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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

nur mit einem weißen Kopftuche bekleidet, wenn nicht der Schlamm, der sie von der Brust bis zum Fuße bedeckte, auch eine Kleidung zu nennen war. Der Spanier in seinem schlechten Arabisch schloß den Vertrag, und die Toilette war bald gemacht. Die langen Flinten warfen sie über die Schultern, und mit zufriedener Miene folgten uns die beiden Stärksten der Gesellschaft.

Hassan wurde sichtbar nachdenkend, und ich beschloß nunmehr, den Spanier in meinen Verdacht einzuweihen. – Ich erzählte ihm meine Beobachtungen.

„Wir schießen ihn über den Haufen,“ war seine christliche Erwiderung, und die blitzenden Augen schienen seine ernstliche Absicht zu bestätigen.

„Ueben Sie Ihre Lynchjustiz, wenn Sie seine Schuld erwiesen haben, lieber Marquis!“ antwortete ich dem heißblütigen Iberier, „aber denken Sie daran, daß uns mit seinem Tode nicht geholfen ist. Wir werden beobachtet und können auch ohne Hassan überfallen werden. Seine Absicht scheint darauf hinzugehen, uns nächste Nacht im Schlafe zu überrumpeln. Die Kerls fürchten am Tage unsere Büchsen, denn die Gelegenheit für einen Ueberfall wäre heute öfter schon günstig gewesen. Ich glaube vielmehr, daß wir versuchen müssen, ein sicheres Unterkommen für die Nacht zu finden. Hassan kann am Tage nicht mehr mit seinen Spießgesellen conferiren.“

„Sie haben Recht,“ antwortete der Spanier, dem entschieden meine kaltblütige germanische Ueberlegung imponirte; „wir begeben uns in den Schutz arabischer Gastfreundschaft. Unsere neugewonnenen Führer werden uns vor Sonnenuntergang noch unter ein gastliches Dach bringen. Dörfer muß es in dem Sumpfe geben. Wozu hätten die braunen Kerls das Schilf in den Gräben geschnitten?“

„Machen Sie uns die Araber zu sicheren Freunden!“ unterbrach ich das Gespräch. „Wir müssen für alle Fälle gerüstet sein.“

Er winkte die munteren Gesellen heran, während Hassan fünfzig Schritte vor uns mit seinem zweifelhaften Mohamed nichts von unserer Gegenverschwörung ahnte.

„Wollt Ihr Euch Geld verdienen?“ begann der Spanier seine diplomatische Aufgabe.

„Du weißt, daß blinkende Goldstücke unsere Weiber zieren,“ lautete die zustimmende Antwort.

„Wir haben jetzt nichts bei uns. Führt Ihr uns jedoch heute Abend zum Scheikh des nächsten Dorfes und bringt Ihr uns sicher – versteht wohl! – ohne daß Jemand gewagt hätte, uns anzugreifen, binnen zwei Tagen nach Fayûm zurück, so erhält Jeder von Euch drei Goldstücke. Geht Ihr den Handel ein?“

„Allah vergelte Dir die Liebe zu Deinen armem Brüdern, Herr! Gras wird wachsen auf der Schwelle Deiner Feinde; der Schlaf wird Deine Diener fliehen, und sie werden über Dich wachen, wie die Löwin über ihr Kind.“

Das genügte. Wir trauten den ehrlich gemeinten, bilderreichen Worten. Die Jünglinge bethätigten sofort ihre ernste Absicht uns zu schützen. Sie hefteten sich an unsere Fersen und blieben jedes kleinen Winkes gewärtig. So holten wir Hassan ein, der einen passenden Platz für unser Mittagsmahl gefunden hatte und sich anschickte, das Feuer anzulegen. Wir lagerten uns und schickten die Esel auf Grasung. Ich hatte Hassan’s Gewehr ergriffen und prüfte die Güte desselben.

„Es ist englisches Fabrikat,“ so rühmte er, „mag die Gazelle noch so flüchtig, die Taube noch so schnell sein, weit in der Ferne erreicht sie das Blei aus meiner Büchse.“

„Wenn ich jetzt also abdrückte,“ sagte ich und wendete das gespannte Gewehr gegen ihn, „bist Du unfehlbar ein todter Mann?“

„Ja, Herr!“

„Nun, so rühre Dich nicht von der Stelle, wenn ich nicht wahr machen soll, was ich fragte,“ setzte ich plötzlich mit drohender Stimme hinzu, „und höre mir aufmerksam zu!“

Das Holz entsank seinen Händen und er starrte mich sprachlos an.

„Du bist gestern Nacht,“ so fuhr ich fort, „bei den Beduinen gewesen; heute führst Du uns, so weit Du kannst, in die Wüste. Deine Spießgesellen folgen uns seit frühem Morgen, und in der Nacht, wenn wir ermüdet von der vergeblichen Hyänenjagd am Feuer schlafen, ziehst Du uns aus und läßt uns hülflos in der Einöde liegen, meilenweit von jeder menschlichen Ansiedelung – ich will nicht glauben, daß Du uns umbringen willst, wie jener Dragoman, der ohne den jungen Ungarn im verflossenen Jahre aus diesen Gegenden heimkehrte und log, der Unglückliche sei in den Sümpfen versunken. Nimm Dich in Acht! Beim geringsten Zeichen, das Du giebst, bei der geringsten Widersetzlichkeit, beim ersten Worte, das Du mit Mohamed und den Anderen wechselst, jage ich Dir eine Kugel durch den Kopf! Die beiden Führer weisen uns den Weg zum nächsten Scheikh – und jetzt vorwärts! Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Allah soll mich blind machen, wenn ich Euch verrathe,“ stieß Hassan hervor, der, durch die Entdeckung ganz fassungslos, ernstlich für sein Leben fürchtete. Er warf dem Spanier einen scheuen Blick zu, der bedenklich mit seinem Revolver spielte und „Canaille!“ zwischen den Zähnen murmelte.

„Schwöre nicht bei einem Gotte, den Du nicht anbetest! Du bist Grieche und lachst über den Propheten. Du hast Deine arabische Komödie nicht fein genug gespielt,“ rief ich ihm zu, während ich meinen Esel einfing, um ihm die Decke aufzulegen.


(Schluß folgt.)




Der Sinai des Dr. Beke.


Durch alle englischen Zeitungen geht die Nachricht, Dr. Beke, ein bekannter britischer Geograph und Reisender, der auch vielfach auf dem Gebiete der biblischen Ortskunde thätig gewesen ist, habe den wahren Sinai der Schrift entdeckt. Angesehene deutsche Tagesblätter und Zeitschriften nehmen diese überraschende Nachricht ohne Vorbehalt auf und fragen bisher wenig oder gar nicht nach den Gründen, welche den greisen Geographen bestimmt haben, eine nicht einmal auf der sogenannten Sinaihalbinsel gelegene Höhe für „den Berg des Herrn“ zu erklären. Einer Aufforderung der Gartenlaube nachkommend, wollen wir es versuchen, den Lesern zu zeigen, wie viel oder wie wenig von der vielbesprochenen Entdeckung des gelehrten Engländers zu halten sei. Dr. Beke hat gewiß in gutem Glauben das Telegramm verfaßt, welches seinen Namen so schnell in ganz Europa bekannt machte, und die Energie, mit welcher der Siebenziger eine beschwerliche Reise zu einem wenigstens ihm selbst genügenden Ziele brachte, ist immerhin bewunderungswerth. Leider können wir aber nicht umhin vorauszusagen, daß der Glanz seiner Entdeckung eben so schnell untergehen wird, wie er aufgegangen ist, und die Kritik das, was Dr. Beke zuversichtlich seinen „Fund“ nennt, bald als seine wenig begründete „Vermuthung“ in die Anmerkungen von Specialwerken über biblische Geographie verbannen wird.

Dr. Beke hatte wiederholentlich und eifrig die Ansicht, der Sinai müsse ein Vulcan gewesen sein, ausgesprochen und vertheidigt. Die Stelle 2. Buch Mose Cap. 10. V. 18: „Und das ganze Volk sah die Donner und die Flammen und den Posaunenschall und den rauchenden Berg“ führt fast von selbst auf eine solche. Um seinen „Vulcan der Gesetzgebung“ zu finden, unternahm er die beschwerliche Reise nach Aegypten; der Vicekönig, welcher gut empfohlenen Gelehrten gern seine Unterstützung leiht, stellte ihm den kleinen Dampfer „Erin“ zur Verfügung, und so gelangte unser Reisender, trotz widrigen Wetters auf dem rothen Meere, an die Spitze des Golfs von Akaba, in deren Nordwesten sich auch die längst bekannte Insel Geziret el Firaun (Insel des Pharao) befindet, deren Vorhandensein ihn vielleicht auf den mindestens abenteuerlichen Vorschlag führte, die Juden nicht, wie man bisher allgemein annahm, durch den Golf von Suez, sondern durch den von Akaba*[1] schreiten und den Pharao in ihm ertrinken zu lassen.

  1. * Die Sinaihalbinsel ist ein von hohen Felsengebirgen erfülltes Wüstenland, das sich in dreieckiger Form in das rothe Meer hineinschiebt. Der schmale Arm des letzteren, der sie im Westen bespült (der Golf von Suez), endet im Norden bei der Stadt Suez. An der nördlichsten Spitze des Meerbusens in ihrem Osten (Golf von Akaba) liegt, mehr nach Morgen hin, der Ort und das Fort von Akaba, in südwestlicher Richtung ihnen gegenüber Geziret el Firaun, die Pharaoneninsel.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_228.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)