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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

kommen, indem sie in Obst- und Weingärten einfallen und hier unter Umständen beträchtlichen Schaden verursachen, und ebenso werden andere dadurch wenigstens lästig, daß sie die Hausthiere anzapfen und unter Umständen selbst Menschen angreifen. Von den letztgenannten Fledermäusen will ich hier sprechen.

Während bei den übrigen Flatterthieren meist nur das Ohr und damit das Gehör eine hohe Entwickelung erlangt hat, bemerkt man bei den Blattnasen, welche ziemlich allgemein im Verdachte des Vampirthums stehen und theilweise als Blutsauger erkannt worden sind, eigenthümliche Wucherungen auf der Nase in Form häutiger Aufsätze, deren Gestalt mannigfachem Wechsel unterworfen ist, im Wesentlichen aber aus einem mehr oder minder entwickelten Hautblatte besteht. Wenn dasselbe vollständig ist, wird es zusammengesetzt durch das sogenannte Hufeisen, den Längskamm und die Lanzette, wogegen es in seiner einfachsten Form als eine quer über die Nasenspitze gehende Hautfalte sich zeigt. Hinter den Nasenlöchern kommen außerdem vielfach eigenthümliche Vertiefungen und Löcher und um die Nasenfalten auf Lippen und Wangen Fleischwarzen vor, welche eine bestimmte Rolle spielen müssen, da sie erfahrungsmäßig den Thieren wichtiger als die Augen sind. Höchst wahrscheinlich schärfen sie den Geruchs- und Gefühlssinn; doch liegt hierüber ein Schleier, welcher bis jetzt noch nicht gelüftet werden konnte. Zur Verschönerung des ohnehin nicht ansprechenden Fledermausgesichts tragen weder die Hautblätter noch die Warzen bei, verhäßlichen im Gegentheil das Thier auf das Höchste. Wer sonst Lust hat, sich mit unfruchtbaren Deuteleien abzugeben, mag annehmen, daß der Ausdruck des Vampirgesichts bereits auf sein unheimliches Treiben hindeute; wer ruhiger und vernünftiger urtheilt, wird in den Hautblättern Organe von außerordentlich feinem Bau, also bewunderungswürdige Gebilde erkennen müssen.

Blattnasen giebt es in allen Erdtheilen und ebensowohl in heißen wie in gemäßigten Gegenden. Auch unser Vaterland besitzt in den Hufeisennasen zwei Arten der Gruppe, zu denen sich in Süd-Europa noch mehrere gesellen; doch erlangt die Familie erst in dem heißen Gürtel der Erde ihre volle Entwickelung. Insbesondere scheint Süd-Amerika alle Bedingungen zu erfüllen, welche das Leben einer Blattnase angenehm machen können; hier leben mindestens die größten und die blutgierigsten Arten. Gleichwohl darf man nicht wähnen, daß das Vampirthum nur in Süd-Amerika üblich sei; neuere Beobachtungen haben im Gegentheile festgestellt, daß auch asiatische Blattnasen Blutsauger sind, ja daß selbst unsere deutschen Arten dann und wann, vielleicht öfter als wir vermeinen, ein lebendes Wesen anzapfen. Zur Beruhigung meiner Leserinnen, unter deren Mißfallen die Fledermäuse ohnehin schwer zu leiden haben, darf ich versichern, daß, bis jetzt wenigstens, noch kein einziger Fall eines rücksichtslosen Angriffes unserer einheimischen Blutsauger auf Menschen bekannt geworden ist, diese vielmehr die üble Gewohnheit ihrer Zunft nur an andern Mitgliedern ihrer Ordnung und höchstens ausnahmsweise noch an einer schlafenden Taube oder einem träumenden Huhne bethätigen. Minder rücksichtsvoll gegen den Gebieter der Erde zeigen sich die Blutsauger Süd-Amerikas, und wahrscheinlich sind es gerade die an Größe die unserigen nicht übertreffenden Arten, denen man die Hauptschuld aufzubürden hat. Wenigstens verzehren die größeren Arten, diejenigen, denen man den Namen Vampire gegeben hat, nach neueren Beobachtungen erwiesenermaßen Kerbthiere und Früchte und sind bis jetzt beim Blutsaugen noch nicht ertappt worden.

Die Berichte und Klagen über das Blutsaugen der Fledermäuse gehören zu den ältesten Nachrichten, welche wir über Amerika haben. Früher weiß man nichts von Vampir- und Fledermausgeschichten; denn die Angaben Herodot’s von großen Fledermäusen in Arabien, welche „auf der in Sümpfen wachsenden Pflanze Casia sich aufhalten, sehr stark sind und fürchterlich schwirren, so daß die Leute, welche die Casia sammeln, ihren ganzen Leib und das Gesicht bis auf die Augen mit Leder bedecken müssen, um sie von ihrem Leibe abzuhalten“, tragen den Stempel der Unwahrheit an der Stirn und beziehen sich vielleicht auch nur auf Flederhunde, welche ihrer Größe halber den Leuten aufgefallen sein können. Dagegen weiß Geßner bereits von Blutsaugern zu erzählen.

„In Darienen der Landschafft des newen Lands,“ sagt er, „worden die Hispanier in der Nacht von den Flädermäußen geplaget, welche, so sie einen schlaffenden vnversehens gebissen hatten, blutet er sich zu todt, dann man hat etliche von diesem Schaden todt gefunden. So dieses Thier einen Hanen oder Henne vnder offenem Himmel gefunden, hefftet es ihm den Angel in seinen Kamm vnd bringt ihn vmb, als Petrus Martyr schreibet. In mehrertheils Orten Parie oder Indie haben die Hispanier Flädermäuß, so nicht kleiner dann die Turteltauben gewesen, gefunden, welche angehends der Nacht auf sie schossen vnd sie mit irem vergifften Bisß taub machten also, daß sie da hinweg zu fliehen gezwungen worden, als obgenannter ausweiset. Solche Flädermäuß sollen auch in Vraba, der grösten Insel deß newen Lands in einem Maß gefunden werden, nicht kleiner dann die obgenannten, thun auch gleichen schaden, als etliche Hispanier erfahren haben. Ancisus der Vogt oder Feldtherr, so dann ausgeworffen war, als ich ihn fraget von diesem vergifften Bisß, sagt er mir, daß er Sommerszeit, als er von Hitz wegen den Schenkel entdeckt, von einer Flädermauß in eine Versen gebissen war, welches jm nicht mehr Schaden gebracht hab, dann wenn er von einem andern vnvergifften Thier verletzt worden. Andere sagen, der Bisß sei gantz vergifft, aber mit Meerwasser bestrichen, werde er von stund an heil, als der obgenannte lehret.“

Genauere Berichte giebt der Spanier Azara, welcher die Blutsauger „Beißer“ nennt. „Zuweilen,“ bemerkt er, „beißen sie sich in dem Kamm und in den Kinnlappen der schlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszusaugen, und die Hühner sterben daran gewöhnlich, zumal wenn die Wunden, wie fast immer geschieht, sich entzünden. Ebenso beißen sie Pferde, Esel, Maulthiere und Kühe und zwar regelmäßig in die Seiten, die Schultern oder in den Hals, weil sie dort mit Leichtigkeit sich festhalten können. Dasselbe thun sie mit den Menschen, wie ich bezeugen kann, weil ich selbst viermal in die Zehen gebissen worden bin, während ich unter freiem Himmel oder in Feldhäusern schlief. Die Wunde, welche sie mir beibrachten, ohne daß ich es fühlte, war rund oder länglich rund und hatte eine Linie im Durchmesser, aber so geringe Tiefe, daß sie kaum die ganze Haut durchdrang. Man erkannte sie an den aufgetriebenen Rändern. Meiner Schätzung nach betrug das Blut, welches nach dem Bisse floß, etwa dritthalb Unzen. Allein bei Pferden und anderen Thieren mag die Menge gegen drei Unzen betragen, und ich glaube, daß sie schon wegen des dicken Felles größere und tiefere Wunden an ihm hervorbringen. Das Blut kommt weder aus den Hohl- noch aus den Schlagadern, denn bis dahin dringt die Wunde nicht ein, sondern blos aus den Haargefäßen der Haut, aus denen sie unzweifelhaft es schlürfen und herausziehen. Obgleich die mir beigebrachten Bisse einige Tage ein wenig schmerzten, waren sie doch von so geringer Bedeutung, daß ich weder ein Mittel dagegen anzuwenden brauchte, noch am Gehen verhindert wurde. Weil diese Fledermäuse aber keine Gefahr bringen, blos in jenen Nächten Blut saugen, in denen ihnen andere Nahrung fehlt, fürchtet und verwahrt sich Niemand vor ihnen.“

Man sieht, daß Geßner’s Gewährsleute, ebensowohl wie Azara, das Blutsaugen noch wahrheitsgemäß schildern und sich kaum Uebertreibungen zu Schulden kommen lassen. Solche finden sich erst später in verschiedenen Berichten, und zwar, wie ich bemerken will, auch in solchen der neuesten Zeit. Verschiedene Reisende erzählen mit ersichtlichem Behagen wahre Schauergeschichten von Vampiren, unzweifelhaft einzig und allein in der Absicht, ihren gutwilligen und gläubigen Lesern gelindes Gruseln zu verursachen. Ich will nur einen dieser Berichte hier folgen lassen, uns zu beweisen, wie unverantwortlich auch sogenannte Naturforscher sich über das Blutsaugen der Fledermäuse auslassen.

„Am unangenehmsten,“ so will Appun seine Leser glauben machen, „wurden die in leerstehenden Hütten zugebrachten Nächte, wo alle Bewohner derselben beschäftigt waren, meine Anwesenheit zur Erhaltung ihres kostbaren Lebens zu benutzen. Die Vampire beschränkten sich nicht auf eine oberflächliche Kenntnißnahme meiner Person, sondern waren so rücksichtsvoll und vorsorglich in ihrer eigenthümlichen Weise, nach meinem Puls zu fühlen und eine Untersuchung meines Blutes anzustellen. Es gehört lange Gewohnheit dazu, unter so erschwerenden Umständen in Schlaf zu fallen. Ich hatte es jedoch bald so weit gebracht, mich durch dergleichen harmlose Vorkommnisse nicht stören zu lassen, woraus mir nur der einzige Nachtheil entsprang, daß ich meist, nach einer

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