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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Wohl – wären Sie es in Wirklichkeit gewesen!“ sagte er rasch. „Aber der Mangel einer Herrin ist in Schönwerth wohl selten empfunden worden. Die vorgerückten Jahre und die Respectabilität des Hofmarschalls machen eine dame d’honneur bei Festivitäten vollkommen überflüssig, und das Hauswesen versteht er ja zu controliren, wie kaum eine Frau; Leo aber soll die militärische Carrière machen – er wird Schönwerth und die mütterliche Obhut früh verlassen müssen – diese Motive sind schwerlich in Betracht gekommen; die Haupttriebfeder ist Rachedurst, glühender Rachedurst gewesen; ich weiß nicht, ob das Gefühl einer Frau auch unverletzt bleibt, wenn man ihr mittheilt, daß sie einzig und allein gewählt worden ist, um eine Andere zu züchtigen, um derselben ein entsetzliches Weh in einer Art und Weise zuzufügen, wie sie sich raffinirter und grausamer nicht denken läßt.“

Die großen, grauen Augen der jungen Frau starrten den Sprechenden wie entgeistert an; aber gerade dieses schmerzliche Verstummen, dieser Blick voll unverhüllten Schreckens ließen ihn hart und unerbittlich fortfahren: „Wer Baron Mainau kennt, der weiß, daß sein ganzes Thun und Wesen auf den Effect berechnet ist. Hören Sie, wie er hier zu Werke gegangen ist! Er hat in seinen Jünglingsjahren eine hochgestellte Dame leidenschaftlich geliebt, und sie hat diese Liebe ebenso glühend erwidert; durch ihre Angehörigen aber ist sie gezwungen worden, zu entsagen, um den höchsten Rang im Lande einzunehmen – Baron Mainau mag vielleicht nicht ganz im Unrechte sein, wenn er das strafbare Untreue nennt; in den Augen aller Eingeweihten aber war es ein furchtbares Hinopfern für Standespflichten. … Der Tod hat die Frau, die nie aufgehört, ihn zu lieben, wieder frei gemacht; der armen Dulderin in Hermelin und Purpur ist ein neues Morgenroth aufgegangen – sie hat all den schweren Fürstenglanz abwerfen wollen, um in der elften Stunde noch eine liebende und geliebte Gattin und glücklich zu werden – wem ist es je geglückt, die wahren Absichten, den Endpunkt des Handelns bei Baron Mainau zu berechnen? … Er hat ungezwungen, in liebenswürdigster Weise während der Trauerzeit mit der Dame verkehrt und sich wahrhaft teuflisch unbefangen gezeigt bis zu dem Moment, wo sie, glühend vor Liebe und seliger Hoffnung, seine Werbung um ihre Hand erwartet, und er ihr, angesichts des ganzen Hofes, kaltblütig seine Verlobung mit – Juliane, Gräfin von Trachenberg, anzeigt. – Das hat allerdings einen ungeheuren Effect gemacht – es war ein satanischer Triumph.“

Die junge Frau hatte die verschränkten Hände auf den hohen Aufsatz des Schreibtisches gelegt und preßte die Stirn darauf. Sie hätte sich am liebsten tief im Schooß der Erde vergraben mögen, um nur diese mitleidslose Stimme nicht mehr zu hören, die ihrem Familienstolze, ihrer weiblichen Würde und ihrem – ja, ihrem Herzen nie zu heilende Wunden schlug.

„Was nach dieser Komödie kommen mußte, das war ihm sehr gleichgültig,“ fuhr der Hofprediger in überstürzter Hast fort – es klang, als geize er mit jedem Augenblick, in welchem er dieser Frau endlich einmal allein, ohne Zeugen, gegenüberstand. „Für Pflichtgefühl hat ja die Seele dieses Mannes keinen Raum, wie er schon seiner ersten hinreißend liebenswürdigen, edlen Gemahlin gegenüber durch die rücksichtsloseste Vernachlässigung bewiesen“ – jetzt hob sie das Gesicht; er log, der Priester, edel war jene Frau nicht gewesen, die bei jedem Widerspruch mit den Füßen gestampft und mit Messern und Scheeren um sich geworfen hatte – „auch sie hat er einst an seine Seite gerissen, lediglich um der fürstlichen Dame zu beweisen, daß er sich aus ihrer Untreue nichts mache. … Gnädige Frau, sie war noch zu beneiden im Vergleich zu der Zweiten, die er seiner verletzten schrankenlosen Eitelkeit opfert – ihr stand der Vater zur Seite – die zweite Frau hat auch ihn gegen sich, ja, er ist ihr furchtbarster Feind. … Er weiß jetzt, daß die Einsegnung dieser verhaßten zweiten Ehe nichts als die Besiegelung eines unerhörten Racheactes gewesen ist, er weiß, daß die fürstliche Dame Alles aufbieten wird, doch noch zu siegen, und er ist ihr eifrigster Verbündeter – der Stammtafel der Mainau wird freilich der fürstliche Name mit dem Nimbus der Souverainetät einen beneidenswerthen Glanz verleihen –“

„Ich frage Sie nochmals: wozu sagen Sie mir das Alles?“ unterbrach sie ihn plötzlich – sie hatte ihre feste, hoheitsvolle Haltung wieder errungen. „Ich gehe ja freiwillig, wie sie Alle wissen – ich werde der Frau Herzogin und ihrem Verbündeten wenig Mühe machen – aber so lange ich den Namen Mainau nicht abgeschüttelt, so lange dulde ich nicht, daß der Mann, dem ich angetraut bin, vor meinen Ohren verunglimpft wird, mag er noch so schuldig sein. Ich bitte, das im Auge zu behalten, Hochwürden. … Uebrigens will ich nicht entscheiden, was schwerer zu verdammen ist, ob der Leichtsinn des Weltmannes, oder die Frivolität des Priesters, der, um jenen Frevel wissend, im erschütternden Gebet den Segen des Himmels auf das unwürdige Spiel herabfleht – der Eine zertritt Frauenherzen, ganz im Sinne der meisten seiner Standesgenossen, der Andere aber lästert Gott, indem er den Altar zur Bühne herabwürdigt, wo er als glücklich begabter Schauspieler agirt.“ – Sie sprach laut, heftig; sie vergaß alle Vorsicht, alle Selbstbeherrschung. „Dieses Schönwerth ist ein Abgrund, und zu Mainau’s Ehre sei es gesagt, er weiß es nicht – er geht unbewußt an finsteren Thaten vorüber, die gleichsam die Luft des Schlosses erfüllen; er ahnt nicht, daß die Documente, auf welche er sich im guten Glauben stützt, gefälscht sind –“ sie verstummte erschrocken; der Hofprediger fuhr mit einer so ausdrucksvollen Geberde empor, als gehe ihm plötzlich ein Licht auf – blitzschnell griff er in den Kasten, nahm das obenaufliegende Papier und hielt es prüfend in den Lampenschein.

„Sie meinen dieses Document, gnädige Frau? Die Gelehrte, die Denkerin hat es mikroskopisch untersucht und hat entdeckt –“

„Daß es mit Bleistift vorgeschrieben ist,“ sagte sie fest.

„Ganz recht, mit Bleistift ist jeder Buchstabe auf der Fensterscheibe nachgezeichnet und dann mit Tinte überzogen worden,“ bestätigte er vollkommen ruhig; „ich weiß das ganz genau, weiß auch, daß es eine mühevolle, nervenangreifende Arbeit gewesen ist, denn ich – ich selbst habe dieses Document verfaßt und geschrieben – o, nicht diesen Abscheu, gnädige Frau! Gilt es in Ihren Augen so gar nichts, rührt es Sie nicht, daß ich mich vor Ihnen demüthige und rückhaltslos bekenne? … Sie könnten getrost diese Hand berühren – nicht um Geld und Gut, nicht um irdische Macht und Ehren, sondern in Verwirklichung hoher Ideen hat sie gehandelt. … Hätte ich nicht ebenso erfolgreich diesem letzten Willen irgend eine Schenkung an Capitalien oder Grundbesitz zu Gunsten meines Ordens anfügen können? Baron Mainau glaubt an die Echtheit des Documentes; er würde auch eine solche Verfügung nicht angetastet haben – und der alte Herr, der Hofmarschall – nun, er hätte aus guten Gründen glauben müssen. Ein solcher Raub aber lag mir fern – ich wollte nur die zwei Seelen, die heidnische der Mutter für die Taufe, und die des Knaben für die Mission. … Unser Jahrhundert haßt und verfolgt diese selbstlose Hingebung einer glühenden Mannesseele an den Priesterberuf als Fanatismus – man bedenkt nicht, daß eiserne Bande, um einen Feuerkern gelegt, die Flammen zum Himmel lodern machen und –“

„Ketzer verbrennen,“ warf sie in eisigem Tone ein und wandte sich ab.

Er zerdrückte den Zettel in der geballten Hand. „Sie lodern nicht mehr,“ murmelte er mit erstickter Stimme – der Mann kämpfte schwer mit einem furchtbaren inneren Aufruhre. „Nicht das inbrünstigste Gebet, nicht die verzweifeltste Selbstkasteiung vermögen sie wieder anzufachen – mich verzehrt eine andere Gluth.“ – Er streckte ihr die Hand mit dem zerknitterten Papiere hin. „Gnädige Frau, Sie können mich der Fälschung anklagen – mit zwei Worten und diesem überführenden Documente können Sie Gabriel befreien, mich von meiner vielbeneideten Stellung herabstürzen und mir allen Einfluß, alle Macht rauben, die ich über Hochgestellte besitze – thun Sie es! Ich will stillhalten, ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken – werfen Sie mich meinen zahlreichen Feinden hin – nur gestatten Sie, daß ich – wenn Sie Schönwerth verlassen haben werden – in Ihrer Nähe leben darf!“

Sie sah ihn mit großen Augen wie versteinert an – war er wahnwitzig? … Ihre schöne Gestalt wuchs gleichsam vor ihm empor. „Sie vergessen, Hochwürden, daß mein Bruder als Patronatsherr von Rudisdorf die Pfarrerstelle nur an protestantische Geistliche vergeben darf,“ sagte sie mit leichtbebender Stimme, aber kaltlächelnd über die Schulter zurück.


(Fortsetzung folgt.)


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