Seite:Die Gartenlaube (1874) 233.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

gewähre ohnehin nicht die nöthige Sicherheit, auch sei es billig, daß deutsche Angelegenheiten auf deutschem Boden entschieden würden; man verwerfe also das Concil ganz und gar. Auf die Forderung von Hülfe gegen die Türken und Franzosen erklärte der Kurfürst, daß weder er noch seine Bundesgenossen sich zur Stellung von Hülfstruppen entschließen könnten, ehe ein dauerhafter Friede im Innern gesichert sei. – In den folgenden, theils im Rathhause, theils im Gasthofe zur Krone und in Luther’s Wohnung gehaltenen Versammlungen schritt man zur Ordnung von Bundesangelegenheiten und zur Berathung der „Schmalkalder Artikel“, einer neuen von Luther verfaßten Bekenntnißschrift, die von den Fürsten, Abgeordneten und Theologen einstimmig angenommen und am 24. Februar unterschrieben wurde.

An demselben Tage, wo sich die Evangelischen durch diesen Act entschiedener als je vom Papste und der katholischen Kirche losgesagt hatten, kam der Legat an mit zwei päpstlichen Schreiben an den Kurfürsten. Johann Friedrich empfing ihn kalt; der Landgraf ließ ihn gar nicht vor, sondern entfernte sich, um dem kranken Luther einen Besuch zu machen.

Dieser war am Stein heftig erkrankt und wurde von den entsetzlichsten Schmerzen gefoltert. Aber weder diese, noch die drohende Todesgefahr vermochten den gewaltigen Mann zu beugen. Er blieb sich gleich im felsenfesten Vertrauen auf den Sieg der guten Sache, gleich auch in seiner Liebe und in seinem Hasse. Mit fester Hand hatte er auf seinem Bette die Artikel unterschrieben mit den Worten: „In Gottes Namen! Ich kann nun in Frieden hinfahren! Beiß Dir die Zähne an diesen Artikeln aus, Papstdrache!“ Und nun verlangte er heim, um Weib und Kind noch einmal zu sehen, und damit seine Feinde nicht sagen könnten, er sei nach Schmalkalden gefahren, das Concil zu verwerfen, aber dort habe ihn die Hand des Herrn getroffen. Am 26. Februar bestieg er mit seinen Freunden Bugenhagen und Spalatin, seinem Famulus Tipontius und dem aus Erfurt herbeigeholten Arzte Dr. Sturz den kurfürstlichen Wagen, der ihn nach Wittenberg bringen sollte. Weinend und wehklagend umstanden ihn seine Freunde und Verehrer; da lehnte er sich aus dem Schlage heraus und rief ihnen zum Abschiede mit lauter Stimme zu: „Lebt wohl, lebt wohl! Gott erfülle Euch mit Haß gegen den Papst!“ In dem nahen Tambach, auf der anderen Seite des Gebirges, trat unerwartet Besserung in seinem Befinden ein. Er schrieb dies seinem Freunde Melanchthon und sandte den Famulus mit dem Briefe zurück. Als Tipontius an der Wohnung des Legaten vorüberkam, schrie er so laut, daß dieser es hören mußte: „Luther lebt!“ Dann brachte er den besorgten Freunden die frohe Kunde.

Bis zum 6. März blieben die Verbündeten noch, dann zog Jeder seine Straße; das Städtchen wurde wieder still; die Einwohner kehrten zu ihren gewohnten Beschäftigungen zurück, und von all der Pracht und Herrlichkeit blieb nur die Erinnerung.

Schwere Zeiten brachen später herein; erst der schmalkaldische, dann der dreißigjährige Krieg, in welchem die Stadt von beiden Parteien abwechselnd gebrandschatzt, geplündert und angezündet wurde, von den Kaiserlichen, weil sie protestantisch, von den Schweden, weil sie dem auf Seiten des Kaisers stehenden Landgrafen von Hessen-Darmstadt verpfändet war. Mehr als einmal griffen die verzweifelten Bürger zu den Waffen und vertrieben die verwilderten Kriegerschaaren, wofür sich diese freilich jedesmal blutig rächten.

Trotz dieser und anderer Stürme sind die aus der Reformationszeit merkwürdigen Gebäude noch wohl erhalten, so daß sich ein Gang durch die unregelmäßigen, aber reinlichen Straßen reichlich lohnt.

Hat man von den zierlichen Bahnhofsgebäuden aus den Altenmarkt erreicht, so fällt einem zunächst die imposante Kirche in die Augen, in deren hohen gothischen Hallen im Jahre 1537 vier Wochen lang Tag für Tag die berühmtesten Gottesgelehrten der damaligen Zeit vor einem glänzenden Auditorium predigten. Nicht weit davon steht das alte, steinerne Rathhaus; in dem Rathszimmer hinter jenem großen Bogenfenster wurden die Hauptversammlungen gehalten. Gegenüber ist das Gasthaus zur Krone, ein anderes Versammlungshaus, wie ein daran angebrachtes Wappen und ein Schild anzeigen. Gehen wir von hier über die „Salzbrücke“, die enge Steingasse hinauf, so fällt uns dort, wo sie auf den Luthersplatz (ehemals Töpfermarkt) mündet, am Fuße des Schloßbergs ein Haus auf, aus dessen Giebelseite ein Schwan hervorragt. Das ihn umgebende Schild zeigt rechts das Siegel Luther’s (Herz, Kreuz und Rose), links das Melanchthon’s (die eherne Schlange) und die Inschrift: „Versammlungshaus der evangelischen Stände und Theologen bei Verfertigung der Schmalkalder Artikel. Anno 1537.“ Dies ist das Lutherhaus. Dort oben im Eckzimmer des zweiten Stocks mit den gemalten Fensterscheiben wohnte der große Reformator bei dem hessischen Rentmeister Balthasar Wilhelm; dort unterschrieb er auf seinem Schmerzenslager die Artikel. Das Haus ist im Wesentlichen unverändert geblieben, nur hat sein jetziger Besitzer, Herr Feodor Wilisch, das Erdgeschoß für seine Buchhandlung eingerichtet.

Wir setzen unsern Weg fort durch die Herrengasse, über den Neumarkt, durch die Weidebrunnergasse, an jenem großen steinernen Hause vorbei, wo der Legat wohnte, und wir gelangen nach dem Weidebrunnerthore, der bedeutendsten der Vorstädte. Sprühende Essen, pfauchende Blasbälge, der Klang der Hämmer und das Geräusch der Feilen bekunden, daß Vulcan hier seine Werkstatt aufgeschlagen, und hier werden bis auf den heutigen Tag „Schmalkalder Artikel“ gemacht; freilich keine kirchlichen Bekenntnißschriften, sondern die unter diesem Namen bekannten Eisenwaaren.

Schmalkalden ist jetzt ein betriebsames Städtchen von fast sechstausend Einwohnern, das die geschätzten Erzeugnisse seiner Maschinen-, Ahlen-, Striegel-, Löffel-, Zangen- und anderen Fabriken in alle Welt versendet. Auch hat es ein heilkräftiges Sool- und Mineralbad.

Hiermit sind wir mit einem Male aus der großen Vergangenheit wieder in der nüchternen Gegenwart angelangt. Nüchtern ist sie und doch auch groß und der Reformationszeit in manchen Stücken ähnlich, denn auch sie ist eine Zeit des Kampfes zwischen dem (diesmal unfehlbaren!) Papste und dem protestantischen Deutschland. Aber welch wunderbare Wandlungen von damals bis jetzt! Das durch jenen Religionsstreit zerrissene und geschwächte Vaterland ist wieder geeint und mächtiger als je zuvor; die deutsche Kaiserkrone prangt auf einem protestantischen Haupte, und weise Gesetze gewähren jedem Deutschen freie Religionsübung.

Hugo Simon.




Blätter und Blüthen.


Ein Wort zum Wehren und Klären. Durch ein harmloses Gelegenheitsgedicht, „Eine Weihe“ betitelt, welches ich dem Erstgeborenen meines Freundes Häckel (Professor der Zoologie und Anatomie in Jena) gewidmet und die Gartenlaube der Veröffentlichung werth gehalten hatte, ist ein Theil der orthodoxen Geistlichkeit und ihres Anhanges dermaßen in Harnisch gerathen, daß er über mich, meine Dichtung und das Blatt, welches „sich erfrecht“, so etwas aufzunehmen, in wahren Zorn und Zeter ausbricht. In einem halben Dutzend frommer Kirchenblätter wie in einer reichen Zahl von Zuschriften, die bald an die Redaction der Gartenlaube, bald an mich gerichtet sind, fährt der heilige Glaubenseifer noch täglich fort, sich Luft zu machen, und verursacht mir und meinen gleichgesinnten Freunden ein Ergötzen, das ich kaum beschreiben kann. Wollte ich mit einer hübschen Blumenlese daraus dieses Blatt schmücken, so würde ich auch wohl dem verehrten Leser ein vergnügtes Viertelstündchen bereiten, doch fürchte ich, Solches dürfte zu weit führen.

Ich begnüge mich denn, nur einige Angriffspunkte hier zu beleuchten, von denen ich annehmen darf, daß sie auch von allgemeinem Interesse sein werden. Interessant schon ist es, anzusehen, wie vollkommen blind der orthodoxe Eifer macht. Alle nämlich kommen darin überein, ich wolle die Welt mit einem neuen Taufformulare beglücken, was mir im Traume nicht eingefallen ist.

Ich habe, wie gesagt, Nichts als ein echtes Gelegenheitsgedicht verfaßt, in welchem ich versuche, einen Weiheact voll Schönheit und Sinnigkeit zu schildern, so recht geschaffen für das Kind eines freisinnigen Naturforschers, insbesondere für den Sohn Häckel’s, des begeisterten und berühmten Kämpfers und Weiterbilders der großen tiefsinnigen Ideen eines Geoffroy St. Hilaire, Lamarck, Goethe und vor Allem Darwin’s. Ja, um falschen Auffassungen von vorn herein vorzubeugen, stehen die Worte der Widmung „ausgedacht und dargebracht dem Erstgebornen seines lieben Ernst Häckel“ mit gesperrter Schrift gleich darüber. Aber das hilft Alles nicht. Wollen oder können die Orthodoxen es nicht fassen, genug, ich soll eine neue Taufe einführen wollen. –

Vor Allem hat man sich natürlich an dem rein Aeußerlichen gestoßen, daß ich nämlich über den jungen Erdenbürger einen Becher Weins ausgießen lasse. – Ich kann indessen versichern, dabei an das sogenannte Reinigungsbad der christlichen Taufe kaum gedacht zu haben, wohl aber


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)