

würdig sei. Die letztere Leistung ist das bereits vielbesprochene und oft abgebildete Eissperrschiff, welches den Wiener Donaucanal vor Vereisung und die Vorstädte Wiens an der Donau vor Ueberschwemmung beschützen soll und das am dreizehnten December vorigen Jahres seiner Bestimmung übergeben worden ist. Da nun derselbe Mann nicht blos wegen seiner Präsidentschaft bei dem genannten Verein, sondern zuerst wegen der von ihm construirten Gebirgslocomotive für die Semmeringbahn, dann als Mitglied der Donauregulirungs-Commission und als Chef-Ingenieur der Wiener Weltausstellung sich längst einen geehrten Namen erworben, so kommen wir gern dem Seitens unserer Leser mehrseitig ausgesprochenen Wunsche entgegen, diesen hervorragenden Meister der Ingenieurkunst, Wilhelm Ritter von Engerth, in Wort und Bild hier darzustellen.

Engerth ist nicht vom Glück verhätschelt, sondern vom Schicksale zeitig auf sich selbst angewiesen worden. Ein Preußisch-Schlesier deutscher Abkunft, 1814 in Pleß geboren, widmete er, der frühverwaiste Sohn eines armen Malers, sich der Baukunst, gab aber die bereits erlangte Stellung als Architekt auf, um sich mit ganzer Kraft auf das Maschinenfach zu werfen. Als Professor der Mechanik an dem Wiener Polytechnikum und seit 1848 in gleicher Würde am Joanneum in Graz trat er bald in Beziehungen zu den ersten Capacitäten der Landwirthschaft und Industrie, wurde Vorstand einer Abtheilung des damals eben im Aufblühen begriffenen österreichischen Gewerbevereines und fungirte bei der Weltausstellung in London sowie bei der Münchener deutschen Industrieausstellung als Preisrichter. Auf der Pariser Weltausstellung (1855) zeichnete er sich schon durch seine eigenen Leistungen im Maschinenwesen aus und erhielt die große goldene Ehrenmedaille.

Noch während er die Lehrkanzel beherrschte, wurde sein Rath in Fragen des Eisenbahnwesens häufig begehrt. Als nun Ghiga die Semmeringbahn gebaut hatte, fehlte der zweite und wichtigste Factor, die berganfahrende Locomotive. Man schrieb Concurse aus, aber die Praxis spottete der Theorie; keine der preisgekrönten Constructionen vermochte vollständig zu entsprechen. Da traf mit sicherem Blicke Engerth das Richtige. Durch Vergrößerung der Heizfläche und des Adhäsionsgewichtes löste er das Problem, welches seit Jahren die Maschinen-Ingenieure beschäftigt hatte. Frankreich zuerst bestellte in deutschen Fabriken Locomotiven des Engerth-Systems und bald standen dieselben in der ganzen Eisenbahnwelt in erfolgreicher Verwendung. Engerth’s stetige Leistungen als Rathgeber der Regierung ist den wichtigsten wissenschaftlichen und volkswirthschaftlichen Fragen, seine Wirksamkeit als General-Director der österreichischen Staatseisenbahn-Gesellschaft, eines Schienencomplexes von nahezu zweihundertfünfzig Meilen, sein fachlicher Einfluß als Vorstand des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereines, sein humanes Wirken zur Verbesserung des Looses der Beamten und der Arbeiter sind mehrfach öffentlich besprochen und gewürdigt worden. Auch in der Donauregulirungsfrage (vergleiche Gartenlaube 1870, Seite 378) leistete er Tüchtiges. Von ihm hat man ein meisterhaftes „Exposé“, das namentlich auf Kaiser Franz Joseph, hinsichtlich der sofortigen Ausführung der Donauregulirung in ihrer heutigen Gestalt, bestimmend eingewirkt haben soll.

Engerth’s wesentlicher Antheil an der Beplanung und Durchführung der Wiener Weltausstellung ist seiner Zeit von der Tagespresse nach Verdienst gewürdigt worden und es bedarf hier nur der Hinweisung darauf, da uns der Raum dieses Blattes nicht gestattet, seine desfallsige Thätigkeit in’s Einzelne zu verfolgen. Dagegen möge noch ein Blick auf seine jüngste, oben bereits erwähnte Leistung geworfen werden. Als es sich nämlich darum handelte, für den Wiener Donaucanal eine Absperrvorichtung herzustellen, um den Eintritt der Eismassen in denselben abzuhalten und so die eigentliche Ursache der jährlichen Ueberschwemmung eines der bevölkertsten und dem lebhaftesten Verkehre angehörigen Theiles von Wien zu heben, war Retter in der Noth abermals Engerth, und zwar durch das Project des Schwimmthores, welches, wie ebenfalls oben bereits bemerkt, im letzten Winter seine Probe zu bestehen hatte.

Um den Eintritt der Eismassen in den Donaucanal zu verhindern und doch das Durchfließen der normalen Wassermenge zu gestatten, sperrte Engerth den Canal mittelst eines schwimmenden eisernen Schiffes, das er querüber vor der Mündung des Canals unweit Nußdorf aufstellte und an zwei an den Ufern angebrachten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_287.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)