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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Das wäre noch nicht das Schlimmste,“ beharrte unerschütterlich die fortschrittliche Redacteurin, aber hier erhob sich auch von Seite derjenigen stillen Seelen, die bisher, nur mit Strickstrumpf und Kuchen beschäftigt, andachtsvoll zugehört hatten, ein Sturm gegen sie, dessen Wellen bald hoch gingen. Jenes anziehende Stadium eines Disputes, während welches Alle sprechen und Keiner hört, hatte schon längere Zeit gedauert, und Frau Michaelis verlor im Gedränge so viel Terrain, daß sie ihre nahe Niederlage voraussah. In dieser Noth beschloß sie, eine Ablenkung zu machen, und rief plötzlich:

„Ich berufe mich auf Frau Heyne; sie ist sicherlich auf meiner Seite. Und Sie werden zugeben, meine Damen, daß eine Frau von ihrer Art in solchen Sachen urtheilsfähig ist.“

„Ja,“ rief ein ganz junges Frauchen mit einem lustigen Kindergesicht, „Frau Heyne soll sprechen. Denn sie ist nicht nur eine ausgezeichnete Hausfrau mit beneidenswerth langjährigen Dienstboten, sondern auch – na, wir wissen ja Alle, daß man drucken kann, was sie denkt und schreibt.“

„Ja, ja,“ hieß es von allen Seiten, „Frau Heyne soll die Sache entscheiden!“

Nicht ohne einiges Zögern überschaute die Frau mit den geistvollen Augen, an deren Person ein gewisser Nimbus stummer Schriftstellerei haftete, den plötzlich schweigsam gewordenen Kreis. „Warum sollte gerade ich hierin ein entscheidendes Urtheil haben?“ fragte sie dann.

„Nun, wir haben einmal jetzt das Vertrauen zu Ihnen,“ rief die kleine Frau von Berg. „Also sagen Sie uns geschwind, ob Sie auch für die amerikanischen Zustände sind, wie Frau Michaelis.“

„Das könnte ich nicht sagen, wenigstens nicht unbedingt,“ nahm Frau Heyne das Wort. „Es schiene mir sehr traurig, wenn die gegenseitige Neigung und Rücksicht, welche in vielen guten deutschen Familien heute noch Herrschaft und Dienstboten verbindet, gänzlich abhanden kommen sollte. Eine der schönen Seiten des deutschen Familienlebens wäre damit verloren.“

„Ja, aber bis jetzt wenigstens ging es damit mehr und mehr abwärts,“ rief Fräulein Dernburg etwas scharf dazwischen.

„Wir leben hierin, wie in so manchem Andern, in einem Uebergangszustande,“ nahm Frau Heyne ruhig wieder das Wort, „und müssen seine Schattenseiten ertragen. Aber ich habe die sichere Hoffnung, daß mit der steigenden Bildung der dienenden Classen, sowie der Frauen selbst, auch wieder Lichtseiten zum Vorschein kommen, von welchen unsere Mütter ebenfalls so wenig eine Ahnung hatten, wie von den vielberufenen Uebelständen unserer Zeit.“

„Aber das können Sie doch nicht in Abrede stellen, daß man früher bessere Dienstboten hatte,“ sagte Frau von Breda fast schwermüthig.

„Andere, Frau Präsidentin, bessere schwerlich. Abgesehen davon, daß die Klagen über schlechtes Gesinde in Romanen und Lustspielen des vorigen Jahrhunderts häufig genug vorkommen, glaube ich versichern zu können, daß wir die Dienstboten von ehemals einfach heute nicht mehr ertragen könnten. Stellen Sie sich eine solche bäuerische Magd in Rock und Jacke vor, die in der Regel mit zur Familie gerechnet wurde, Abends nach dem Nachtessen sich mit dem Strickstrumpfe herein in’s allgemeine Familienzimmer setzen mußte, ‚um Holz und Licht zu sparen‘, auf die ungenirteste Weise die Angelegenheiten des Hauses mitbesprach, die Töchter, wenn es hoch kam, ‚Jungfer Line‘ oder ‚Jungfer Mine‘ hieß und mit den Söhnen zeitlebens auf ‚Du‘ stand. Das könnten Sie nicht mehr ertragen und befinden sich sehr wohl bei der schweigenden Zurückhaltung, mit der heute Ihr nettgekleidetes Mädchen ins Zimmer tritt, um geräuschlos ihren Dienst zu thun. Daß aber dieses Mädchen, wenn es ausgeht, auch mit einer gewissen Zierlichkeit gekleidet sein will und in Folge dessen etwas Zeit zu ihrer Toilette braucht, das kommt Ihnen im Vergleiche gegen die ‚gute alte Zeit‘ als Prätension vor.“ –

„Nun, darüber ließe sich allerhand sagen,“ warf hier Frau Meier ein. „Sie werden doch nicht in Abrede stellen wollen, daß gerade in diesem Punkte noch sehr viel zu verbessern wäre?“

„Es wäre in allen Punkten noch viel zu verbessern, liebe Frau Meier,“ erwiderte Frau Heyne, „und ich möchte nur alle Frauen auffordern, einmüthig zu diesen Verbesserungen die Hand zu bieten; es würden sich die Zustände bald viel angenehmer gestalten. Wenn Sie eine kurze Geduld haben wollen, so möchte ich Ihnen die Hauptpunkte herausheben, um die es sich nach meiner Ansicht handelt. – Zunächst werden wir einsehen müssen, daß der gewaltige Umschwung unserer Zeit auch in die häuslichen Verhältnisse eingreift, daß es also nur natürlich ist, wenn unsere Dienstboten einen bedeutend höheren Lohn verlangen als früher. Ihnen diesen freiwillig zu gewähren, halte ich für ein Gebot der Klugheit, ebenso, wie sie in Beziehung auf Kost, Schlafstelle, Ausgang etc. so günstig zu stellen, wie es nach den Verhältnissen der Familie nur möglich ist. Ehe die Anhänglichkeit an die Herrschaft sich entwickeln kann, bindet das Gefühl der angenehmen Existenz die Leute an’s Haus, und nun, nachdem für ihre materiellen Bedürfnisse gut gesorgt ist, kann man auch eine tüchtige Arbeitsleistung von ihnen verlangen. In einem gut eingerichteten Haushalte, wo Jeder sein fest angewiesenes Theil Arbeit täglich in derselben Weise zu versehen hat, wo eine tüchtige Hand die Zügel führt und ein helles Auge über Allem wacht, gab und giebt es noch immer gute Dienstboten, denn dem Geiste eines solchen Hauses fügt sich auch ein anfangs widerstrebendes Element, und trotz aller ‚neuen Anschauungen‘ beherrscht die feste Autorität einer tüchtigen und charakterfesten Frau heute wie ehemals ihre ganze Umgebung.

Aber da kommt nun der Hauptpunkt, über den ich gar nicht sprechen würde, wenn sich die Frage ohne ihn abhandeln ließe. In hundert und aber hundert Fällen hat sich mir die Wahrnehmung immer wieder aufgedrängt: Es fehlt größtentheils an den Frauen, auch sie befinden sich in einem Uebergangszustande von der praktischen Tüchtigkeit ihrer Großmütter zu der gediegenen Bildung kommender Generationen. Was wir aber jetzt vor uns sehen, ist in so vielen Fällen Halbheit, Oberflächlichkeit und untüchtiges Wesen, daß es mit Wundern zugehen müßte, wenn die Dienerinnen solcher Herrinnen etwas Besonderes leisteten.“

„Sie sind sehr – aufrichtig, beste Frau Doctorin,“ brachte Frau von Breda etwas mühsam heraus.

„Ich rechne auf Ihre allseitige Klugheit und Güte, gnädige Frau. Der redliche Wunsch, etwas zur Besserung unserer häuslichen Verhältnisse beizutragen, hat mich schon öfter in dieser Weise sprechen und schreiben lassen – daß ich keine persönlichen Absichten dabei verfolge, wissen Sie Alle gewiß.

An den Frauen wäre es also vor allen Dingen, ihr Haus so zu ordnen, daß es Mann, Kindern und Gesinde wohl darin sein kann. Dies läßt sich durch vernünftige Eintheilung der Arbeit in kleinen wie in großen Verhältnissen erreichen. Aber dazu gehört vor allen Dingen, daß die Frau mit ganzer Seele sich den Pflichten des Haushaltes widmet, jede Arbeit selbst versteht und sie im Nothfalle selbst mustergültig thun kann. Es ist unglaublich, wie rasch die Dienstboten den sachverständigen Tadel von dem unbestimmten zu unterscheiden wissen, wie sie gegen den ersteren schweigen und gegen den letzteren grob werden.

Dann entspringt aber noch ein anderer großer Vortheil aus diesem Selbstkönnen und Wissen: eine solche Frau wird niemals ihr Dienstmädchen mit übertriebenen Forderungen belasten. Wer selbst die Erfahrung hat, wie viel Zeit es braucht, ein Geschäft richtig zu thun, wird es nie in der Hälfte dieser Zeit verlangen. Ich bin oft erstaunt über unsere jungen Frauen: je untüchtiger sie selbst zu jeder Arbeit sind, je mehr dem Innern ihres Hauses entfremdet, um so anspruchsvoller werden sie gegen die Einzige, welcher sie sowohl grobe als feine Arbeit zumuthen, ganz uneingedenk des sehr wahren Wortes: ‚Du hast an Deiner Magd keine Sclavin, sondern eine Gehülfin‘. Die ‚Gehülfin‘ aber setzt eben eigene Thätigkeit voraus.“

„Sie haben in Vielem Recht,“ versetzte nun Frau Meier, „es würde Vieles, so namentlich auch die Erziehung der Kinder, besser stehen, wenn die Frauen selbst vernünftiger wären. Aber alles Uebel läßt sich damit nicht wegschaffen. Die Dienstboten von heutzutage sind, sogut wie die Arbeiter, fauler, widerspenstiger und genußsüchtiger, als sie es früher waren. Es ist für mittlere und kleinere Verhältnisse kaum mehr möglich, eine ordentliche Person zu bekommen oder zu behalten. Wie viele von uns haben diese Erfahrung gemacht und zuletzt Muth und Lust verloren!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_243.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)