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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Beide Ehegatten theilten sich gewissermaßen in das Wesen des Königs; die Erbprinzessin erfaßte die ideale Seite desselben, den Dichter, den Denker, den Menschen; der Erbprinz verstand nur den König, der die besten und schönsten Soldaten mit den steifsten Seitenlocken und Zöpfen hatte, und der anerkannt der erste Exercirmeister Europas war. Wenn schon zwischen den blühenden Gefilden des Elsasses und den Haiden der Uckermark sich für die naturgestimmte Erbprinzessin einiger Unterschied ergeben mochte, so schien sie mit den reichen Gaben ihres Geistes und dem Schatze ihrer Bildung doch den einen Ausgleich gefunden zu haben. Und dann erkannte sie in jeder Bewegung der Bataillone, die der Erbprinz mit Eifer exercirte, in jeder Maßregel der Regentenfürsorge des Königs seinen Geist – war sie doch hier in dem reizlosen Städtchen der Mark den Aeußerungen

Denkmal der Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt.
Nach der Natur aufgenommen von Nestel.

seiner gewaltigen Persönlichkeit näher als daheim im Elsasser Land. Und wenn es am Ende gar nicht mehr länger gehen wollte, dann war Potsdam ja wohl nur eine Tagereise von Prenzlau entfernt.

Dem alten Nimrod von Darmstadt, Landgrafen Ludwig dem Achten, dem Vater des Erbprinzen, der von seinem Jagdschlosse Kranichstein mit einem Gespann von Hirschen in seine Residenz zu fahren pflegte, ihm war der Eintritt seines Sohnes in preußische Dienste eine Quelle großen Kummers. Von jeher war die darmstädtische Linie des Hauses Hessen gut kaiserlich gesinnt gewesen; zudem hatte er in seiner Jugend in der österreichischen Armee gedient und war von der jugendlichen Maria Theresia ob seiner herrlichen Erscheinung stets sehr wohlgefällig bemerkt worden. Ja, eine Zeit lang wurde in den Kreisen des Wiener Hofes die Möglichkeit einer Verbindung der Tochter Karl’s des Sechsten mit ihm ganz ernsthaft in Erwägung gezogen, bis diese dann zuletzt, wohl mehr aus religiösen Rücksichten, den Lothringer Franz dem schönen Hessenprinzen vorzog.

Aber in dem alt gewordenen Liebhaber war der Kaiserin darob kein Gegner erwachsen – im Gegentheile blieb er durch sein ganzes Leben ihr in ritterlicher Treue zugethan, und nun mußte er den Sohn in den Reihen ihres Feindes sehen! Das ließ er bis zum Beginn des siebenjährigen Krieges gewähren, aber dann setzte er Alles in Bewegung, um den Erbprinzen aus der preußischen Armee zur Rückkehr nach seinem Erblande zu vermögen. Er erreichte es, gewiß nicht ohne Einfluß der Erbprinzessin. Sie war dem alten Landgrafen mit kindlicher Liebe zugethan, und jedenfalls ging es nicht ohne Kämpfe ab, wobei sie ihren Gemahl wohl an die Pflichten eines Sohnes gegen den Vater erinnert haben mag. Im Uebrigen kannte sie den erhabenen Sinn ihres königlichen Freundes zu gut, als daß sie aus diesem Schritte, den Pietät und vielleicht auch politische Nothwendigkeit vorschrieben, ein Erkalten ihrer durch persönliche Begegnung noch erhöhten freundschaftlichen Gefühle hätte besorgen müssen. Aber mit wie schwerem Herzen mag sie im Jahre 1756 von Potsdam, vom Könige geschieden sein! Dann saß sie wieder in dem stillen Buchsweiler, während der Erbprinz in dem pfälzischen Pirmasenz, auf seinem eigenen Grund und Boden seiner Soldatenliebhaberei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_279.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)