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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

welches für diese Art von Kunst, seiner Vergangenheit gemäß, kein günstiger Boden war, gehörten sie zur Tagesordnung.

Künstlergeister von ganz anderem Schlage hatten hier in der Hauptstadt des jungen preußischen Staates und des ganzen protestantischen Norddeutschland gearbeitet und gewirkt. Es waren Talente voller Mark und Charakter; in der Natur sahen und verehrten sie „aller Meister Meister“. Nicht mit literarischen Träumen hatten sie ihre Phantasie befruchtet; aus der scharfen, unbefangenen Beobachtung, aus dem eindringenden unablässigen Studium der Natur hatten sie ihre Kraft gesogen, den Geschöpfen ihrer reichen Einbildungskraft wahrhaft lebensfähige und unvergleichlich lebendige Gestalt zu geben: Andreas Schlüter, Daniel Chodowiecky und Gottfried Schadow. Ihre von dem deutschen Künstlergeschlecht der dreißiger Jahre nach ihrer wahren Bedeutung zu wenig gewürdigten und verstandenen Meisterwerke wurden die eigentlichen Quellen der künstlerischen Bildung A. Menzel’s. Wohl zeichnete er für die Hofkunsthandlung von L. Sachse und Andere Titel- und Gedenkblätter, Illustrationen, freie phantastische Compositionen, Neujahrskarten, Arabesken, Randbilder, Etiquettes, Fest- und Tischkarten, Alles und Jedes, was bei ihm bestellt wurde, mit der Feder oder der lithographischen Kreide auf den Stein, um seine und der Seinen Existenz zu erhalten. Aber zugleich wußte er Zeit zum ernstlichsten Studium zu gewinnen. Und auch jede jener kleinen Erwerbsarbeiten trägt den Stempel dieses hohen und reinen Strebens; jede überrascht durch originelle geistreiche und phantasievolle Erfindung, durch den Ernst und die Solidität, die tiefe künstlerische Gewissenhaftigkeit, die reiche Naturkenntniß, welche sich in der zeichnerischen Lösung auch der geringsten Aufgabe noch bekundet. Aus der unabsehbaren Menge derartiger Jugendarbeiten Menzel’s seien hier nur die Einzelblätter: „das Vaterunser“, „die fünf Sinne“, von den cyclischen Werken „Künstlers Erdenwallen“, „Blätter aus brandenburgisch-preußischer Geschichte“, „das Gedenkbuch“ (Alle in Sachse’s Verlag) genannt.

In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre schrieb Franz Kugler seine schon oben erwähnte populäre „Geschichte Friedrich’s des Großen“, die bei J. J. Weber (jetzt bei Mendelssohn) in Leipzig erschien. Sie sollte ein Gegenstück zu dem bekannten französischen Werk „Das Leben Napoleon’s“ von Laurent, mit den Holzschnittillustrationen von Horace Vernet bilden. Ein richtiger Tact ließ ihn den jungen Menzel wählen, die Illustrationen des Buches auszuführen. Dieser nahm den Auftrag an und ging mit dem ihm eigenen Ernst an’s Werk. Er machte sich durch das genaueste Studium alter Denkmale und erhaltener Zeugnisse des achtzehnten Jahrhunderts dessen gesammte Erscheinungsformen, Menschen, Architekturen, Sitten so zu eigen, wie es Keinem vor noch nach ihm gelungen ist. So erreichte er es, mit der Welt und Zeit des großen Königs auf’s Intimste vertraut zu werden. Ihre Charaktere, Scenen, Localitäten, jede ihrer Lebensäußerungen in Krieg und Frieden sah er „mit seines Geistes Aug’“ so genau und richtig, wie die ihn umgebende Wirklichkeit, und verstand es, sie demgemäß zu gestalten und somit dem preußischen Volke seines echten großen Friedrich’s Bild zuerst so wieder zu geben, wie es der Art und Größe dieses Königs und Helden entsprach. Aber diese Illustrationen haben für uns noch eine andere wichtig und folgenreich gewordene Bedeutung. Von ihnen ist der neue prächtige Aufschwung des deutschen Holzschnitts ausgegangen, des ersten und segensvollsten unter allen Mitteln, das Kunstschöne zum Gemeinbesitz des ganzen Volkes werden zu lassen, wozu später (sie kann es ohne falsche Bescheidenheit sagen) auch die „Gartenlaube“ ihr redlich Theil und mit vollem Erfolge beigetragen hat. Und an diesen bewundernswerthen Arbeiten bildete sich die künstlerische und technische Kraft der an ihrem Facsimileschnitt thätigen Xylographen Unzelmann, A. und O. Vogel, Kretzschmar, Georgy, Ritschl, zur Meisterschaft heran.

Friedrich Wilhelm der Vierte beauftragte A. Menzel 1842 mit der Illustrirung der Prachtausgabe der Werke Friedrich’s des Großen. Bis zum Jahre 1849 hat ihn, allerdings neben einer Menge gleichzeitiger anderer Arbeiten, diese Aufgabe beschäftigt. Wohl ohne Gleichen in der gesammten illustrirenden Kunst ist eine solche Vereinigung aller besten und wichtigsten Eigenschaften wie hier: diese Spiegelung, dieses reine Wiederstrahlen des Geistes des darin illustrirten Autors und seiner Epoche, diese Fülle des Ideengehalts, des Witzes, des Tiefsinnes, der Poesie, dieser umfassende Reichthum des künstlerischen Könnens und Wissens, diese Beherrschung des ganzen weiten Gebietes der Phantasiewelt, wie der wirklichen, der menschlichen wie der landschaftlichen.

Die Beschäftigung mit dem Zeitalter Friedrich’s des Großen führte Menzel in demselben Jahrzehnt zu einer der merkwürdigsten und eigenartigsten künstlerischen Unternehmungen, zu deren Durchführung in so eminenter und vollendeter Weise es eben einer Willensenergie, Arbeitskraft und Consequenz wie Menzel’s, aber auch zugleich einer so divinatorischen Phantasie wie der seinigen bedurfte. Es ist das die von ihm in dreihundert Blättern mit der Feder auf den Stein gezeichnete Galerie der Truppentypen und Uniformen der „Armee Friedrich’s des Zweiten“. Er benutzte die noch vorhandenen erhaltenen Montirungs-, Waffen- und Ausrüstungsstücke, um alle jene lebendigen soldatischen Instrumente der Thaten des großen Königs, mit ihnen bekleidet und gerüstet, noch einmal in voller überzeugender Wahrhaftigkeit und Charakterechtheit in diesen erstaunlichen Zeichnungen vor unserem Blick heraufzubeschwören. Das berühmte Werk existirt nur in kaum mehr als dreißig Exemplaren im Besitze großer öffentlicher Bibliotheken und Museen. Die Platten sind, nach dem Abzuge jener – vernichtet.

In ähnlicher Weise hat Menzel im Anfange der fünfziger Jahre die Generale, die Paladine des großen Königs, wieder „lebig“ gemacht, indem er sie in charakteristischen Situationen auf Holz zeichnete, die dann, in A. Kretzschmar’s Institute geschnitten, bei A. Duncker in Berlin, mit Text vom Verleger erschienen.

Während dieser illustrirenden und zeichnerischen Thätigkeit, welche so manches arbeitsvolle Jahr seines Leben in Anspruch nahm, hatte er dennoch nie die malerische ruhen lassen. Mit der Gleichgültigkeit und dem Unverständnisse des damaligen Ausstattung- und Liebhaberpublicums hatte er manchen Kampf zu bestehen. Weil die ergreifenden Bilder der Natur, des gegenwärtigen und des historischen Lebens, wie er sie schuf, von allem theatralisch-declamatorischen Phrasenwesen, woran die zeitgenössische Modekunst uns gewöhnt hatte, frei waren, sprach man wohl ihrem Maler die Fähigkeit ab, die Sinne zu entzücken, die zarten Seelen zu rühren, nannte ihn wohl den „Maler des Häßlichen“. Auf der großen Berliner Kunstausstellung von 1850 erst schlug er siegreich durch mit jenem jetzt in der Berliner Nationalgalerie befindlichen Oelgemälde, welches seinen bisherigen Lieblingshelden Friedrich den Zweiten, umgeben von den Männern seiner geistigen Tafelrunde, Voltaire, d’Argens, Maupertuis, Lord Keith etc. im runden Speisesaale zu Sanssouci darstellte. Schnell folgten die anderen berühmten Gemälde aus Friedrich’s Leben: „Das Flötenconcert zu Sanssouci“ (1854 für zweitausendfünfhundert Thaler an einen Liebhaber verkauft, 1873 von Banquier Magnus Herrmann in Berlin um – dreißigtausend Thaler erstanden), 1856 „König Friedrich und die Seinen bei Hochkirch“ (im Besitze des Kaisers, im Berliner Schlosse), 1858 „Friedrich der Zweite auf Reisen“.

Mit einem der umfangreichsten künstlerisch und geistig bedeutendsten Werke seines Lebens, „Der König im Kreise seiner Generale am Morgen der Schlacht von Leuthen“, beschäftigt, rief ihn lange vor dessen Vollendung der Auftrag ab, das große Bild der Krönung König Wilhelm’s des Ersten in Königsberg zu malen. Eine, Dank der Menzel’schen Art, sie aufzufassen und anzugreifen, unendlich mühevolle und langwierige Arbeit! Nicht nur ein großes Kunstwerk, vor Allem ein unschätzbares historisches Denkmal, das wahrheits- und geistgetreue Spiegelbild des ganzen officiellen Preußen, aller Hauptträger seiner Staats- und Waffenmacht hat Menzel darin geschaffen.

Seit dieses Werkes Abschluß wandte er sich fast ausschließlich der Malerei von Bildern aus dem Leben der Gegenwart, und meist kleinen Maßstabes, zu. An Erfindungs-, Beobachtungs- und Darstellungskraft wie in der malerischen Kunst schien sein Talent noch fort und fort zu wachsen. Seine Kunst ist der beste und kräftigste praktische Protest gegen jene noch immer in unserer Kunstlehre spukende zopfige Rubricirung, Ordnung und Unterordnung der malerischen Gattungen nach ihren Gegenständen. Wo er die Welt und das Leben – und nicht blos das „volle Menschenleben“ – packt, da ist’s interessant.

Von Menzel’s neueren Oelbildern führe ich hier einige der bekanntesten an: „Der Tuileriengarten“, „Die Straße in Paris“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_273.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)