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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Nubier, ein alter zuverlässiger Diener des Hauses, hat nichts gehört und nichts gesehen und weiß von nichts. Sie forschen weiter umher und fühlen auf einmal, daß eine der Steinplatten unter ihren Füßen wackelt und darauf noch eine. Sie heben beide Platten ohne Mühe in die Höhe. … sie meinen zu träumen, denn sie finden ein großes dunkles Loch im Boden, das ihnen als Lösung des Räthsels entgegenstarrt. Durch dieses Loch, das auf einen unterirdischen Gang schließen läßt, mußten die Diebe in den Laden eingedrungen sein. Aber wohin führte dieser Gang? Kellergewölbe giebt es nicht auf der Muskih, wie es überhaupt keine Keller in den alten Häusern Kairos giebt, die sämmtlich auf höchstens zwei bis drei Fuß tiefen Fundamenten ruhen, und die Fußböden der Erdgeschosse bestehen durchweg aus viereckigen, etwa anderthalb Fuß im Quadrat haltenden Steinfliesen.

Schon war in der Nachbarschaft der Einbruch bekannt geworden. Polizeimannschaft kam und umstellte das Haus, um die Neugierigen abzuhalten, und man schritt zur näheren Untersuchung. Man leuchtete in den unterirdischen Gang hinab, aber Keiner wollte sich hinein wagen, denn es konnte ja möglicher Weise noch Jemand darin versteckt sein. Die Herren Rochmann boten Geld, um das Wagestück zu unternehmen, hundert Franken und mehr; endlich fand sich ein beherzter Araber, der es für sechs Pfund Sterling zu thun versprach. Dies wurde angenommen. Der Araber versah sich mit Waffen, Feuerzeug und einer Kerze und stieg oder kroch vielmehr in den dunkeln Schlund hinab. Man wartete und wartete, fast eine Viertelstunde, der Araber kam nicht wieder. Schon erschöpfte man sich in allerlei Muthmaßungen, als er plötzlich von der Straße aus zur Thür wieder hereintrat, und nun war auch der Schlüssel des Mysteriums gefunden. Der Araber war behutsam fortgekrochen, weiter und weiter, durch verschiedene Windungen des langen Ganges und endlich in einem nach hinten und ziemlich entfernt liegenden Hofe wieder an’s Tageslicht gekommen. Der Gang mündete in einem halbverfallenen Bretterverschlage, der natürlich leer war, aber die Aufklärung des Ganzen kam jetzt von allen Seiten.

Man erinnerte sich, wie ungefähr drei Monate früher einige Griechen und Italiener jene Bretterbude gemiethet und dort ein arabisches Kaffeehaus etablirt hatten. Zu einem solchen Etablissement gehört in Kairo nicht viel, und man muß dabei nur ja nicht an ein europäisches Kaffeehaus, oder gar an ein Café auf einem Pariser Boulevard denken. O nein, einige alte Matten und Teppiche, auf denen sich die Gäste mit gekreuzten Beinen niederlassen und ihren Tschibuk rauchen, ein Dutzend Tassen, ein Kessel für das kochende Wasser, ein steinerner Mörser, um darin die gerösteten Bohnen zu Mehl zu zerstampfen, und endlich die Kanne, um durch einfachen Aufguß den Trank zu bereiten – diese Gegenstände genügen zur Ausrüstung eines solchen Kaffeehauses. Daß trotzdem dieser Trank, ohne alle weitere Zuthat, köstlich ist, bezweifelt gewiß mehr als eine meiner Leserinnen; dem ist aber doch so, man muß nur dazu eben in Kairo sein.

Die neuen Wirthe hatten übrigens nur geringen Zuspruch, denn sie vernachlässigten ihre Kunden, die nach und nach wegblieben, zumal in den kleinen Nebengassen der Muskih derartige Kaffeehäuser in großer Menge zu finden sind. Man bemerkte auch, daß sie viele Tonnen kommen ließen, man wußte nicht, ob mit Wein oder Bier, die sie aber nicht ausschenkten, sondern, wie es schien, wieder an andere Debitanten verschickten. So trieben sie es mehrere Monate lang und Niemand bekümmerte sich weiter um sie.

Aber diese sauberen Patrone waren nur Kaffeewirthe zum Schein; Nachts gingen sie an ihr eigentliches Geschäft, und wir wissen schon, an welches. Sie hatten das Terrain mit großem Geschick ausgekundschaftet und danach ihren Plan gemacht. Die Bretterbude lag von dem Hause der Juwelenhändler kaum sechszig Fuß entfernt, es war also möglich, durch einen unterirdischen Gang dahin zu gelangen. Die Arbeit war allerdings eine gewaltige und mit unendlichen Hindernissen verbunden, aber als Lohn winkte dafür die reiche Beute im Rochmann’schen Laden. Fast drei volle Monate gruben und wühlten sie unverdrossen, wie einer von den Verbrechern sofort bei seiner späteren Verhaftung gestanden, Nacht für Nacht, und dabei hing stets das Damoklesschwert der Entdeckung über ihrem Haupte. Zuerst arbeiteten sie sich unter der Gasse durch, natürlich in der nöthigen Tiefe, um jedem Einsturze vorzubeugen, dann stießen sie auf eine alte Mauer, die sie nicht durchbrechen konnten, sondern in einem Winkel umgehen mußten, um dann wieder die alte Richtung einzuschlagen; darauf stellte sich ihnen eine zweite, aber dünnere Mauer entgegen, die sie mit Brechstangen bewältigten, und so näherten sie sich mehr und mehr ihrem Ziele.

Die lose Erde, die so leicht zur Verrätherin hätte werden können, wurde sorgfältig in die erwähnten leeren Fässer geschüttet und dann am hellen Tage durch Fuhrleute an verschiedene Adressen fortgesandt; viele dieser Fässer gingen sogar als Frachtgut per Eisenbahn nach Alexandrien und Suez.

Ingenieure, die später als Sachverständige zur Besichtigung des Baues gerufen wurden, haben ein Gutachten dahin abgegeben, daß sie denselben nicht besser und zweckmäßiger hätten anlegen können, wenn sie damit beauftragt worden wären. Es war ein wirkliches Tonnengewölbe im Kleinen, neunundzwanzig Meter lang bei einem Durchmesser von zwei und einem halben Fuße; Querpfeiler, Stützen und Ständer, nichts fehlte, um den Gang so solid und sicher wie möglich zu machen. Auch die Richtung war auf das Genaueste berechnet, und doch grenzt es fast an’s Wunderbare, daß die Diebe gerade unter jenen zwei Steinplatten in den Boden eingedrungen sind, da sie nur wenige Fuß weiter, rechts oder links, unter verschiedenen schweren Möbeln, einen sehr starken Widerstand gefunden haben würden.

Freilich erinnerte sich jetzt auf einmal der ältere der beiden Brüder, daß wenige Tage vor dem Einbruche ein Herr in den Laden gekommen war, um eine Uhr zu kaufen. Dieser Herr, der gut französisch sprach und auch sonst den Eindruck eines Mannes von Stande machte, ließ während des Gesprächs seinen schweren Spazierstock wie zufällig oder wie spielend mehrere Male auf die Steinplatten fallen und wiederholte dies scheinbar unschuldige Manöver auch, als er die Uhr bezahlte und fortging. War dies ein Zeichen für die unten lauernden Diebe, um ihnen diejenigen Steinplatten anzuzeigen, die sich am besten für den Durchbruch eigneten? Damals beachtete Herr Rochmann diesen Umstand kaum; jetzt kam er ihm auf einmal mit doppeltem Gewichte in Erinnerung.

Der Verlust, den die Juweliere durch den Einbruch erlitten, war leicht festgestellt und durch ihre Geschäftsbücher nachgewiesen, er betrug in runder Summe siebenundzwanzigtausendfünfhundert Pfund Sterling, also gegen siebenhunderttausend Franken. Sie erbaten sich eine Audienz beim Vicekönige, die sie auch sofort erhielten, und sie hatten wenigstens den Trost, daß ihnen das Versprechen gegeben wurde, alle Mittel aufzubieten, um die Diebe zu entdecken.

Die Polizei von Kairo ist, wie man dies auch bei dieser Gelegenheit wieder gesehen hat, keineswegs so mangelhaft, wie man es vielleicht in einem Lande, das in so mancher andern Hinsicht noch weit hinter Europa zurücksteht, glauben möchte. In vorliegendem Falle ging sie wenigstens sehr behutsam und geschickt zu Werke, wie man sagt, auf directe Instruction des Vicekönigs. Daß ein Einzelner die complicirte und freche That nicht vollbracht haben konnte, lag auf der Hand; vermuthlich war es eine ganze Bande (die vier Griechen und Italiener, die das Kaffeehaus gemiethet hatten, waren ja den Bewohnern der Gasse bereits bekannt), und nach vollbrachter That hatten sich dann die Diebe den gestohlenen Schatz getheilt und sich sehr wahrscheinlich getrennt. Hierauf basirte die Polizei ihre Operationen.

Gleich nach Entdeckung des Einbruchs ging kein Dampfer mehr von Alexandrien, von Port-Said oder Suez – die beiden letzteren Städte sind die Endpunkte des neuen Suez-Canals – in See, der nicht einige Agenten zur Ueberwachung der Passagiere an Bord gehabt hätte. In Kairo selbst hatte man nach einigen stillen Nachforschungen, die ohne Resultat geblieben waren, die Sache scheinbar fallen lassen, so daß sie im Volke bald in Vergessenheit gerieth und daß auch Andere, die wohl noch daran dachten, aber nach Verlauf von zwei Monaten gar nichts mehr davon hörten, der Ansicht wurden, den Dieben sei ihre Flucht geglückt und die Bestohlenen hätten sich in ihr Schicksal zu ergeben.

Aus Neapel, Marseille, Paris, London, Triest, Wien und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_180.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)