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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

und die schwierige Frage war gelöst. Ueber die Richtung des unterirdischen Laufes der Reka, sowie über die Zuflüsse, welche sie empfängt, ist indessen bis heute noch nichts Bestimmtes ermittelt worden.

Es war einige Tage nach der Timavo-Expedition, als ich mich in Begleitung einiger Landsleute nach dem auf dem Karstplateau gelegenen, vier Stunden von Triest entfernten San Canziano auf den Weg machte.

Aus der Steinwüste des entwaldeten und darum wasserarmen Gebirges erhebt sich San Canziano wie eine Oase. Die für den Karst charakteristischen Dollinen (so heißen auf Slovenisch trichterförmige, durch Einsenkungen entstandene Mulden) nehmen um das


Der Feinschmecker.
Originalzeichnung von Prof. Siegert.


Dorf herum gewaltige Dimensionen an, und ihre Wände sind mit frischem Grün anmuthig bekleidet. In der Osteria wies man uns den Weg nach der Behausung des Mannes, dem es obliegt, den Fremden die unterirdischen Wunder von San Canziano zu zeigen. Der Führer, ein alter, einäugiger Mann, der außer seiner Muttersprache, der slovenischen, auch italienisch und deutsch sprach, hieß uns in wohlgesetzter Rede willkommen, und nachdem er sich mit einer Pechfackel und einem Bündel Talgkerzen versehen hatte, traten wir unsere Wanderung an.

Oberhalb des Dorfes verschwindet die Reka (slavische Bezeichnung für „Fluß“), nachdem sie einige Mühlen gespeist hat, zum ersten Male, um einige hundert Schritte weiter unten im Grunde einer tiefen Dollina auf kurze Zeit wieder zum Vorscheine zu kommen, Abermals verschwindet das Wasser, durchbricht dann die Wand eines über hundert Meter tiefen Trichters und stürzt in den Grund desselben, wo es sich zum letzten Male verliert, um erst wieder als Timavo zu Tage zu kommen. Der letzte und tiefste Trichter ist zugänglich gemacht worden. Auf steil abwärts führendem Pfade gelangten wir an eine mit einer Thür versehene Mauer, durch welche der Zugang zu dem Schlunde abgesperrt ist. Unser Führer öffnete die Thür, und nachdem er uns zur Vorsicht ermahnt hatte, stiegen wir in die Tiefe. Vorsicht ist allerdings nöthig, und wer von Schwindel nicht frei ist, der thut besser, die Fahrt zu unterlassen. Es sind wohl Stufen gelegt und an den gefährlichsten Stellen Holzgeländer angebracht, doch sind die Stufen so schmal und steil, zudem glatt und schlüpfrig, daß sie dem Fuße keinen sicheren Halt gewähren, und was das Geländer anbelangt, so war es so morsch, daß uns der Führer selbst warnte, uns desselben zu bedienen. Wir stiegen behutsam hinab. Hin und wieder rasteten wir und sandten einen Blick in die Tiefe, aus welcher dumpfes Brausen empordrang; dann wieder ruhte unser Auge mit Behagen auf dem jungen Grün, mit welchem die fast senkrechten Wände bedeckt waren. Blütheneschen, Hopfenbuchen, verwilderte Feigenbäume, Eichen und wilde Rosen wurzelten in den Felsenspalten. Jeder Vorsprung war mit saftigem Graswuchse überzogen, und über den grünen Rasen hoben Veilchen, Potentillen, Schlüsselblumen und goldgelbe Aurikeln ihre Köpfchen empor.

Bevor wir noch auf dem Grunde des Trichters ankamen, gelangten wir an den Eingang einer Grotte. Eine Menge wilder Tauben (Columba livia, Stammmutter unserer Haustaube), die hier nisten, flogen bei unserer Annäherung erschreckt auf und stiegen dann in die Höhe, bis sie unserm Auge wie weiße in der Luft schwebende Flaumfedern erschienen und schließlich ganz entschwanden. Die Grotte zieht sich über eine Viertelstunde lang in mannigfachen Windungen in den Berg hinein; aber die Stalaktitengebilde, welche von der Wölbung niederhängen, sind durch das häufig eindringende Wasser verstümmelt und verunreinigt, so daß ein weiteres Vordringen auf dem schlüpfrigen Pfade nicht lohnend genug ist.

Nach kurzer Rast in der Vorhalle der Grotte kletterten wir die letzte Strecke hinunter und standen bald Alle auf einem Felsblocke, der sich über das brausende Wasser erhebt. Uns gegenüber erblickten wir eine tiefe, breite Spalte, welche die Wand des Trichters ihrer ganzen Länge nach durchzieht. Hier stürzt die ganze Wassermasse der Reka senkrecht herab; noch einmal stellt sich ihr ein Felsenvorsprung hemmend in den Weg, dann fällt sie schäumend unter donnerähnlichem Getöse auf den Boden des Kessels, umwogt brandend die glattgewaschenen Steinblöcke und verliert sich nach Westen hin gurgelnd in die unbekannte Tiefe. – Nachdem wir uns hinlänglich Zeit gegönnt hatten, um das erhabene Schauspiel recht zu genießen, kletterten wir wieder in die Höhe. Aber noch einmal machte unser Führer Halt und zwar vor einem natürliche Stollen, welcher dem Anscheine nach in horizontaler Richtung in den Berg hineinführte. Er entzündete die mitgebrachte Fackel und gab Jedem von uns eine brennende Talgkerze in die Hand; dann legte er sich nieder und kroch ohne Weiteres in die Höhle hinein. Nach einigem Zaudern folgten wir auf Händen und Füßen kriechend nach; aber um die Wahrheit zu gestehen – Jeder von uns wäre wohl gern nach einer Minute wieder umgekehrt, wenn dies nur möglich gewesen wäre; das Gestein, auf welchem wir vorwärts krochen, wurde nämlich schlüpfriger und schlüpfriger, und die anfangs horizontale Richtung des Ganges schien allmählich in die verticale übergehen zu wollen, so daß wir jeden Augenblick befürchteten, kopfüber in die Tiefe zu fahren. Dazu die drückende Luft, der Dampf der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_183.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)