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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Talglichter und die Felskanten, die unsere Köpfe bedrohten – mit Einem Worte, die Lage war höchst unerquicklich. Glücklicher Weise endete unsere Maulwurfspartie schon nach wenigen Minuten; Tageslicht blendete unsere Augen; Wasserstaub besprengte unsere Gesichter; noch ein paar Fuß weiteren Kriechens, und wir befanden uns auf einem schmalen Felsenrande, wenige Armeslängen entfernt von dem Wasserfalle, da, wo er aus dem Gestein hervorbricht.

Die erhabene, fast grauenerregende Schönheit des Punktes, gesteigert durch das die menschliche Rede übertönende Gebrause des Wassers und das ängstliche Flattern der von uns aufgescheuchten Tauben, versetzte uns in jene Stimmung, in welcher der Mensch sich seiner Ohnmacht gegenüber der furchtbaren Gewalt der Elemente bewußt wird.

Wie wir gekommen, begaben wir uns zurück, und nach wenigen Minuten Steigens standen wir wieder am Rande des Schlundes. In der Osteria zeichneten wir unsere Namen in das zerrissene und beklexte Fremdenbuch ein und wanderten dann wohlgemuth, aber müde und hungrig nach dem eine Stunde entfernten Dorfe Corgnale, dessen Tropfsteinhöhle die Adelsberger Grotte in mancher Beziehung übertrifft, und die wohl auch ein Plätzchen in der Gartenlaube verdiente.

R. Baumbach.




Winter-Studien.


3. Das Eis und die Eisblumen.

Die Edda, die Bibel unserer heidnischen Vorfahren, hat uns den im Nordosten hausenden Frostriesen Hymir, der alljährlich die Natur in Schlaf versetzt, bis Freyr, der Sonnengott, mit seinen strahlenden Waffen den Eispanzer zertheilt und die Schlafende mit seinem Kusse erweckt, in seiner ganzen Majestät geschildert, in jenem Sange, welcher die Abgesandten der Asen zu ihm kommen läßt, um seinen großen Braukessel zu borgen. Die furchtsamen Boten hatten sich hinter den Säulen seines Saales und hinter den Kesseln versteckt, als der grimmige Reifriese heimkam:

Er trat in den Saal, die Gletscher dröhnten,
Ihm war, da er kam, der Kinnwald gefroren.

Da er wußte, wo sich die Abgesandten versteckt hatten, so brauchte er blos einen seiner eiskalten Blicke auf diese Hüllen zu richten, und

Die Säule zersprang von des Riesen Sehe,
Und entzweigebrochen sah man den Balken,
Acht Kessel fielen und einer nur,
Ein hart gehämmerter, kam heil herab.

Die im Norden bis zur Verwendbarkeit in der poetischen Schilderung bekannte, Alles zersprengende Macht des Frostes, die wir zu unserem Leidwesen so oft an geborstenen Wasserleitungsröhren studiren müssen, war den Griechen so auffallend, daß man ein vom Froste gesprengtes Erzgefäß im Tempel des Aeskulap zu Pantikapäum als große Merkwürdigkeit aufbewahrte. Ein Dichter besang es in Versen, welche die gelehrten Geographen Eratosthenes und Strabo der Aufbewahrung würdig gehalten haben:

Wenn der Sterblichen Einer nicht glaubt, was bei uns sich ereignet,
 Nun, so lern’ er es selbst, schauend dies Wassergefäß,
Welches nicht als schönes Geschenk den Göttern der Priester
 Stratios, sondern als Mal grimmiger Kälte gesetzt!

In der That ist die unwiderstehliche Ausdehnungskraft des Wassers im Augenblicke seines Erstarrens nicht nur eines der wirksamsten Zerstörungsmittel, mit welchem die Natur ihre eigenen Schöpfungen bedroht, sondern auch eine der merkwürdigsten Ausnahmen von der Regel, daß sich die Stoffe um so mehr zusammenziehen, je kälter sie werden. Immerfort arbeitet der Keil des gefrierenden Wassers in den Felsritzen der Alpen, um sie abzutragen, wie er die Gefäße der Pflanzen auseinandertreibt, in denen der Frühjahrssaft vorzeitig pulsirte. Doch sind die Gewächse in ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Frost und in ihrem Wärmebedürfniß außerordentlich verschieden. Einige keimen mitten im Eise; die Christwurz drängt um Weihnachten ihre großen weißen Blüthen durch den Schnee; die handlangen Triebe der Polarweide entfalten ihre Blüthenkätzchen, während der untere Theil des Stengels im starren Frost liegt. Den weit verbreiteten Glauben, daß der Frost die Gewächse nicht im Augenblicke des Gefrierens, sondern in dem des allzu schnellen unvorsichtigen Aufthauens tödte, hat Professor Göppert vor zwei Jahren als Irrthum erwiesen, und dies sehr augenfällig an den Blüthen einiger tropischen Orchideen gezeigt, die sich in Folge ihres Indigogehalts beim Absterben blau färben, diese Färbung aber zur Zeit des Erfrierens und nicht erst beim Aufthauen annehmen.

Man hat in älteren Zeiten zahlreiche Versuche angestellt, um die große Sprenggewalt des gefrierenden Wassers darzuthun. Die Physiker der Florentiner Akademie brachten eine kupferne Kugel mit 0,67 Zoll dicken Wandungen, Huygens im Winter 1667 ein sehr starkes eisernes Kanonenrohr, der Artilleriemajor William zu Quebeck sogar Bomben von acht Zoll Wandstärke durch gefrierendes Wasser zum Zerspringen; ich habe im Gegensatze hierzu eine mit Wasser gefüllte Medicinflasche ganz bleiben sehen, während ein dünner Eiscylinder zwei Zoll hoch über die Mündung emporgetrieben wurde. Der französische Naturforscher Boussingault beschloß im Winter 1870 bis 1871 sich zu überzeugen, wie weit die Ausdehnungskraft des gefrierenden Wassers gehen werde. Er wählte ein Gefäß aus dem widerstandsfähigsten Material, das er auftreiben konnte, eine Gußstahlkanone, deren Wandungen einen Druck von mehreren hundert Atmosphären aushalten konnten, füllte das Rohr bis zur Mündung mit Wasser und verschloß es mit einem Schraubenstöpsel, nachdem er eine kleine Stahlkugel hineingeworfen hatte. Und wie er vorhergesehen, so geschah es: das Wasser in diesem Rohre blieb flüssig, obwohl es einer Kälte bis zu zwanzig Grad Celsius ausgesetzt wurde. Er vermochte zwar nicht, sich hiervon durch den Augenschein zu überzeugen, da das Wasser beim Lüften des Stöpsels natürlich sofort erstarrte, aber die Stahlkugel verrieth durch ihr völlig unbehindertes Rollen während des Versuchs den Zustand des Wassers im Rohre.

Man ersieht hieraus, daß der Gefrierpunkt des Wassers durch mechanischen Druck erniedrigt werden kann, daß er also keineswegs unveränderlich ist. Bei einem Körper, der sich im Augenblick des Erstarrens ausdehnt, konnte man dies eigentlich nicht anders erwarten, aber man hat sonst nicht daran gedacht, bei der Bestimmung des Gefrier- und Schmelzpunkts des Wassers, wie bei seinem Siedepunkt üblich, zu sagen: „Null Grad unter gewöhnlichem Atmosphärendruck“. In neuerer Zeit ist aber die Wandelbarkeit des Gefrier- und Schmelzpunktes zum Ausgangspunkte zahlreicher Versuche und Betrachtungen geworden, die zur Erklärung wichtiger Naturerscheinungen dienen. Schnee, der bei großer Kälte fällt, ballt sich, wie wir gesehen haben, nicht nur nicht zu Flocken, sondern er verhält sich auch den Versuchen, einen Schneeball daraus zu machen, gegenüber wie trockener Sand. Auf der Straße wirkt er wie aufgestreutes Colophonium, um die Wagenräder ein quietschendes Concert vollführen zu lassen, welches sich vom warmen Ofen aus leidlich gut anhört. Der Schnee hingegen, welcher in Flocken bei einer nicht unter Null herabgegangenen Temperatur fällt, läßt sich schon durch einen einfachen Händedruck in ein Mittelding von Schnee und Eis verwandeln, „er ballt“, wie die liebe Jugend mit Freuden und Schmerzen empfindet, letzteres wenn so ein wohlgezielter Eisball ein Loch in den Kopf geschlagen hat. Wer eine Presse und entsprechende Formen besitzt, kann aus solchem Schnee Gestalten beliebiger Art, Weingläser, Schalen und dergleichen pressen, die aus klarem Eise gefertigt scheinen, und unter dem Drucke ihre Form ändern. Dasselbe gelingt mit gröblich zerschlagenem Eise, wenn es nicht kälter als Null ist, am besten also in einem geheizten Zimmer. Das Eis und der aus lauter Eisnadeln bestehende Schnee erweist sich als scheinbar völlig plastisch. Aehnliche Erscheinungen hatte man längst mit großem Erstaunen an dem Gletschereise bemerkt, welches bekanntlich aus dem Schnee entsteht, der sich in den Einsattelungen im Gebirge in ungeheuer hohen Schichten ansammelt. Unter dem Einflusse der wärmeren Luft und Sonnenstrahlen sickert der anfangs lockere Schnee allmählich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_184.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)