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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

diese felsigen Wüstenei einzog, folgten die Anhänger des Propheten ohne Bedenken den besser als sie unterrichteten Mönchen. Der Gebel Musa ist ihnen der von Mohammed heilig gehaltene Sinai. Hier werden dem Mose Opfer in Mengen geschlachtet. Am Serbâl ist gleichfalls die alte Tradition lebendig geblieben. Auch in der zu ihm gehörenden Höhe des Gebel Munâgât befindet sich ein Steinkreis, in dem die Beduinen irgend eine kleine Votivgabe niederlegen, Opfer darbringen und dabei folgende bezeichnende Verse zu singen pflegen: „O Platz des Zwiegesprächs des Mose! Wir suchen Deine Begünstigung. Behüte Dein gutes Volk und wir wollen Dich jedes Jahr besuchen!“ – Was wollen gegen diese Darbringungen und Traditionen diejenigen bedeuten, von denen Dr. Beke zu erzählen weiß?

Was die Höhlen in dem Gefels des „Berges des Lichts“ angeht, so können sie sich wohl kaum mit den gleichfalls durch Verwitterung entstandenen am Serbâl messen, welche der Geologe Fraas eingehend beschrieben hat. Gedenkt man am Gebel en Nûr wirklich des Mose, so ergiebt sich daraus weiter nichts, als daß auch hier Eremiten gehaust und dem Andenken des großen Gesetzgebers, als dessen Nachfolger sie in die Wüste gegangen, eine Stätte geweiht haben, denn zwischen den Tagen des Auszugs der Israeliten und dem Vordringen des Islâm bis nach Akaba haben auch hier (und dafür sprechen gerade die sinaitischen Inschriften) viele Jahrhunderte lang Heiden gehaust.

Sollte das Gemäuer an dem Quell, welches Mr. Milne auffand, keiner Eremitenklause angehört haben? Und wie kommt das biblische Etham (Wadi Ithem) hierher? Der strenggläubige Beke wird es schwer haben, die dritte Station der wandernden Juden an den Fuß des Sinai zu verlegen, wenn er auch, und das ist ganz ungeheuerlich, den Pharao in dem Golfe von Akaba ertrinken läßt. Ist das ägyptische Heer mit seinen Wagen durch das unwegsame Hochgebirge gezogen, oder folgte es den Israeliten durch das Rothe Meer auf der Route, die der Dampfer „Erin“, welcher Dr. Beke nach Akaba führte, in zehn Tagen zurücklegte? Die Berichte über den Auszug haben sicher eine historische Grundlage, sind aber erst, nachdem sie längst legendarische Formen angenommen, niedergeschrieben worden. Wollte man Mr. Beke’s Hypothese annehmen, so wäre man gezwungen, an Stelle dieser Grundlagen eine Reihe von neuen Wundern zu setzen, von denen der mit der natürlichen Möglichkeit an den meisten Stellen wohlvereinbare biblische Bericht nichts weiß.

Das Gewitter, welches Dr. Beke am Fuße des Gebel en Nûr erlebte, mag sehr heftig gewesen sein; ja es muß den greisen Bibelforscher tief erschüttert haben, denn es läßt sich annehmen, daß sich während der furchtbaren Donner und Blitze, die den Gebel en Nûr in diesem Winter, wie den Sinai bei der Gesetzgebung, umzuckten, Dr. Beke’s Ueberzeugung, er stehe vor dem Berge des Herrn, gekräftigt, ja vielleicht erst gebildet habe. Eindrücke entscheiden aber nichts in historischen und geographischen Fragen und wir möchten bezweifeln, ob das Unwetter, das unseren Entdecker bei seinem neuen Sinai überfiel, einen majestätischeren Verlauf genommen habe, als dasjenige, welches uns im Wadi Laboi zwischen dem Gebel Musa und Serbâl überfiel, und das wir in unserem „Durch Gosen zum Sinai, aus dem Wanderbuche und der Bibliothek“ beschrieben haben. Man sieht, mit wie großem Rechte Dr. Beke von einem neuen Sinai spricht! Er stellt, wie wir gezeigt zu haben glauben, an die Freunde der biblischen Geographie das leider sehr bestimmt ausgesprochene Ansinnen, ein besser erwiesenes Altes zu Gunsten eines schlechter erwiesenen Neuen aufzugeben.

Was würde man von einem wenn auch noch so redlich gesinnten Archäologen sagen, der ankündigte, daß er ausziehe, um die Vaterstadt des Homer zu suchen und der, vierundzwanzig Stunden nachdem er den Boden Griechenlands betreten, in die Heimath telegraphiren wollte: „Ich habe, obgleich kein neues schriftliches Zeugniß meine Ansicht unterstützt, mit Sicherheit die Heimath des Sängers der ‚Ilias‘ zu entdecken das Glück gehabt!“?

Georg Ebers.




Aus der Stadt des ersten protestantischen Bündnisses.


Das Lutherhaus in Schmalkalden.


Wenn man, mit der Werrabahn von Eisenach kommend, die Station Wernshausen erreicht hat, so bemerkt man links ein Seitenthal, durch dessen Oeffnung die grünen Berge des Thüringer Waldes grüßend herniederschauen. Eine erst kürzlich vollendete Zweigbahn führt in diesem Thale aufwärts bis zu der Stadt Schmalkalden, die dem Leser der Gartenlaube aus der Reformationsgeschichte und als Geburts- und Sterbeort des Componisten der „Wacht am Rhein“ dem Namen nach bereits bekannt ist.

Besteigen wir den wartenden kleinen Zug! Er führt uns im Fluge über die nette eiserne Werrabrücke, an den Dörfern Nieder- und Mittelschmalkalden, Haindorf und Aue mit den Eisenwerken von Utendörffer und Eichel vorüber, der ehrwürdigen Stadt zu.

Bald liegt sie vor uns, zwischen anmuthigen Höhen, am Fuße des Questenberges, auf dessen Vorsprunge das Schloß Wilhelmsburg thront. Die altmodischen, bunten Häuser sind um die stattliche Hauptkirche geschaart, wie die Küchlein um die Henne, wenn der Habicht in der Luft kreist und ihr ängstliches Glucksen vor der Gefahr warnt, und doppelte Ringmauern umgeben schützend Stadt und Schloß. Es ist die Bauart des Mittelalters, die dem Bedürfnisse der Sicherheit alle anderen Rücksichten opferte. Aber kein bärtiger Geselle mit der Blechhaube auf dem Kopfe und der Armbrust auf der Schulter macht mehr die Runde hinter den schmalen Schießscharten; der breite Wallgraben ist ausgefüllt und in freundliche Gärten verwandelt; die Mauern sind stark verwittert und stellenweise halb verfallen. An drei Punkten ist der graue Doppelgürtel ganz durchbrochen, und Vorstädte sind über ihn hinaus an den Ufern der hier sich vereinigenden Schmalkalde und Stille entlang gewachsen. Ringsum ziehen sich Gärten, Baumpflanzungen und wogende Saatfelder an den Bergwänden hin, und im Hintergrunde erheben sich rechts die schroffen, tannengekrönten Gipfel der Stillersteine und die steilen Buchwaldkuppen der Asbacher Berge, während links von der Queste der majestätische zweitausendsiebenhundert Fuß hohe Höhnberg, mit einem prachtvollen Mantel von dunkeln Tannenwäldern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)