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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

fliegendem Athem. „Rache! Ich habe dieses Gefühl nie kennen gelernt und weiß bis zu diesem Augenblicke nicht, in welcher Weise es wohl die Menschenseele erschüttern mag; aber ich denke mir, jeder Racheanwandlung muß wohl eine Leidenschaft vorangehen, und ich wüßte nicht, daß mein Aufenthalt in Schönwerth eine solche, sei es nach welcher Richtung hin, in mir erweckt hätte. … Der Hofmarschall hat mich oft tief gekränkt – ich habe Dir aber selbst erklärt, daß ich den Kranken in ihm berücksichtige und so viel wie möglich seine Angriffe mit ruhigem Blute zurückweise. … Und Dir gegenüber? Wie könnte ich Kränkungen rächen wollen, die keine sein sollen, und deshalb für mich auch keine sind? – Wir können uns beiderseits kein tiefes Weh zufügen.“

„Juliane, hüte Dich! In diesem Augenblicke ist jedes Deiner Worte ein wohlüberlegter Messerstich – Du weißt es sehr genau, daß Du verbittert bist.“

„Das verneine ich entschieden,“ sagte sie ruhig und unbeirrt; „verletzt und entmuthigt bin ich, aber nicht verbittert. Entmuthigt deshalb, weil mir mein Wirken in Deinem Hause vorkommt, als ob ich Wasser mit Sieben schöpfe – auch bei Leo’s Erziehung drängt sich mir diese Ueberzeugung auf – es wird mir von anderer Seite zu viel entgegengearbeitet. … Ich habe eben angefangen, über die Angelegenheit an Ulrike zu schreiben.“

„Ah, das ist ja die beste Gelegenheit, mich zu informiren,“ rief er, rasch an den Tisch tretend.

„Das wirst Du nicht thun, Mainau,“ sagte sie ernst, aber mit bebenden Lippen und legte die Hand protestirend auf seinen Arm, der nach dem Briefe griff.

„Das werde ich sicher thun,“ versetzte er, heftig ihre Hand abschüttelnd. „Ich habe das unbestrittene Recht, Briefe meiner Frau zu lesen, die mir verfänglich erscheinen. … Sieh in den Spiegel dort, Juliane! Solche erblaßte Lippen hat das böse Gewissen. … Ich werde Dir den Brief vorlesen.“

Er trat in das Fenster und las laut, mit sarkastischer Betonung: „‚In vierzehn Tagen spätestens komme ich nach Rudisdorf – für immer, Ulrike! … Da steht dieser Erlösungsschrei so kalt und nüchtern auf dem Papier – er wird Dir keine Vorstellung davon geben können, wie sonnig es in mir geworden ist, seit ich weiß, daß ich wieder mit Dir und Magnus zusammenleben werde.‘ – Armes Schönwerth!“ schaltete er mit bitterem Spott ein. – „‚Glaube ja nicht, daß die Lösung eine gewaltsame ist; sie vollzieht sich in richtiger Consequenz zwischen zwei Seelen, die bis in alle Ewigkeit nicht zusammen gehören, von denen die eine aber das Aufsehen bei den Menschen fürchtet, während die andere zurückbebt vor jedem in die Stille der Häuslichkeit fallenden zornigen Wort – der Bruch geschieht mithin leise, unhörbar – die scandalsüchtige Welt bleibt sicher unbefriedigt. … Eines Tages wird die Baronin Mainau aus Schloß Schönwerth verschwunden sein, lautlos verschwunden aus den Räumen, in denen sie kurze Zeit als ‚Schattenherrin‘ gewaltet, aus dem Gedächtniß der Leute, die ihre unhaltbare Stellung vom ersten Augenblicke an begriffen und in der kaum Eingetretenen zugleich die Scheidende gesehen und bemitleidet haben. … Und Deine Liane? Man hatte sie nicht mit der Wurzel dem heimischen Boden entnommen, sie wird nach kurzer Unterbrechung weiter wachsen unter dem Sonnenschein Eurer Augen – meinst Du nicht, Ulrike? … Du weißt, ich habe es immer grausam gefunden, eine Pflanze abzuschneiden und mit der Wunde in eiskaltes Wasser zu stellen – und jetzt ist dieses Mitgefühl erst recht lebendig in mir geworden; ich weiß, wie das wehe thut. Einige kecke Triebe und Schößlinge meiner Seele lasse ich verwelkt in Schönwerth zurück – das allzu kühne Vertrauen auf die eigene moralische Kraft und das unkluge Herausfordern der Gesellschaft, die auch nicht einen Hauch von Lebensodem für mich und meine Anschauungen hat – diese Lehre kann mir nicht schaden. … Sieh, ich mußte damals, als er auf der Terrasse zu Mama sagte: ‚Liebe kann ich ihr nicht geben, ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen,‘ hinabgehen und ruhig den Ring in seine Hand zurücklegen; nicht um der versagten Liebe willen – dazu hatte ich ja kein Recht; ich brachte ihm ja auch noch kein solches Gefühl entgegen – sondern weil die letzten Worte eine grenzenlose Eitelkeit bekunden‘“ – das Blut schoß dunkel in Mainau’s Gesicht; heftig die Unterlippe zwischen die Zähne klemmend, hielt er im Lesen inne und warf über das Papier hinweg einen tiefgereizten und doch unsicheren Blick auf seine Frau.

In dem Augenblicke, wo er vom bösen Gewissen gesprochen, hatte sie ihre Arme ruhig unter dem Busen verschränkt; und so stand sie noch; nur war es, als recke sich die schlanke Gestalt unter seinem Blicke noch stolzer auf; ein feiner, schöngewölbter Fuß erschien unter dem Kleidsaume und stemmte sich fest auf den elastischen Cyanenteppich – eine Stellung, welche die sonst so graciös geschmeidige Erscheinung neu und fremd machte – aber die dunkelblonden Wimpern lagen tief auf ihren Wangen; ohne es gewollt zu haben, sagte sie dem Manne dort eine häßliche Wahrheit in das Gesicht; er mußte sich schämen, und sie erröthete mit ihm.

Er trat dicht an sie heran. „Du hast vollkommen Recht mit Deinem Urtheil,“ sagte er scheinbar beherrscht; „ich bin ja nicht blind gegen diese meine große Schwäche – und wenn ich mir jetzt denke, daß Du mit Deinem fein unterscheidenden Ohr, mit Deiner scharfen Kritik eine so plumpe Aeußerung von mir gehört hast, so – steigt mir das Blut in’s Gesicht. … Aber nun, Du gestrenge Richterin, mache ich Dir auch einen Vorwurf – ich war eitel; Du aber warst falsch, als Du – Verachtung im Herzen – die Lippen schlossest und mit mir gingst –“

„Lies noch einige Zeilen,“ unterbrach sie ihn bittend, ohne aufzusehen.

Er ging nach dem Fenster zurück – es dämmerte stark. – „‚Ich wußte, daß ich nach einem solchem Ausspruche aus seinem Munde nie und nimmer in Versuchung kommen würde, auch nur einen Funken von Sympathie für ihn zu empfinden‘“ – las er mehr für sich – „‚und daß ich dennoch mit ihm ging und zum zweiten Male das heilige Ja am Altare entwürdigte, das machte mich zur Mitschuldigen bei einem ungeheuren Frevel – und dafür giebt es keine Beschönigung, denn ich hatte die urtheilslosen Backfischjahre längst hinter mir.‘“ –


(Fortsetzung folgt.)




Die wahren Blutsauger.


Von Brehm.


Die Vampirsage, welche, Dank der fortdauernden Pflege des Aberglaubens, trotz ihrer Wahnwitzigkeit und Abscheulichkeit noch in unseren Zeiten und selbst von sogenannten Gebildeten für wahr gehalten wird, findet auch in der Naturgeschichte der Thiere nicht die geringste Begründung. Wohl hat man einigen Fledermäusen den Namen Vampire gegeben, dies aber ist erst in Folge des Vampirglaubens geschehen; denn die Kenntniß blutsaugender Fledermäuse ist nicht so alt wie jener Aberglaube. Mich kümmert es herzlich wenig, wie viel Antheil die griechischen Pfaffen an der Befestigung und Verallgemeinerung des, wie man sagt, von ihnen ausgehenden Afterglaubens haben; ich will nur die Fledermäuse von dem Verdachte freigesprochen wissen, daß sie es gewesen seien, welche einem so hirnlosen Wahne Vorschub geleistet haben könnten.

Unter den Fledermäusen, welche bekanntlich über die ganze Erde sich verbreiten, giebt es thatsächlich einige, welche mit der Gier eines Raubthieres an dem Blute anderer Säugethiere und verschiedener Vögel sich erlaben. Obschon die meisten Mitglieder dieser arten- und gestaltenreichen Ordnung durch ihre eifrigen Kerbthierjagden zu wahren Wohlthätern der Pflanzenwelt und dadurch für uns zu überaus nützlichen Geschöpfen werden, lassen sich andere doch Eingriffe in das Besitzthum des Menschen zu schulden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_176.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)