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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

in Gegenwart des Mannes mit den mörderischen Händen noch einathmen mußte.

Inmitten dieser Vorstellungen berührte ein leises Geräusch ihr Ohr – war es doch, als müsse dort an der Thür „das gelbe vertrocknete Gerippe“ im Fracke impertinent lächelnd stehen und mit den dünnen, verkrümmten Fingern die Falten der Portière zurückraffen – sie fuhr mit einem schwachen Schreckenslaute empor.

„Ich bin’s, Juliane,“ sagte Mainau unter dem blauen Behange hervortretend. … Ich bin’s – als ob das nicht noch erschreckender für sie gewesen wäre! – Seit dem Momente, wo er sie zur Trauung abgeholt, hatte er ihre Zimmer nicht wieder betreten. – Sie sprang auf und griff nach der Klingelschnure.

„Weshalb?“ fragte er, ihre Hand erfangend.

Unter glühendem Erröthen schüttelte sie das Haar nach dem Nacken zurück und suchte es zu verbergen, indem sie mit dem Rücken hart an die Wand trat. „Ich brauche Hanna für einen Augenblick,“ sagte sie kurz und grollend.

Er lächelte. „Du vergissest, daß unsere heutige Damenwelt in dieser Haartracht selbst auf der Promenade erscheint – und dann, wozu diese Etikette? Habe ich nicht das unbestrittene Recht, ohne Anmeldung hier eintreten und nach meiner kranken Frau sehen zu dürfen, wann ich will?“ – Er strich langsam über das seidenglänzende Haargewoge, das sich trotz aller Bemühungen der jungen Frau doch wieder über Schulter und Arm ergoß, und wie eine Tunika aus Goldgewebe das weiße Kleid bedeckte. – „Welche Pracht!“ sagte er.

„Eine etwas verblaßte Schattirung der Trachenberg’schen Familienfarbe,“ versetzte sie bitter lächelnd, während ihre Linke mit einer kalten Geberde hinabglitt, um seine Hand abzuwehren.

Er stand einen Augenblick betroffen, wobei seine Wangen sich leise färbten – an Ton und Ausdruck mußte er erkennen, daß sie nur einen seiner rücksichtslosen Aussprüche wiederhole; er sann offenbar darüber, wo sie ihn gehört haben könne. „Ich habe den Arzt mitgebracht, Juliane,“ sagte er nach momentanem Schweigen rasch über eine sichtlich unangenehme Empfindung hinweggehend. „Darf er hereinkommen?“

„Ich möchte ihn nicht bemühen. In Rudisdorf waren wir nicht gewohnt, den Arzt um jeder Kleinigkeit willen zu consultiren – er wohnte viel zu entfernt und –“ sie brach ab, wozu denn abermals bekennen, daß sie zu arm gewesen und aus Ersparniß zum Selbstarzt geworden seien! „Das frische Brunnenwasser hat seine Schuldigkeit vollkommen gethan,“ setzte sie rasch hinzu.

„Er soll Dich auch nicht durch eine Untersuchung der Hand belästigen – zu meiner großen Beruhigung sehe ich, ja, daß sie Dir zu schreiben gestattet,“ antwortete er mit einem Blicke auf die Schreibutensilien und den daneben liegenden angefangenen Brief an Ulrike. „Ich will nur den Folgen der Gemüthsbewegung vorgebeugt wissen – ich habe eben gesehen, daß Dich eine Art Nervenschauer schüttelte.“

Er hatte also schon länger hinter der Portière gestanden und sie beobachtet. … Warum mit einem Male die Besorgniß, nachdem er bei dem Vorfalle selbst und auch später die verletzendste Kälte und Theilnahmlosigkeit an den Tag gelegt? – „Deshalb?“ betonte sie mit halbem Lächeln, den Kopf über die Schulter nach ihm wendend. „Du scheinst zu vergessen, daß ich eine ganz andere Lebensschule durchmachen mußte, als die meisten meiner Standesgenossinnen – ich müßte nicht Ulrikens Schwester, nicht meines Bruders ‚Famulus‘ gewesen sein! Wir haben wirklich nie Zeit gehabt, in aristokratischer Weise unsere Nerven zu berücksichtigen und zu verhätscheln; wir haben uns derb abgehärtet, wie es Diejenigen müssen, die innerlich unabhängig bleiben und ihre geistige Bewegung ungehemmt sehen wollen. … Ich bitte Dich, den Doctor schleunigst zu entlassen – er wartet doch wohl draußen?“ Sie sprach die letzten Worte hastig, aber mit Nachdruck – er konnte nicht mißverstehen, daß sie auf diese Weise seinen „Krankenbesuch“ abzukürzen wünsche.

„Er wartet nicht draußen, und wenn auch, er könnte sich das ruhig gefallen lassen – der gute Mann sitzt drüben im Gartensalon und läßt sich seine Flasche Burgunder schmecken,“ versetzte er spöttisch und trat tiefer in das Zimmer – seine Augen glitten über die Wände hin. „Ach sieh da! Das blaue Boudoir – aufrichtig gestanden, meine ganze Antipathie – ist merkwürdig wohnlich und traulich geworden. Die mattweißen Elfenbeingruppen vor den blauen Atlasbehängen machen einen malerischen Eindruck; sie beleben das Zimmer, wie die weißen Azaleenbäume dort im Fenster. … Und daß hier auch einmal ein Tisch steht! – Ja, siehst Du, das ist’s gewesen, was mich immer so angewidert hat – dieses stundenlange, sybaritische, faule Versinken Valerie’s in diesem gleißenden Polsterwerke.“

Er warf einen Blick durch die weit zurückgeschlagene Thür des anstoßenden Salons. „Und wo malst Du denn, Juliane? Ich sehe keinerlei Arrangement – doch nicht in der Kinderstube?“

„Nein, ich habe mir das Cabinet neben meinem Ankleidezimmer dazu eingerichtet.“

„Den engen, kleinen Winkel, der, wie ich mich erinnere, nicht einmal eine vortheilhafte Beleuchtung hat? Wie kommst Du auf diese merkwürdige Idee?“

Sie sah ihm fest und voll in das Gesicht. „Ich glaube, Die, welche die Kunst in ihrer Heiligkeit erfassen, haben einige Fühlfäden mehr in der Seele – sie sind sehr empfindlich in unsympathischer, feindlicher Atmosphäre –“

„Und ziehen sich beleidigt zurück – das geht gegen meine Ansichten vom Damendilettantismus. Ich habe doch Recht, wenn ich auch heute dahin bekehrt worden bin, daß es Ausnahmen giebt. … Was soll denn aber nun im Winter werden? Das Cabinet ist nicht heizbar.“

„Im Winter?“ wiederholte die junge Frau in staunendem Schrecken – sie faßte sich jedoch rasch. „Ach so – Du hast wahrscheinlich nicht bemerkt, daß im Rudisdorfer Gartensalon ein prächtiger Kamin steht – trotz der Glasfronte läßt sich der große Raum doch sehr gut heizen, und wird es ja zu kalt, dann bewohne ich mit Ulrike in der Bel-Etage ein hübsches, warmes Eckzimmer, das Du nicht kennst.“

Eine tiefe Gereiztheit glomm in dem Blicke, welchen er an der vollkommen ruhig dastehenden Gestalt seiner jungen Frau niedergleiten ließ – nur an dem Heben und Senken des Busens konnte er bemerken, daß sie in fast athemloser Spannung sprach.

„Sitzt die Schrulle wirklich so fest da drin?“ fragte er langsam und berührte mit dem Zeigefinger leicht ihre weiße Stirn.

„Ich weiß nicht, was Du mit diesem Worte bezeichnen willst,“ versetzte sie, mit kühlem Ernste zurückweichend – sie strich unwillkürlich über die Stelle, die er berührt hatte, als gelte es, einen Makel wegzuwischen. „Für Schrullen ist mein Kopf wohl noch zu jung – ich nehme mich auch sehr in Acht vor dem innerlichen Cajoliren irgend einer kleinlichen, einseitigen Liebhaberei. … Du brachtest aber diese ‚Schrulle‘ in Verbindung mit meiner Rückkehr nach Rudisdorf – ist sie nicht unser Beider Wunsch und Wille?“

„Ich meine, Dir heute bereits das Gegentheil versichert zu haben,“ sagte er – es war ein angenommener Gleichmuth, mit dem er die Achseln zuckte – sie wußte, daß er bei dem nächsten widerspruchsvollen Wort ihrerseits auffahren würde, aber sie ließ sich nicht einschüchtern.

„Zuerst allerdings,“ gab sie zu; „aber später, im Beisein der Herzogin, hast Du Dich vollkommen einverstanden erklärt“ –

Er lachte auf, so bitter und schallend, daß sie erschrocken verstummte. „Ich glaube wohl, daß es Deinem verletzten Stolz und Hochmuth eine köstliche Genugthuung gewesen wäre, wenn ich in jenem Deinerseits wirklich an den Haaren herbeigezogenen Moment erklärt hätte: ‚Diese Frau will sich um jeden Preis von mir losmachen – ich bitte sie aber fußfällig, mich nicht zu verlassen; sie wirft mir Alles, was ich ihr biete, vor die Füße und kehrt lachenden Muthes in ihre alte Armuth und Entbehrung zurück, lediglich um sich – zu rächen!‘ … Schöne, junge Frau, eine solche eclatante Revanche vor solchen Ohren, wie sie heute begierig auf jedes Deiner Worte lauschten, gestattet kein Mann seiner Frau, selbst wenn er – sie lieben sollte.“

Lianens heiße Wangen erblaßten vor innerer Aufregung – sie war tief beleidigt – auf seine letzten Worte hörte sie gar nicht mehr; sie wolle sich rächen, hatte er gesagt.

„Mainau, ich bitte Dich ernstlich, nicht in so ungerechter und verletzender Weise vorzugehen,“ unterbrach sie ihn mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_174.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)