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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

den Pariser Bühenerzeugnissen, und wenn ihnen diese doppelte und dreifache Vaterschaft auch nicht den Erfolg sichert, so verhindert sie denselben keineswegs, wie das Repertoire aller europäischen Schaubühnen hinlänglich beweist.

Geschieht es nun, daß sich ein Verkäufer des Sujets oder des Scenarios mit dem Geldpreise begnügt und bescheiden in der Anonymität bleibt, so sieht man nicht selten auf dem Theaterzettel den Namen eines Mitautors, der zur Vaterschaft des Stückes nicht mehr beigetragen als der Lampenputzer, der nach dem Schlusse desselben im Tempel der Thalia die ägyptische Finsterniß verbreitet. Wie ist dies zu erklären? Ganz einfach dadurch, daß es in Paris Leute giebt, die sich nicht damit begnügen, von Renten leben zu können, sondern auch nach Ehre und Ruhm geizen. Ein solcher reicher, von chronischem Unsterblichkeitskitzel gequälter Mann wendet sich an einen dramatischen Schriftsteller und erwirkt gegen eine bestimmte Summe das Recht, als Mitverfasser eines von dessen Stücken genannt zu werden und den Erfolg mit ihm zu theilen. Wenn aber das Stück durchfällt? So hält ihn die Niederlage durchaus nicht ab, die Coupons ferner abzuschneiden und wie der wirkliche Autor auf das Publicum als auf ein vielköpfiges Ungeheuer zu schimpfen, das kein wahres Kunstwerk zu schätzen wisse, oder über Intriguen zu klagen, welche das Fiasco herbeigeführt. Jedenfalls genießt er die Befriedigung, seinen Namen in den Blättern zu lesen und seine Mitarbeiterschaft von seinen näheren Bekannten weniger bezweifelt zu sehen, als wenn das Stück mit Beifall aufgenommen worden wäre.

Ich brauche nicht erst besonders zu bemerken, daß es eben so selten Talente unter den Millionären giebt, wie Millionäre unter den Talenten; merkwürdig ist es aber, daß die reichen Leute, die gewöhnlich mit einem gewissen Mitleiden auf die Talente herabsehen, doch selbst als Talente gelten möchten. Es giebt Rentner, die sich als Maler, Andere, die sich als Musiker, wiederum Andere, die sich als Schriftsteller einen Namen erwerben wollen. Sie lassen sich ihr Farbengeklecks von einem befreundeten Maler, ihre Arien von einem Tonkünstler, ihre Verse mit den verwachsenen Füßen von einem Dichter ausbessern, und ihre Namen prangen dann in den Katalogen der Kunstausstellungen, auf Concertprogrammen und in Gedichtsammlungen. Ich kenne einen Millionär, der die Musen liebt, ohne von ihnen geliebt zu werden, und da sie bei ihm nicht freiwillig einkehren, so zieht er sie bei den Haaren herbei. Er ist nicht damit zufrieden, sein Clavier vom frühen Morgen bis spät am Abend so zu quälen, daß es vor Schmerz und Zorn ein Zetergeschrei erhebt und die Ohren der Nachbarschaft zerfleischt, er will auch als Operncomponist mit Meyerbeer um die Palme ringen. Da nun kein Theaterdirector sich dazu verstehen mag, die Werke des reichen Musenliebhabers in Scene zu setzen, so bezahlt dieser außer den beträchtlichen Kosten der Aufführung noch obendrein dem Director und der Claque eine bedeutende Summe und hat dann das Vergnügen, mit dem einfältigen Kinde seiner musikalischen Laune das Publicum einen oder zwei Tage gähnen zu machen.

Ich kenne einen Andern, der an der Börse ein großes Vermögen erworben und jetzt in seiner Zurückgezogenheit durchaus als Gelehrter gelten will. Er giebt jungen Gelehrten große Diners, läßt sich von Einigen derselben die Notizen sammeln, von den Anderen die einzelnen Capitel ausarbeiten und schickt unter seinem Namen das zusammengestoppelte Buch in die Welt. Es fehlt dann auch nicht an Recensenten, welche sich die Straßburger Gänseleberpasteten, die getrüffelten Feldhühner, den Château Laffitte und die Havannacigarren vortrefflich schmecken lassen und aus Dankbarkeit das Werk loben, das nicht seinen Meister lobt.

„Namen thun nichts zur Sache“, sagt das deutsche Sprüchwort. Das deutsche Sprüchwort sagt aber auch: „Jedes Kind muß einen Namen haben“. Nun giebt es aber Kinder, die durch gewisse Umstände verhindert sind, den Namen ihres Vaters zu tragen. Man wendet sich in einem solchen kritischen Falle, besonders wenn er sich in angesehenen Familien ereignet, an irgend Jemanden, der einen stolzen Namen trägt und sich gegen eine erkleckliche Summe dazu versteht, ihn dem Neugeborenen zu geben. Ein unter dem zweiten Empire viel genannter Staatsmann hat einen solchen Namen getragen. Es kommt auch wohl vor, daß eine Dame in die Lage kommt, sich in aller Eile zu verheirathen. Man wendet sich dann an einen hochbetagten Mann, der niemals ein Ehejoch getragen, und er läßt sich gegen eine mehr oder minder bedeutende Geldsumme verheirathen. Er sieht seine Zukünftige, der er seinen Namen giebt, nur einmal, um sie niemals wiederzusehen; oder man weiß es so einzurichten, daß er sie auch nicht ein einziges Mal sieht. Ist er rücksichtsvoll genug, schnell das Zeitliche zu segnen, so tritt seine Wittwe zum zweiten Male in die Ehe, diesmal aber alles Ernstes und ohne erst den Gatten ein züchtig Jahr zu betrauern.

Steigen wir nun in die alleruntersten Schichten der Gesellschaft, wo auch häufig sehr sonderbare Geschäfte gemacht werden.

Jedermann weiß, daß es in Paris Lumpensammler giebt, die während der Nacht, mit einer Butte auf dem Rücken, mit einer kleinen Laterne in der Linken und einem Haken in der Rechten, die Straßen durchwandeln und aus jedem Kehrichthaufen mit geübter Hand das Brauchbare an den Haken spießen und in die Butte werfen. Unter diesen Chiffonniers sind nicht nur beide Geschlechter, sondern auch jedes Alter vertreten; doch sind sie nicht Alle an Intelligenz und Manieren gleich. Es giebt unter ihnen Individuen, die sich in den Vierteln, wo sie des Nachts ihr Sammlertalent ausüben, so beliebt zu machen wissen, daß das Hausgesinde ihnen den Abhub aufbewahrt. In reicheren Stadtvierteln hat natürlich auch der Kehricht vor der Thür mehr Werth und der Gewinn des Chiffonniers ist dort bedeutender. Will nun ein solch aristokratischer Chiffonnier sich zur Ruhe setzen oder in einem anderen Stadttheile sein nächtliches Gewerbe ausüben, so verkauft er seinen Fonds an einen andern Lumpensammler, den er als einen schätzbaren Nachfolger mit warmen Empfehlungen ausstattet.

Die Individuen, welche sich durch Begünstigung das Recht erworben, vor den Kirchen die Wagen der Ankommenden zu öffnen, haben sich auch nicht zu beklagen. Bei Hochzeits-, Geburts- und Sterbefällen, an Sonn- und Feiertagen fehlt es nicht an Gästen und Andächtigen, die in glänzenden Equipagen anlangen und dem Oeffner des Kutschenschlages ein Trinkgeld verabreichen. Das Individuum, das in der Kirche dem Eintretenden den Weihwedel überreicht, leistet diesen unverlangten Dienst ebenfalls nicht umsonst und gewinnt sein reichliches Auskommen; wie denn überhaupt Alles, was zu dem Kirchenwesen in Beziehung steht, nichts um Gottes willen zu thun pflegt. Auch diese Leute verkaufen nicht selten ihre Stellen, sobald sie ihr Schäfchen im Trocknen haben.

Ich muß noch einer sonderbaren Erwerbsquelle erwähnen, derjenigen der sogenannten „Compères“ oder Helfershelfer. Es giebt in Paris gewisse Geschäfte und Thätigkeiten, die der Compères durchaus nicht entrathen können. Der Compère ist ein schützender Genius, der vor Gefahren warnt. Wenn nämlich Einer seine Waaren auf der Straße feil bietet, wo der Verkauf nicht gestattet ist, oder wenn er solche Waaren feil bietet, welche die Sittlichkeit beleidigen, so ist er fortwährend ausgesetzt, von den Dienern der öffentlichen Sicherheit ertappt und der strengen Themis überliefert zu werden. Ein Compère hält sich deshalb in der Nähe, und sobald sein geübtes Auge einen Polizeiagenten in Uniform oder in Civilkleidern entdeckt, giebt er ein Zeichen, worauf sein Patron sich rasch entfernt, um an einer anderen Stelle seine Waaren an den Mann zu bringen.

Bei schöner Witterung, wenn die Pariser Straßen und Plätze sehr belebt sind, sieht man unzählige Individuen, gewöhnlich junge Leute, die mit einem großen Aufwand von Beredsamkeit allerlei Tand zu einem in der That spottbilligen Preise feilbieten. Uhrketten, Halsketten, Spangen, Ringe und Ohrringe blitzen und glitzern in ihren Händen. Von den Vorübergehenden bleiben manche stehen, bilden einen Kreis um den Verkäufer, bewundern den Glanz seiner Waare und sein oratorisches Talent, das er in seinem „Boniment“ entfaltet. Dieses rothwälsche Wort bezeichnet die hochtrabenden geschwollenen Phrasen, mit welchen ein Quacksalber oder Marktschreier seine Kunst und seinen Kram anpreist. Das Boniment verräth nicht selten mehr Geist und Witz, mehr Phantasie und Humor als die Rede manches Deputirten. Aber was hilft das Boniment, wenn Niemand in den Seckel greift? Da tritt endlich Jemand aus dem Kreise, betrachtet und mustert einige Augenblicke mit stillem Wohlgefallen einen der Gegenstände, bezahlt den Preis dafür und geht bescheiden und schweigend von dannen. Dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_259.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)