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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Alles an den Kopf warf, was ihr eben in die Hände kam, und wenn es Stahl und Eisen und spitzige Messer und Scheeren, waren. … Und da will ich lieber still sein und von dem, was ich weiß, nichts weiter auf Ihr gutes, sanftes Herz legen, denn – Sie haben für sich selber zu kämpfen, schwer zu kämpfen, wenn Sie nur ein ganz kleines Stückchen Heft in der Hand behalten wollen. … Er, der alte böse Mann, wühlt unter Ihren Füßen wie ein Maulwurf – er will Sie um jeden Preis wieder hinausbeißen – und der Andere, der Sie nach Schönwerth gebracht hat – seien Sie mir nicht böse, gnädige Frau, aber es muß heraus – der wird Sie nicht schützen, nicht halten. Das wissen und sehen wir Alle. Wenn ihm das Treiben des alten Herrn zu bunt wird, da kehrt er Schönwerth den Rücken, macht drei Kreuze und fährt in die weite Welt hinein – was hinter ihm bleibt, das ist ihm sehr einerlei und – die arme junge Frau dazu.“

Eine flammende Röthe ergoß sich über Lianens Gesicht – welche Rolle spielte sie in diesem Hause! Die gerade, ungeschminkte Ausdrucksweise der Frau zeichnete ihre zweifelhafte, unwürdige Stellung in schreckhaft klaren Umrissen. „Das wissen und sehen wir Alle,“ hatte sie eben gesagt – sie war ein Gegenstand der mitleidigen Beobachtung. Der ganze Stolz der „Trachenbergerin“, aber auch die gekränkte Frauenwürde wurde in ihr lebendig. Aeußerlich wenigstens durfte sie die Demüthigungen, die sie erleiden mußte, nicht zugestehen. „Das Alles geschieht in Folge eines Uebereinkommens zwischen dem Baron und mir, liebe Frau Löhn; darüber haben Andere kein Urtheil,“ sagte sie freundlich gelassen und hielt der Frau, die betroffen schwieg, die Hand hin, um über die Compresse einen trockenen Leinwandstreifen binden zu lassen. … Am äußersten Ende des Weges erschien eben auch die abgesandte Hofdame mit Leo, „um sich im allerhöchsten Auftrag der Frau Herzogin nach der armen Patientin umzusehen“ – wie sie sich beim Näherkommen ausdrückte.

Die Beschließerin verschwand für einen Augenblick im indischen Hause, während Liane in Begleitung der Hofdame und Leo an der linken Hand führend nach den Ahornbäumen zurückkehrte. Sie schauerte in sich zusammen, als sie dort „dem gelben vertrockneten Gerippe“ im Fracke mit jedem Schritte näher kam, als sie die bleichen Hände mit den nervös auf dem Tische spielenden Fingern sah, die mit einem wüthenden Griff ein Menschenleben nahezu erdrückt hatten. … Ob diese Finger nicht auch mörderisch die Kehle der Frau gepackt hätten, die jetzt, rasch hinter ihr herkommend, in das Jägerhaus ging, wenn ihm die Ahnung gekommen wäre, daß sie um sein schwarzes Geheimniß wisse, ja daß sie es eben verrathen? Der Mann hatte einen dunklen Schatten, zwei unablässig nach dem Tag der Enthüllung, der Sühne ausspähende Augen neben sich, ohne es zu wissen. Wer hätte das hinter dem mürrischen Steingesicht, in der so ruhig und derb daherkommenden Gestalt gesucht, die jetzt, als sei kein einziges jener fürchterlichen Worte über ihre Lippen geschlüpft, den Anwesenden, und auch Lianen, unbefangen eine Platte voll Erfrischungen präsentirte!




16.


Das Geräusch der wegfahrenden herzoglichen Equipagen war längst verrollt. Auf einen „bittenden Befehl“ der Herzogin hatte Mainau sein Pferd vorfahren lassen, um sie ein Stück Weges zu begleiten; zugleich war dem Hofprediger die Auszeichnung zu Theil geworden, im Fond neben die fürstliche Frau befohlen zu werden – die Prinzen mußten sich mit dem Rücksitz begnügen. Die Hoheit war offenbar in sehr glücklicher Stimmung – sie wußte ja nicht, daß sich bei diesem Anblick manche Faust in der Residenz insgeheim ballen würde – wer hätte ihr das sagen sollen? Und wenn auch – bah, was lag ihr an der Meinung im Volke, wenn es galt, ihre Kirche zu verherrlichen? Die regierende Linie des herzoglichen Hauses war nicht katholisch – der Erbprinz und sein Bruder wurden im protestantischen Glauben erzogen; dagegen war die Seitenlinie, welcher die Herzogin entsprossen, im Schooß der alleinseligmachenden Kirche verblieben. Die zumeist protestantische Bevölkerung des Landes war deshalb nie sehr erbaut gewesen von der Wahl des Regierenden, welche die bigotteste der Durchlauchtigsten Cousinen auf den Thron gehoben hatte. Es währte auch damals nicht lange, da war der Caplan des wenig begüterten Seitenzweiges Hofprediger geworden, und wenn nicht die Hand des Todes jäh dazwischen gegriffen hätte, dann wäre – so raunte man sich zu – ein Glaubenswechsel auf dem Throne unausbleiblich gewesen; denn der Herzog hatte seine Gemahlin abgöttisch geliebt und sich ihrem Einfluß in allen Stücken blindlings unterworfen. … Wie das personificirte Glück und Unheil saßen sie bei der Abfahrt von Schönwerth nebeneinander, die rosenfarbene, heiterlächelnde Fürstin und der schwarze Priester mit dem eigenthümlich erblaßten Gesicht, der heute für alle verschwenderisch gespendete Huld und Gnade nur ein finsteres Lächeln hatte.

Mit der Verbeugung gegen die Herzogin hatte sich Liane zugleich von Mainau verabschiedet und ihn gebeten, sich für heute ganz in ihre Appartements zurückziehen zu dürfen, was er ihr vom Pferd herab mit spöttisch zuckenden Mundwinkeln ohne Weiteres zugestanden. … Nun war sie allein – der Hofmarschall hatte Leo reclamirt, um nicht so einsam am Abendtisch zu sein, falls Mainau in der Stadt bleiben werde – allein, sich selbst überlassen, in ihrem blauen Boudoir. Sie hatte einen weißen Schlafrock übergeworfen und sich, weil ein stechender Kopfschmerz sie folterte, von der Kammerjungfer das schwere Haar vollständig lösen lassen – das brachte ihr stets Erleichterung.

Trotz dem Kopfweh und mit der verbundenen, heftig schmerzenden Hand hatte sie sich doch einen kleinen Tisch vor die Chaise longue getragen, um an Ulrike zu schreiben; aber mitten in dem Erguß war sie gezwungen gewesen, die Feder hinzuwerfen und mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen sich auf das Ruhebett hinzustrecken.

Da lag sie, den Kopf auf der untergelegten linken Hand, in das blaue Polster geschmiegt, stundenlang unbeweglich und sah die glänzenden Atlasfalten der gegenüberliegenden Wand alle Tinten der Abendbeleuchtung, vom glühenden Purpur bis zum flimmernden Goldgelb wiederspiegeln. Ueber den Busen herab fiel ihr ein breiter Strom des wogenden Haares und lag drunten auf den blauen Cyanen des Teppichs; diese vollen, schweren Ringel konnte der letzte Abendstrahl noch erreichen – sie funkelten fast dämonisch, wie jenes rothe Metall, das die Gnomen eifersüchtig hüten. … So still und gelassen sie sich auch äußerlich verhielt, so fieberhaft jagte ein Reigen von Gedanken durch ihr aufgeregtes Gehirn. Sie mußte an „die luftige, aus Spitzen zusammengewobene Seele“ denken, die mit Messern und Scheeren um sich geworfen hatte – diese jasminduftende Valerie war das Schooßkind bei Hofe gewesen, der böse alte Mann sprach nur in vergötternder Ekstase von ihr, und Mainau – nun, er hatte diese Frau nie geliebt; er gedachte ihrer nur unter dem beißendsten Hohn – es war wohl auch nur eine Convenienzheirath, und zwar eine total verunglückte gewesen. Aber er, der sonst jede irgendwie drückende Fessel rücksichtslos abwarf, er hatte auch hier stillgehalten. Er war, wenn ihm „das Treiben zu bunt“ geworden, in die weite Welt gegangen, und nur der Tod, nicht das scheidende Wort war zwischen diese Ehe getreten – und das Alles, um den Eclat zu vermeiden! … Welcher Widerspruch in dem Manne, der in Bezug auf Verirrungen, wie Liebesabenteuer, Duellgeschichten, tolle Wetten, nicht die geringste Rücksicht auf das Urtheil der Welt nahm – er fürchtete sich wie ein Kind vor jedem Schritte, der einen begangenen Irrthum, einen Mißgriff seines Verstandes gleichsam documentiren und vielleicht ein wenig Spott und Schadenfreude bei seinen Standesgenossen hervorrufen konnte. … Diese Schwäche berücksichtigend, hatte sie auch heute der Herzogin gegenüber eigenmächtig, aber in der schonendsten Form die bevorstehende Trennung angedeutet, und so war es ihm sicher erwünscht gewesen, denn er war mit der größten Ruhe auf ihr Bestreben eingegangen. … Nicht lange mehr dauerte die Qual, dann war sie wieder daheim – freilich ohne Leo. Bei diesem Gedanken preßte sie die Augen tiefer in das Kissen; sie hatte das Kind unbeschreiblich lieb, und jetzt schon nagte der Trennungsschmerz an ihr; aber selbst ihm konnte sie das Opfer nicht mehr bringen, zu bleiben, jetzt wo sie einen Blick in die Vergangenheit des Hofmarschalls gethan und täglich, stündlich die Fortwirkung seiner Sünden mit ansehen mußte, ohne einschreiten oder auch nur sprechen zu dürfen. … Ein Schauder, wie Fieberschütteln, rieselte durch die weich, in plastischer Schönheit sich hinschmiegenden Glieder der jungen Frau – ihr graute selbst vor der Luft, die sie

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