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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Convent. Tallien wurde als Proconsul der Republik hingesandt, um die Empörung zu dämpfen. Die treugebliebenen Sectionen errangen den Sieg. Die Guillotine begann ihre blutige Arbeit. Die angesehensten Männer der Stadt bestiegen das Schaffot. Zwar wüthete Tallien nicht, wie Collot d’Herbois mit seinen Füsilladen in Lyon oder Carrier mit seinen Noyaden, den massenhaften Ertränkungen in Nantes, aber er war ein fanatischer Jacobiner, der seine Schuldigkeit that. Auch war er kein Spartaner wie Robespierre und Saint-Just, sondern er hatte Sinn für den Luxus, der seiner früheren Lebensstellung so fremd gewesen war. Alle Proconsuln der Republik schwelgten bei üppigen Gelagen, während vor ihrer Thür Kanonen aufgepflanzt waren und ganze Compagnien Wacht hielten. Und daß Tallien kein Republikaner war von jener antiken, unbestechlichen Tugend – das sollte Bordeaux und Frankreich bald erfahren.

Der Dichter der „Lucrèce“, Ponsard, hat ein schwunghaftes Drama geschrieben: „Le lion amoureux“. Der Held desselben ist ein feuriger Conventsdeputirter, der von der Liebe zu einer aristokratischen Schönheit gebändigt wird. Er hätte diesen Stoff auch treu nach der Geschichte behandeln können, und dann würde das Stück geheißen haben: Tallien in Bordeaux.

Der Marquis von Fontenay flüchtete vor der gesteigerten Bewegung der Revolution, welcher er schon durch seinen alten Adel verdächtig war, mit seiner jungen Gattin nach Spanien, um dort auf dem Schlosse der Schwiegereltern ein Asyl zu finden. Im Hafen von Bordeaux war ein Schiff bereit, unter Segel zu gehen, welches mehrere hundert Bordelesen aus den angesehensten Familien trug, die vor der Schreckensherrschaft flüchteten. Da weigerte sich der Capitain plötzlich, abzusegeln, weil die von ihm geforderte Summe nicht voll im voraus eingezahlt werden konnte. Therese kam dazu; es ergriff sie auf’s Tiefste, daß wegen einer kläglichen Summe Geldes so viele Männer und Frauen dem Verderben geweiht werden sollten. Sie ließ sich vom Capitain die Liste der Passagiere geben; sie gab ihm dafür das Geld – und das Schiff lichtete die Anker, nachdem die Schiffsmannschaft noch einen kurzen Kampf mit der erbitterten Volksmenge bestanden hatte. Theresa aber wurde von ihr umringt und mit Mißhandlungen bedroht; sie weigerte sich, die Liste herauszugeben, die sie zerriß – und nur das zufällige Hinzutreten Tallien’s errettete sie vor der Wuth des Pöbels. Freilich konnte er die Marquise nicht gegen die Verhaftung schützen, welche der Präsident des Revolutionstribunals über sie verhängte, nachdem ihm der Frevel zu Ohren gekommen war, dessen sie sich schuldig gemacht hatte.

So wanderte Theresa in den finstern Kerker, in dessen Strohlager die Ratten ihr unheimliches Spiel trieben. Noch zur Zeit ihres späteren Glanzes, als die Modetracht des Directoriums erlaubte, die Füße unverhüllt zu zeigen, gefiel sich Theresa darin, auf die Narben der Rattenbisse aus dem Kerker von Bordeaux hinzuweisen, die freilich neben dem glänzenden Schmucke der Zehen, den Rubinen und Smaragden, verschwanden. Tallien hatte Madame de Fontenay wiedererkannt; er ließ sie sich im Gefängniß durch den Schließer vorführen. Wenn auch im düstern Kerker – bei dieser Begegnung zwischen einer zwanzigjährigen jungen Frau und einem fünfundzwanzigjährigen Conventsdeputirten konnte nur die Liebe das Wort führen. Mit ihren großen, thränenfeuchten Augen sah Theresa den Machthaber an; ihre schönen bleichen Züge waren eingerahmt von dem üppigen Gelock; sie bekannte, daß sie eine Freundin der Republik und der Revolution sei – und sie war es! Denn mitten unter den verdammenswerthen Gräueln waren die großen Gedanken der Zeit in den Herzen der Jugend lebendig, und geistreiche Frauen eiferten dem Beispiele einer Manon Roland nach. Konnte Madame von Fontenay nicht für den „Berg“ werden, was jene für die Gironde gewesen war? Tallien dachte im Stillen daran. Noch hüllte er sich in die Toga des Proconsuls, spielte den unerbittlichen Schreckensmann; er sprach die Hoffnung aus, die Unschuld der Marquise und ihres Gatten werde vor dem Revolutionstribunal zu Tage kommen; sie aber sträubte sich, vor diesem Tribunale zu erscheinen; sie sei als die Tochter eines Grafen, die Frau eines Marquis schon von Hause aus verurtheilt. Tallien’s wilde Blicke und strenge Mienen hielten nicht lange Stand; zu groß war der Zauber der jugendlichen Schönheit, die vor ihm auf den Knieen lag; er erhob sie, er zog sie an sein Herz: „Ich wage meinen Kopf, doch Du sollst frei sein, Bürgerin.“

Und so geschah es. Theresa wurde frei, ebenso ihr Gatte, der eilends nach Spanien flüchtete. Die Ehe war unglücklich gewesen; der Marquis war ein Wüstling ohne Herz. Theresa blieb in Bordeaux zurück; sie wurde die Geliebte Tallien’s und die Schutzgöttin der Stadt. Ehescheidungen, soweit man sie überhaupt für nöthig hielt, machten damals, nach dem Civilgesetze der Revolution, wenig Umstände. Bald hatte die spanische Kleopatra den Antonius der Bergpartei gänzlich unterjocht; eine wahnsinnige Leidenschaft, die er vor aller Welt zur Schau trug, bemächtigte sich seiner. Unter dem Zujauchzen des Volkes fuhr sie mit ihm in glänzender Equipage durch die Straßen, bekleidet mit den leichten Gewändern der griechischen Statuen, welche die Schönheit ihrer Formen nicht verhüllten, in der einen Hand eine Pike, die andere anmuthig auf die Schulter des Proconsuls gestützt, als die Göttin der Freiheit. Und wohl hatte das Volk von Bordeaux ein Recht, sie mit Jubel zu begrüßen; sie hatte den wilden Löwen gezähmt; Tallien vergaß seine blutige Sendung; die Milde wurde die Losung statt des Schreckens. Unermüdlich suchte Theresa ein Opfer nach dem andern zu retten, einen Namen nach dem andern auf der verhängnißvollen Liste zu streichen, mit Thränen in den Augen, daß sie nicht alle streichen konnte.

Wunderbare Contraste der Zeit! Der rohe Sansculottismus auf der Straße, die Guillotine vor den Fenstern – und im Hause des Proconsuls das Boudoir einer kunstsinnigen Schönheit, welche dem Zeitalter der Medicis anzugehören schien. Marquis von Parry, der, um seinen Vater zu erretten, sich an die gnadenspendende „Göttin der Freiheit“ wendete, wurde in dieses Boudoir geführt. Er beschreibt es uns in seinen Denkwürdigkeiten. „Es war das Boudoir der Musen: ein geöffnetes Piano, Noten auf dem Pulte; eine Guitarre auf dem Sopha, eine Harfe in einem Winkel; weiterhin eine Staffelei mit einem kleinen Gemälde, eine Büchse mit Oelfarben, Pinsel auf einem Tabouret, ein Tisch mit Zeichnungen, eine Elfenbeinpalette, ein offener Schreibtisch mit Papieren, Memoiren, Petitionen, eine Bibliothek, deren Bücher in Unordnung dastanden, als wenn sie oft benutzt würden, ein Stickrahmen, auf dem ein Atlasstoff ausgespannt war.“ Der Gesammteindruck des Boudoirs begeisterte den galanten Marquis zu der Anrede:

„Ihre Talente sind allseitig, Madame, aber Ihre Güte kommt ihnen gleich und Ihre Schönheit könnte sie verdunkeln.“

Doch so gnädig sich Theresa den Aristokraten erwies, ihr Herz gehörte der Revolution; nur wollte sie das Erbarmen mit der Freiheit verschwistern. Um ihre Popularität zu vermehren, erschien sie oft in den Clubs und ergriff dort das Wort. Hier trug sie ein Amazonencostüm, einen Hut mit tricoloren Federn, wie unser Bild sie nach einem Gemälde von Debucourt darstellt.

Tallien wurde inzwischen von Bordeaux zurückberufen; an Denunciationen gegen seine Milde hatte es bei den Pariser Machthabern nicht gefehlt. Doch Robespierre brauchte noch seine Bundesgenossenschaft im Kampfe gegen Danton; erst später kam es zu einem Bruche, der zum Sturze des Dictators führen sollte. Hier war es, wo Therese ihre weltgeschichtliche Rolle spielte. Am 5. Floréal erschien sie noch vor dem Convent, als eine Priesterin der Barmherzigkeit; sie entwickelte in einer langen Rede ihre republikanischen Tendenzen, ihre Ansichten über Frauenemancipation. Sie verwarf die Mannweiblichkeit und das Amazonenthum; aber sie verlangte, daß auch die Frauen dem Dienste des Vaterlandes sich widmen sollten, und zwar indem sie alle in die heiligen Asyle des Unglücks und der Leiden gerufen würden, um dort die Unglücklichen zu pflegen und ihnen Trost zu spenden. Sie sollten sich den Namen „Bürgerin“ verdienen; sie selbst aber wollte eine der Ersten sein, um sich einem so herrlichen Dienste zu widmen.


(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_225.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)