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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Karl der Fünfte die Mittel zu seinen Expeditionen gegen Tunis und Algier und zur Unterdrückung des Schmalkaldischen Bundes. Für diese Darlehen erhielten die Fugger große und reiche Herrschaften, Bergwerke in Tirol, Ungarn, Spanien und andere zum Unterpfande und gelangten, da diese Pfandschaften nicht mehr ausgelöst wurden, später in den Besitz derselben. Wenn also wirklich eine solche Verbrennungsscene gespielt hat, so darf sie doch nur in dem Sinne aufgefaßt werden, daß der Vernichtung der Schuldscheine irgend eine ausgleichende Bewilligung Seitens des Kaisers vorausgegangen ist.

„Die ganze Erzählung dürfte vielleicht die Erfindung eines schlauen Kopfes sein. In dem jetzigen Hôtel zu den ‚Drei Mohren‘, das bis in den Anfang des vorigen Jahrhunderts im Besitze der Fugger war, wird noch heute den Fremden ein Saal gezeigt, in dessen Kamin Fugger die Schuldscheine verbrannt haben soll. Die Täfelung der Decke dieses Saales ist unzweifelhaft alt, wenn auch nicht so alt, wie der Fremdenführer angiebt; der Kamin aber stammt sicherlich nicht aus der Zeit Karl’s des Fünften, sondern ist um Jahrhunderte jünger. Noch zweifelhafter als der Kamin ist die über demselben angebrachte, auf die Verbrennungsscene Bezug nehmende Inschrift, die geradezu als das Machwerk eines frühern Gasthofsbesitzers erscheint, der, die Eigenschaft seines Hauses als des zum alten Palast der Fugger gehörigen Theiles kennend und auf der alten Tradition der großen Geldgeschäfte der Fugger mit den Habsburgern fußend, unter Benutzung der für das Verständniß des reisenden Publicums leidlich wahrscheinlichen Localitäten zum Vergnügen desselben und zu eigenem Vortheile die ganze Geschichte mit ihren Details erfand.“

Das wäre das prosaische Ende, welches auch diesem alten Fugger-Nimbus durch die unerbittliche historische Kritik bereitet wird, und es kann uns hier, wie bei den zur Sagenwelt hinabgesunkenen Schicksalsgenossen dieser Scene, nur Das trösten, daß sie als Geschichte doch recht schön war und selbst als Sage noch schön und einer künstlerischen Darstellung würdig bleibt.

Der Saal aber, in welchen der Künstler uns geführt hat, ist durch ein anderes, wirkliches und uns Allen noch nahe stehendes Ereigniß zu unvergänglicher geschichtlicher Bedeutung gekommen. In diesen selben Räumen hat der deutsche Bundestag, fünfzig Jahre der furchtbare Alp der deutschen Nation, am 24. August 1866 die letzte seiner vielen, für Deutschland nur verderblichen Sitzungen gehalten.

Dieses heilvolle nationale Ereigniß, das zur Rückkehr in das alte Zersplitterungselend Deutschlands die letzte Pforte für immer verschloß, kann uns schon mit dem Verlust eines Stückchens alter Familiengeschichte versöhnen.

Fr. Hofmann.





Amerikanischer Frauenkrieg gegen Trinkstuben.


Der Krieg auf Tod und Leben, den seit Kurzem die Frauen im Staate Ohio gegen die Trinkstuben zu führen begonnen haben, und der sich bereits auf die Nachbarstaaten West-Virginien, Indiana und Illinois auszudehnen beginnt, müßte schon um des Geschlechts der Angreifer willen von höchstem Interesse sein, selbst wenn die Waffe, deren sie sich ausschließlich bedienen, nicht eine so ganz wunderliche wäre, da sie nichts Anderes als das Gebet und der geistliche Gesang ist. Um jedoch meinen Lesern einen klaren Einblick in diese eigenthümliche Erscheinung zu geben und sie zu einem alle Seiten derselben in Betracht ziehenden Urtheile zu befähigen, wird es um so nötiger, etwas weiter auszuholen, als dem Deutschen nach seinen Anschauungen, Sitten und Einrichtungen, so wie nach seinem nationalen Charakter eine solch gewaltsame Anstrengung ganz unbegreiflich erscheinen muß.

Es kann nicht bestritten werden und ist ein Gegenstand tiefster Besorgniß für jeden Patrioten, daß in den Vereinigten Staaten der Uebergenuß starker Getränke (Whiskey, Brandy, Cognac etc. und all’ jener mit den wunderlichsten Namen, wie „Hahnenschwanz“ etc., belegten Mischungen derselben) zu einem alle Stände, Geschlechter und Gesellschaftsclassen durchdringenden Laster geworden. So ist in den Abendgesellschaften der ersten Classen in den großen Städten der Union und insbesondere der Hauptstadt, Washington, den gebrannten Weinen ein gewöhnlich offener, häufig aber auch mehr oder weniger verschämt aufgestellter Tisch oder gewählter Nebenraum gewidmet. In den Eisenbahnwagen trägt die Mehrzahl der Reisenden aller Classen und auch Derer, die von in Gold und Sammet strotzenden Damen begleitet werden, eine kleine Flasche mit „etwas Stärkerem als Wasser“ bei sich, der nicht selten zugesprochen wird und die ich manchmal sogar schöne Lippen benetzen, öfter aber mit einem Blicke resignirter Scham zurückweisen sah. In der Stadt New-York betrug die Zahl der während des Jahres 1873 wegen Trunkenheit auf den Straßen aufgegriffenen Personen über achttausend, von welcher an sich erschreckenden Summe siebenzig Procent dem weiblichen Geschlechte angehörten. Es ist kaum glaublich und dennoch von der Polizeibehörde veröffentlicht. Der Umstand, daß diese unglücklichen von der Straße aufgegriffen wurden, möchte zu dem Schlusse veranlassen, daß sie nur den unteren Classen der Gesellschaft angehörten und daher nur unter ihnen das Laster solch furchtbare Verwüstungen anrichte. Dem scheint jedoch nicht so zu sein, ich sage „scheint“, um nicht eine Behauptung zu wagen, die ich zu beweisen außer Stande bin. Allein es ist ein offenes Geheimniß, daß sich das Laster in die ersten Familien eingedrängt hat, und daß über manchen Palast der Millionärstraßen die Trunksucht von Frauen oder selbst Töchtern einen tiefen, trostlosen Schatten wirft, und ich habe mehr als ein Mitglied des Senates der Vereinigten Staaten mühsam in seinen Armstuhl schwanken, fast aus demselben herausfallen und zuletzt darin einschlafen gesehen.

Eine tiefere Untersuchung der Frage, die sich jedem Leser wohl unwillkürlich aufdrängt, wie es komme, daß im amerikanischen Volke der übermäßige Genuß der allerstärksten Getränke so allgemein verbreitet sei, gehört, genau genommen, nicht in ein Unterhaltungsblatt. Allein es mag mir gestattet sein, einige der Ursachen, wie sie sich mir aufgedrängt haben, wenigstens anzudeuten

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß mit vielem Vortrefflichen die Amerikaner ihre Vorliebe für starke Getränke von ihren Stammesgenossen, den Engländern, überkommen haben. Letzteren – ich hörte diesen wunderlichen Beweisgrund noch jüngst anführen – sind diese Getränke unentbehrlich wegen des feuchten, nebeligen Klimas. Ebenso sind sie, nach Autorität der Schnapstrinker, hier absolut nöthig, in dem aufreibenden, stündlich wechselnden Klima und dem überstürzenden Geschäftstreiben der Vereinigten Staaten. Sonderbarer Weise fand ich sie gleich unentbehrlich in dem äußerst trockenen Klima von Texas und den nördlichen Staaten von Mexico. Aber das Wunderbarste war, daß in Central-Amerika, wo man das Jahr so ziemlich in eine regnerische und in eine trockene Hälfte theilen kann, man, dem Rathe der Schnapsanbeter gemäß, in der einen Hälfte Branntwein trinken müsse, um der Feuchtigkeit, in der anderen, um der übermäßigen Trockenheit in ihren äußerst nachtheiligen Folgen auf das „System“ entgegenzuwirken. Und ich glaube in der That, die letzteren Schnapsphilosophen haben Recht, und sie irren sich blos über die Stelle, wo die große Trockenheit herrscht und gefährlich ist.

Meiner festen Ueberzeugung und eigenen Erfahrung nach ist dieses Laster, wie die meisten anderen, eine reine Gewohnheit, und die geschickte Weise, in welcher die Amerikaner auf diesem Felde, wie auf jedem andern, es verstanden haben, dem Fröhnen dieser Gewohnheit so Vorschub zu leisten, daß dabei möglichst wenig Zeit verloren wird und der ihr Huldigende durch eiligstes Bedienen, Hinunterstürzen im Stehen vor der Bar (dem Schenktische) und durch eine vor der Localthür aufgestellte spanische Wand vor Beobachtung geschützt wird, hat sicher das Umsichgreifen des Lasters wesentlich befördert. Was aber noch täglich die Zahl der Trinker und das Maß der vertilgten Quantitäten stärkster Branntweine vermehrt, ist das abscheuliche Tractiren (treat). Der Amerikaner trinkt nämlich fast nie allein oder für sich. Entweder ladet er eine Anzahl Bekannter zum Trinken ein, wo dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_210.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)