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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und suchte nur einen sanften, weiblichen Charakter mit dem Wunsche, daß er sich als repräsentirende Hausfrau, als geduldige Pflegerin des grilligen Onkels und meines Knaben in die gegebenen Verhältnisse hineinleben möge – ich war ein grausamer Egoist. … Der Reisetrieb erwachte auf’s Neue in mir – ich sehnte mich hinaus nach Abenteuern aller Art, auch nach denen mit – schönen, pikanten Frauen – ich war wie mit Blindheit geschlagen. … Die weiße Rose aus Rudisdorf zeigte mir allerdings schon am ersten Tage einen scharfen Dorn, der mich erschreckte – ich stieß auf einen unbändigen Stolz. … Aber sie war auch klug und mir an Geistesschärfe weit überlegen – sie verstand es, ihre körperliche Schönheit, ihren hochgebildeten Geist in die Nonnentracht der strengsten Zurückhaltung zu hüllen – es fiel ihr nicht ein, auch nur einen Finger zu rühren, um den Mann zu gewinnen, der sie verschmäht, mißachtet hatte. … Und so ging ich neben ihr, kalt, spöttisch, über sie hinwegsehend, und nur manchmal durch einen aufsprühenden Blitz erschreckt. … Ich müßte über den Humor der Nemesis lachen, wäre er nicht so entsetzlich bitter. … Ist es nicht kläglich, Ulrike, daß der Mann, der in unverzeihlichem Dünkel sagen konnte: ‚Liebe kann ich ihr nicht geben‘ – nun das Knie vor Deiner Schwester beugen und sie um Verzeihung bitten will? Ist es nicht jammervoll, daß er nun wirbt und fleht um Das, was er zuerst schnöde und achtlos weggeworfen? … Sie will mich verlassen – von gerechtem Mißtrauen gegen mich erfüllt, versteht sie mich absolut nicht. Ein anderes, geübteres Frauenauge hätte längst erkannt, wie es um mich steht, und milde verzeihend und schonend dem Frevler das schwere Eingeständniß seiner totalen Niederlage erspart – aber sie schreitet unbeirrt weiter, ohne zu erwägen, was sie dabei zertritt, und so bleibt mir nichts übrig, als in klaren Worten auszusprechen, daß ich – geistig und moralisch den Tod erleide, wenn Juliane von mir geht.‘“ –

Er war schon bei Beginn seiner Beichte einmal rasch nach dem Fenster zugeschritten – dort stand er noch – kein Blick war auf die junge Frau gefallen. Jetzt wandte er den Kopf nach ihr. Mit der Rechten die Augen bedeckend, tastete sie nach dem neben ihr stehenden Sessel – sie schien vor Bestürzung in sich zusammensinken zu wollen.

„Soll der Wagen vorfahren?“ fragte er, näher an sie herantretend, mit entfärbten Lippen, in athemloser Spannung. „Oder hat Juliane mich gehört und will selbst entscheiden?“

Sie verschlang krampfhaft die Finger ineinander und ließ die Hände sinken – stürzte nicht die Decke auf sie nieder bei diesem jähen Umschwunge?

„Nur ein Ja oder Nein – mache der Qual ein Ende! – Du bleibst bei mir, Juliane?“

„Ja.“ – Dieses „Ja“ kam freilich wie ein zitternder Hauch von ihren Lippen, und doch übte es eine wahrhaft berauschende Wirkung auf den Mann. Mit einem stummen Aufblicke, als werde die Marter einer tödtlichen Angst von ihm genommen, hielt er die bebende Frau in den Armen – dann löste er den Reisemantel von ihren Schultern und schleuderte ihn weithin auf den Boden.

Er küßte sie auf den Mund. „Das ist die Verlobung, Juliane – ich werbe um Dich in tiefer, inniger Liebe,“ sagte er feierlich ernst. „Nun mache aus mir, was Du willst! Du sollst Zeit und Gelegenheit haben, Dich zu prüfen, ob Du mich dereinst auch wirst lieben lernen, die Du jetzt nur in echt weiblicher Milde und Barmherzigkeit verzeihst. … Wer mir noch vor einem halben Jahre gesagt hätte, daß ein Frauencharakter mich bezwingen würde! … Nun, Gott sei Dank, noch bin ich jung genug, um mein Lebensschiff zu wenden und glücklich zu werden! Sieh, so wie ich Deine schmiegsame Gestalt jetzt halte, wie sie mich nicht mehr zurückweist mit Händen und Augen, so hingebend bist Du nun auch meine – Liane.“

Er führte sie in das blaue Boudoir. „Himmel, wie magisch!“ rief er. Sein Blick flog über die glänzenden Wände, um dann wie trunken auf dem lieblichen Antlitze seiner jungen Frau zu ruhen. „Ist das wirklich das verhaßte Zimmer mit den penetranten, erstickenden Jasmindüften und den Polstern der Faulheit?“

Auf dem Tische brannte nur eine Lampe unter rothem Schleier – ein rosiger Schein färbte schwach die Atlasfalten. Mainau hatte dieses Zimmer früher ganz anders, ja feenhaft beleuchtet gesehen – Liane wußte von Leo, daß die Appartements der „ersten Mama“ stets in einem Lichtmeer geschwommen hatten. Mit stürmisch klopfendem Herzen sagte sie sich, daß es nur die Morgenröthe der neuen Glückseligkeit sei, die dem Mann an ihrer Seite plötzlich Alles verkläre. War ihr doch auch, als flimmere es magisch um jeden weißen Azaleenkelch in der dunkelnden Fensternische, ja, als müsse ein Flüstern von dort ausgehen, ein seliges Flüstern der kleinen Blumenseelen, die sie, umstürmt von Kämpfen aller Art, dennoch treu gepflegt, und die nun ihr verschämt schweigendes Glück sehen konnten, besser als er, der sich noch ungeliebt glaubte.

„Und nun die einzige und letzte Frage, bezüglich des Vergangenen, Liane!“ sagte er, in leidenschaftlicher Bitte ihre Hände an seine Brust ziehend. „Du weißt nun, was mich vorhin droben im Salon so hart, so wahnwitzig ungerecht gegen Dich gemacht hat; Du weißt auch, daß ich in Wirklichkeit an eine Schuld Deinerseits nie geglaubt – stünde ich sonst hier? … Der vergiftende Hauch des verhaßten Schwarzrockes hat Dich nicht berühren dürfen – darauf will ich schwören, und doch – ich kann nicht ruhig werden, Liane! … Ich habe das Gefühl, als würde mir der Hals zugeschnürt, wenn ich mir, inmitten meines Glücktaumels, den räthselhaften Augenblick vergegenwärtige, wo ich Dich mit erschrecktem Gesicht in der halben Dämmerung stehen sah und seine Stimme hörte, die dem Onkel Schweigen auferlegen wollte. … Was führte Dich zu so ungewohnter Stunde in den halbdunklen Salon?“ …

Und sie erzählte ihm mit fliegendem Athem, aber klar und besonnen, Alles. Sie beschrieb ihm, wie sie die Fälschung, die sie auf den Wink der Löhn hin vermuthet, entdeckt hatte. Bei der Schilderung dieses abscheulichen Betruges, den er unfreiwillig jahrelang begünstigt, stand Mainau wie eine Bildsäule, keines Wortes mächtig – er war auf schamlose Weise dupirt worden; der intriguante Jesuit hatte ihn spielend am Gängelband geführt, und er hatte agiren müssen, wie es diesem schlauen Kopf beliebte. Und der arme Knabe, den jener Zettel kurz und bündig als Bastard von niedrigster Herkunft bezeichnet und verstoßen, er hatte unter dem furchtbarsten Druck, unter allseitiger Verachtung und Schmähung seine schönsten Kinderjahre hinschleppen müssen; er war getreten und in den Ecken umhergestoßen worden, in den Ecken des Schlosses, das dem Manne gehört, dessen einziges Kind er gewesen. … Liane meinte, das Knirschen der Zähne zu hören, ein so gewaltsam verbissener Grimm entstellte Mainau’s Gesicht – es war aber auch ein allzu jähes Aufrütteln aus dem blindesten Glauben und Vertrauen.

Nun kam sie an jenen Moment, wo der Hofprediger Brief und Zettel in das Kaminfeuer geworfen. Schamhaft vermied sie, ihre Lippen mit der Wiederholung seiner leidenschaftlichen Bitten und Klagen zu beflecken; sie deutete kaum die Motive seiner verbrecherischen Handlungsweise an, und doch war es um Mainau’s Selbstbeherrschung geschehen. Er stürmte wie ein Rasender im anstoßenden Salon auf und ab – dann kam er plötzlich herüber und zog die junge Frau in seine Arme. „Und ich ließ Dich allein in den Klauen des Tigers, während ich jenes verachtete Weib schützend heimgeleitete!“ klagte er.

Sie redete ihm sanft und beschwichtigend zu, und mit diesem Moment begann ihre Mission als Frau, als treue Gefährtin und Beratherin. Doppelt süß klang diese besänftigende Frauenstimme gerade in den Räumen, die einst Zeugen heftiger ehelicher Auftritte gewesen waren. Wie keusch zurückhaltend und doch wie mild stand diese zweite Frau unter dem blau atlassenen Wolkenhimmel, der auch auf jenes launenhafte, verzogene Wesen niedergesehen, wenn es bald wie eine kleine Katze geschmeidig zusammengerollt, nichts denkend und träumend, halbe Tage lang zwischen den Polstern geruht, bald als graciöser, schöner, aber bitterböser Engel umhergeflattert war, um Blumen unter dem kleinen Absatz zu zertreten, oder mißliebige weibliche Dienerschaft mit höchsteigenen, aristokratischen Händen zu züchtigen. … Das mochte wohl Alles durch Mainau’s Seele gleiten – er gab sich dem neuen Zauber überwältigt hin und wurde ruhiger.

„Vorhin noch hatte ich nur den einen Gedanken, Dich und Leo sofort nach Wolkershausen zu bringen und dann hierher zurückzukehren, um Schönwerth für immer von dem unreinen Geist zu säubern,“ sagte er – freilich diese Töne trugen noch die Spuren des inneren Kampfes mit der leidenschaftlichsten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_253.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)