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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

schon tief verachten, der ihr Nachtheiliges über ihren Mann mitzutheilen wagt.“

„Wenn abgeschiedenen Seelen das Gefühl der Scham verbleibt, wie muß dann Valerie in diesem Augenblick aussehen!“ rief er, die elfenbeinerne Ariadne auf das Postament zurückstoßend. „So beruht Deine ungünstige Meinung von mir einzig auf Deiner eigenen Beobachtung?“

Sie wandte sich schweigend ab.

„Wie? – Dann haben Andere in Deiner Gegenwart über mich gesprochen – der Onkel?“ – wie stümperhaft spielte er in dem Moment den Gleichgültigen!

„Ja, Mainau. Er klagte neulich dem Hofprediger – Dein ewiges Reisen erfüllte ihn mit Besorgniß – Leo’s wegen. Du streiftest durch die Welt, um der Langeweile zu entgehen, und doch gäbe es daheim für Dich, auf Jahre hinaus, mehr als genug zu thun. Allerdings seien Deine Besitzungen wahre Goldgruben – sie würden aber von treulosen Händen ebenso rücksichtslos ausgebeutet, wie von Dir selbst. Das Wirrsal in der Verwaltung spotte aller Beschreibung – er schaudere stets, wenn ihm auch nur ein flüchtiger Blick hinein vergönnt werde.“

Mainau hatte ihr erbleichend den Rücken gewendet und sah angelegentlich zum Fenster hinaus. Sie sprach mit hörbarer Befangenheit – das war allerdings eine Angelegenheit, in die sie sich nicht mischen durfte, am allerwenigsten jetzt noch, wo sie schon halb und halb die geschiedene Frau war; aber sie sprach für Leo’s Zukunft – was sie in diesen kurz zugemessenen Minuten des letzten Alleinseins noch für ihn erreichen konnte, das mußte sofort geschehen.

„Bah – Du kennst ja den Onkel mit seiner fieberhaften Angst vor einer möglichen Verringerung des Mainau’schen Besitzthums – sein gieriges Zusammenraffen wird nachgerade unerträglich; er übertreibt haarsträubend, der alte Mann,“ sprach er, ohne ihr das Gesicht zuzuwenden. „Ich sage Dir, in wenigen Wochen ist der ganze Plunder geordnet, und die Sache läuft von selbst wieder am Schnürchen – was dann? … Soll ich zur Abwechselung selbst hinter dem Pfluge hergehen, oder vielleicht, weil ich keinen Funken Musik in mir habe, Hoftheaterintendant werden? Oder soll ich mich zu irgend einem vacanten Ministerposten melden? Ich habe hie und da, in Berlin und Bonn an der Jurisprudenz genascht, vor Allem aber zwei Feldzüge mitgemacht, dazu mein guter Adel – was braucht es mehr?“ – Er schüttelte sich. – „Nie und nimmer! … Nun rathe mir, weise Sphinx, wie soll ich mir die Zeit in Schönwerth vertreiben, wenn auch meine zweite Frau mich verlassen haben wird?“

„Ist Dir nie die Lust gekommen, zu schreiben?“

Er fuhr herum und sah sie sprachlos an. „Willst Du mich unter die Schriftsteller stecken?“ fragte er endlich mit einem ungläubigen Lächeln.

„Wenn Du denkst wie Mama und der Hofmarschall, dann freilich darfst Du meine Andeutung nicht dahin auffassen, als gelte es – das ‚Gedrucktwerden‘,“ antwortete sie mit einem heiteren Anflug in der Stimme. „Du erzählst interessant und fließend – ich bin überzeugt, Du hast einen vortrefflichen Stil; Du wirst noch effectvoller schreiben, als Du sprichst“ – seltsam, der eitle, durch die lockeren Sitten und üppigen Schmeicheleien der Halbwelt verdorbene Mann, er schlug die Augen nieder und erröthete scheu wie ein zartes Mädchen bei dem kargen Lob der ernsten jungen Frau. „Ich hätte Dir manchmal Abends beim Thee nachschreiben mögen,“ setzte sie hinzu.

„Ah – da hat also die scharfe Kritik verkappt und geräuschlos neben mir gesessen, während ich mich manchmal versucht fühlte, zu fragen, wie viel Nadelstiche wohl zu einem Blumenblatt in dem unvermeidlichen Teppich gehören möchten. … Juliane, es war nicht edel, mich diese tölpelhafte Rolle spielen zu lassen – nein, schweige!“ rief er, als sie unter einem stolzen Heben des Kopfes die Lippen zu einer herben Erwiderung öffnete – „die Strafe war nur allzu gerecht! … Ich muß Dir gestehen,“ sagte er zögernd, „daß es mir in der That oft in den Fingern gezuckt hat, zum Beispiel meine Reiseeindrücke niederzuschreiben; aber der erste schüchterne Versuch in Briefform, den ich von London aus in die Heimath schickte, hat ein so eclatantes Fiasco gemacht, daß ich die Feder für immer entmuthigt hingeworfen habe. Der Onkel schrieb mir ganz empört über ‚diese langathmigen Saalbadereien, diese tactlosen, indiscreten Mittheilungen‘ hinsichtlich verschiedener Höfe, bei denen ich doch ‚so unverdient gnädig‘ aufgenommen worden sei, und verbat sich ernstlich die Fortsetzung, da ein solcher Brief leicht in falsche Hände kommen und ihn wie mich selber compromittiren könne, und bei Valerie fand ich, heimgekehrt, das Fragment einer solchen ‚langweiligen Epistel‘ – wie sie lachend versicherte – um einen Flaconstöpsel gewickelt.“

Leo kam in diesem Augenblicke hereingestürmt – der Doctor sei beim Großpapa, und da habe man ihm erlaubt, nach der Mama zu sehen. Er starrte seinen Papa mit großen Augen erstaunt an – wie kam er denn auf einmal hierher, wo ihn der Kleine noch nie gesehen?

„Je, Papa, was thust Du denn da im blauen Zimmer?“ fragte er mit dem ganzen Befremden, aber auch mit der Eifersucht des bisherigen Alleinherrschers in den Wohnräumen der Mama.

Mainau erröthete flüchtig und schob den Knaben sanft an den Schultern zur jungen Frau hin. „Geh’, mein Junge, lege einmal Deine Arme um den Hals der Mama – sieh, ich darf nicht um eine Linie weiter vorgehen, als sie erlaubt – und bitte, sie möge noch ein klein wenig Geduld mit Dir und auch – mit mir haben, bis wir von einander gehen!“

„Ach, ich gehe ja mit, Papa!“ rief der Kleine und schlang seine Arme um die Hüften der jungen Frau. „Die Mama hat mir Abends beim Schlafengehen immer versprochen, daß sie mich mitnimmt zu Onkel Magnus und Tante Ulrike, wenn sie einmal nach Rudisdorf reist.“

„Wie! Woher weißt Du denn schon, daß die Mama nach Rudisdorf geht?“ fragte Mainau überrascht.

„Der Herr Hofprediger und dem Erbprinzen seine Mama haben am Jägerhäuschen davon gesprochen – ganz heimlich – wir haben’s aber doch gehört, der Erbprinz und ich. … Gelt, Mama, Du nimmst mich mit?“

„Du mußt den Papa herzlich bitten, daß er Dir manchmal einen Besuch gestattet,“ entgegnete sie mit tiefgesenkten Lidern, aber fester Stimme und ließ ihre schönen, schlanken Finger durch die Locken des Kindes gleiten.

„Wir wollen sehen,“ sagte Mainau kurz und rauh. „Sieh da, Juliane, Deine allerliebste Erklärung von heute Nachmittag scheint die Wirkung des elektrischen Funkens zu haben – morgen werden sich die Spatzen auf den Dächern unserer guten Residenz erzählen, daß Seine Heiligkeit in Rom alle Hände voll zu thun habe, um mit Umgehung des eisernen Gesetzes zwei Menschen von einander zu trennen, die sich schlechterdings nicht in einander finden können. … Hm – selbstverständlich wirst Du nicht vor meiner Abreise gehen?“

„Ich füge mich darin ganz und gar Deinen Anordnungen – ist es Dir recht, dann verlasse ich Schönwerth erst, wenn eine Tagereise hinter Dir liegt.“

Er nickte leicht mit dem Kopfe, dabei trat er rasch an den Tisch, bog den Brief an Ulrike zusammen und steckte ihn in seine Brusttasche. „Noch habe ich das Recht, zu confisciren – der Brief gehört mir!“ Er verbeugte sich ironisch tief und feierlich, als habe er Audienz bei einer Fürstin gehabt, vor der überraschten jungen Frau und verließ das Zimmer. … Leo aber brach plötzlich in ein leidenschaftliches Weinen aus – das Kind fühlte, daß es seinen Schutzengel verlieren sollte.




18.


In der Schönwerther Schloßküche, dem Stelldichein der Domestiken, machte das Gerücht, daß die Frau Baronin während der Abwesenheit des jungen Herrn „auf Besuch“ nach Rudisdorf gehen werde, durchaus keinen sensationellen Eindruck. Die Lakaien versicherten, sie hätten diesen „Besuch“ schon im ersten Augenblick prophezeit, wo der gnädige Herr beim Aussteigen wirklich nicht gewußt habe, ob er die Braut anrühren solle oder nicht – zuletzt habe sie doch allein aus dem Wagen steigen müssen – die Kammerjungfer, die gerade einen Bügelstahl aus dem Küchenfeuer nahm, sagte gelassen, sie sei froh darüber, es gehe ihr wider die Natur, eine Dame zu bedienen, die ihr Mann nicht estimire, und die immer nur „Muslinfähnchen“ trage, und das Küchenmädchen mit den brandrothen Flechten seufzte schwermüthig beim Tellerabtrocknen und meinte, der gnädige Herr sei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_189.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)