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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

No. 12.   1874.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Die zweite Frau.
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
Von E. Marlitt.


(Fortsetzung.)


Jetzt flog sie auf ihn zu und griff nach dem Briefblatte; aber er streckte den linken Arm kräftig abwehrend nach ihr aus, und den Kopf fast gegen die Scheiben gedrückt, las er weiter: „Ulrike, Mainau ist ein schöner Mann; er ist verschwenderisch ausgestattet mit jenem Esprit, der in der Conversation funkelt und blendet, der, mit seiner unnachahmlichen Nonchalance, gleichsam hingeworfen, wohl ein Frauenherz zu umstricken vermag – aber wie sinkt diese prächtige Salonerscheinung kläglich zusammen neben unserm stillen Denker in der Rudisdorfer Studirstube, neben Magnus, der in seinem schwachen, ungeschmückten Körper einen rastlos arbeitenden Geist birgt, hinter dessen ernster Stirn das komödienhafte ‚was wirst du wohl für Effect machen?‘ niemals Raum gefunden hat! … Siehst Du, in dieser einen Frage wurzeln alle Tollheiten, die man Mainau nachsagt, seine Duellgeschichten, Liebesabenteuer, selbst seine belehrenden Reisen, aus denen er da und dort wie ein Märchenprinz phantastisch emportaucht und von Allem nur das Auffallende, Blendende wegnascht. Niemand betont seine vielen Fehler mehr als er – gleichwohl möchte er um Alles nicht einen einzigen einbüßen, weil sie cavaliermäßige Unarten sind und von der oberflächlichen vornehmen Welt als originell cajolirt werden. … Mit mehr Ernst und Strenge gegen sich selbst und weniger umschmeichelt von verlorenen Frauenseelen, hätte er ein ganzer Mann werden können, aber“ – hier hatte sie vorhin die Feder weggeworfen.

„Es ist wahr, verbittert bist Du nicht, Juliane,“ sagte er, unter einem ironischen, aber eigenthümlich heisern Auflachen den Brief auf den Tisch legend. „Verbitterung läßt keine solche objective, leidenschaftslose Beurtheilung zu, mit der Du mein ganzes Sein und Wesen wie einen angespießten unglücklichen Schmetterling unter die Loupe genommen hast. … Du hast ferner vollkommen Recht, wenn Du Dich bei dieser Auffassung meines Charakters um jeden Preis von mir loszumachen suchst. – Das wird Dir nach Dem, was heute vorgefallen, nicht mehr schwer werden – selbst im unerbittlichen Rom wird man nicht umhin können, den einen Scheidungsgrund zu berücksichtigen – ich habe Dich ja geschlagen.“

„Mainau!“ schrie sie auf – der Ton, in welchem er sprach, ging ihr durch und durch.

Er schritt, ohne sie anzusehen, an ihr vorüber, in den Salon – dort ging er einige Male auf und ab, dann trat er an die Glasthür und starrte finster schweigend hinaus in die Abenddämmerung. … Wie würde Freund Rüdiger in sich hineingelacht haben bei einem Einblicke in die Appartements der jungen Frau! … Sie stand zwischen den weißen Azaleenbäumen im blauen Boudoir. Mit dem ganzen Schimmer des gefeierten deutschen Loreleihaares rieselten die gelösten, vielgeschmähten roten Flechten, „die ‚er‘ wohl bei seiner Frau, niemals aber an einer Geliebten“ sehen wollte, zwischen dem blüthenbeschneiten zarten Geäste der Azaleen hinab, und die mitleidig belächelten „blassen Veilchenaugen à la Lavallière“ sahen mit dem Ausdrucke eiserner Entschlossenheit vor sich hin. Und Mainau? Noch vor Kurzem hatte er die Briefe, die er von ihr erhalten werde, „als steife Stilübungen einer ernsthaften Pensionärin mit Wirthschaftsberichten als Vorwurf“ prophetisch bezeichnet – jetzt hatte er einen Brief von ihr gelesen – der Aufruhr, der sichtlich hinter dieser düster gefurchten Stirn wogte, das unbewußte nervöse Spiel der Finger auf den leise klingenden Scheiben ließen nicht auf jene „keine schlaflose Nacht“ bringende Gemüthsruhe schließen, die er vorausgesetzt.




17.


Es war so still geworden nach dem Schreckensrufe der jungen Frau. In der Volière des anstoßenden großen Empfangssalons regten sich noch einige Male aufflatternd die kleinen Vögel, ehe sie zur Nachtruhe die Köpfchen unter die Flügel steckten, und draußen auf der hallenden Steinmosaik des langen Säulenganges klang manchmal der flüchtige Fuß eines vorübereilenden Lakaien; aus dem blauen Boudoir aber, das mit seinen hellglänzenden Wänden unter der Portière hervor einen bleichen Schein in den dunkelnden Salon warf, kam auch nicht das leiseste Geräusch – sollte die junge Frau das Zimmer verlassen haben? – Bei diesem Gedanken fuhr Mainau mit dem Schrecken einer plötzlich erlittenen Beleidigung empor – hatte er erwartet, sie werde ihm nachkommen, weil seine Stimme, was ihn in jenem Augenblicke selbst überrascht, sie erschüttert und bewegt hatte, wie alle, ja alle anderen Frauen auch? Hatte er gemeint, dieser unbestechliche, starke Geist habe doch unbewußt jene Saite des schwachen Weibes in sich, die unter den verführerischen Lauten von Männerlippen wiederhallt und ihn schließlich doch zu den Füßen des Siegers zwingt? … Rasch, aber unhörbar über den teppichbelegten Boden schreitend, trat er unter die Portière.

Die junge Frau war nicht hinausgegangen – die linke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_187.jpg&oldid=- (Version vom 30.5.2018)