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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

in die Hände der Briganten gefallen sei, welches sich denn schließlich auch bestätigt.

Darum genießt diese Casa Baldi unter den Künstlern Roms einen ausgezeichneten Ruf, und die Fremdenbücher, angefüllt mit Portraits und Zeichnungen aller Art, sind voll des Lobes für die freundliche Familie. Wir finden in diesen Büchern manchen Künstlernamen auf vergilbtem Blatte, dessen Träger seither in seiner Heimath zur Berühmtheit gelangt ist; aber auch viele sind hier verzeichnet, über welchen, sei es in deutscher Erde, sei es auf dem Fremdenkirchhofe in Rom bei der Pyramide des Cestius, längst der Leichenstein sich hebt.

In den Sommermonaten, wenn in Rom die Fieberzeit beginnt, flüchten sich die Maler in großer Zahl in die Sabinerberge. Noch immer ist es Olevano, wo sie sich am liebsten aufhalten, und noch immer sind es hauptsächlich Deutsche, welche sich dort einfinden, um oft wochen-, ja monatelang zu bleiben und die Umgebung nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Aber es mögen auch selbst in dem landschaftlich so hochberühmten Italien wenige Orte zu finden sein, wo ein so herrliches und dabei so fremdartiges Panorama sich aufrollt, wie von dem Hügel aus, auf dem unsere Malerherberge steht. Der Blick schweift zunächst hinüber nach einer Linie von Bergen, von deren Kuppen und Spitzen die hohen Orte herabblicken, zu welchen aus den Thälern die Felsenpfade in langgezogenen Windungen, an den kahlen Wänden hängend, hinaufführen. Wenn am frühen Morgen die Nebel aus der Tiefe emporschweben und sich zu Wolken ballen, dann sieht man noch hoch über ihnen im Sonnenlichte glänzend die Felsenspitzen, auf welchen, gleich Inseln im Luftmeere, diese Orte stehen. Gegen Westen dehnt sich das breite Saccothal, wie ein Garten übersäet mit Reben, die gleich Guirlanden von Ulme zu Ulme sich ranken, mit Oelbäumen, Obstangern und Maisfeldern, dazwischen wieder auf weite Fernen sichtbar die weiß blühenden Mandelbäume und die dunklen regungslosen Cypressen. Am fernsten Horizonte aber, wo auf einem Ausläufer des seitwärts hereinragenden Albanergebirges die Stadt Veliträ sich über die Ebene hebt, schließt sich die verblauende Fläche der Pontinischen Sümpfe an. Die Südseite des Saccothales wird begrenzt durch die massiven Kuppen des Volskergebirges, zwischen weichen da und dort wieder die menschlichen Niederlassungen herüberschimmern.

Wendet man sich dagegen nordwärts, so hat man vor sich auf groteskem zackigem Felsenkamme Civitella, das alte Hernikernest. Wenn dieser Ort von der an sich schon beträchtlichen Höhe Olevanos aus im höchsten Grade malerisch sich darstellt, wie es unser Bild zeigt, so macht er von der Ebene aus gesehen einen so fremdartigen Eindruck, daß man fast geneigt ist, an eine Täuschung zu glauben, die uns dort menschliche Wohnungen sehen läßt. Schief ansteigend zieht sich höher und höher, gleich einer Felsenmähne, der langgestreckte Grat hinauf, auf dessen höchster Erhebung, näher fast den Wolken als der Ebene, Civitella liegt. Dicht aneinander gedrängt stehen die felsenfarbigen Häuser, als seien sie zusammengerückt, uns hier oben alle Platz zu finden.

Nichts könnte der Landschaft so sehr ein historisches Gepräge geben, als diese räthselhafte Lage des Ortes, der ohne alle Rücksicht auf menschliche Bedürfnisse lediglich nach den Erfordernissen bedrohter Sicherheit dort hinaufgebaut wurde und wie ein Adlernest aus den Lüften herabblickt.

Ein vielgewundener Weg durch interessante Felsenlandschaften führt hinauf nach Civitella, von dessen Höhe man weit hinein in die düsteren Abruzzen schaut, während über das tief unten liegende Olevano weg eine Rundschau sich eröffnet, die, als eine der herrlichsten von Italien bekannt, mit dem matten Silberstreifen des Meeres abschließt. Als ein das ganze Thal und die Zugänge der hinter ihm gelegenen Bergwelt beherrschender Punkt mußte der Felsen von Civitella von jeher in den Kämpfen der Gebirgsvölker eine wichtige Rolle gespielt haben. Welchen Namen aber dieses im Alterthume geführt, ob es auf den Ruinen von Bellegra, von Vitellio oder eines anderen Städtchens gebaut ist, bemüht sich der Forscher vergeblich zu ermitteln. So viel nur geht aus den Ueberresten cyklopischer Mauern hervor, auf welchen ein Theil der Häuser steht, daß schon lange, bevor die Römer mit den Sabinern in Krieg lagen, in diesen Bergen fortwährend gekämpft wurde; denn nur die äußerste Noth und Verhältnisse stetiger Kriegsgefahren konnten die Menschen veranlassen, auf so unwirthlichen Höhen sich niederzulassen.

So ist Olevano auf allen Seiten von Landschaften der merkwürdigsten und erhabensten Art umgeben. Im Osten nur, wo über die runden Kuppen beschneiete Gipfel herüberglänzen, ist die Aussicht begrenzt. Dort steht im Vordergrunde der Monte Serrone, ein plumper Felsenkoloß, nur zum Theile mit rothbraunem Eichengestrüppe bedeckt. Es ist so lange noch nicht her, daß dieser Monte Serrone ein Hauptlager der Briganten barg; der Reisende, der damals bis hierher drang, konnte mit dem Fernrohre bequem die Gestalten der Räuber entdecken, nach welchen man hier ausschaute, wie es in den Alpen nach Gemsen geschieht. Mit ihren langen Gewehren, den Messern und Pistolen im Gürtel, dabei aber behängt mit allerlei Amuletten, Medaillen und anderen Spielereien, mochten sie eine in hohem Grade malerische Staffage für diese wilde Gebirgsnatur abgeben. Gensd’armerie, welche man in die umliegenden Ortschaften mehrmals zu legen versucht hatte, wurde von ihnen absolut nicht geduldet – einer der mancherlei Beweise dafür, daß der Sinn für weltliche Macht bei den Päpsten keinen Schritt hielt mit ihrer Befähigung zu derselben. Erst in neuerer Zeit ist diesem poetischen Unwesen in nächster Nähe der Stadt Rom ein Ende gemacht worden.

Wir hatten uns, vom Zufalle geführt, in Olevano zusammengefunden: zwei Professoren, ein Arzt, ein Dichter und der Schreiber dieser Zeilen – lauter Deutsche, welche vor der Rückkehr in die Heimath und zu den Bücherschreinen noch in diese Berge zu kommen den Antrieb gefühlt hatten. Aber als die für die gemeinschaftliche Abreise von Olevano festgesetzte Stunde gekommen war, hätten wir wohl gern alle Weltweisheit und Wissenschaft dahingegeben, wenn wir dagegen den Pinsel hätten eintauschen kännen, der würdig gewesen wäre, der verewigende Nachahmer dieser Natur zu sein.

Nur unser Dichter – es war Martin Greif – hätte in solchen Tausch nicht gewilligt. Er, dem es leicht wurde, den Beweis zu führen, daß dem Poeten vor dem Manne der Wissenschaft der bessere Theil zugefallen, mahnte uns an die Sehnsucht zurück, die wir trotz der mächtigen Anziehung Roms in dessen Mauern nach dem Zauber und der Stille der nahen Berge empfunden, indem er, die frühere Stimmung fixirend, im classischen Versmaße Catull’s – der einst in diesen Gegenden lebte und dichtete – folgende Hendekasyllaben improvisirte:

Warum fliehen wir nicht zur Bergesstille,
Aus der lärmenden Stadt zur Bergesstille?
Wenn das purpurne Veilchen rings die Stellen
Süßer Ruhe bedeckt und herzlich üb’rall
Mit den lieblichen wohlbekannten Schwestern
In die Seele uns lacht der frohe Frühling,
Wenn erglühend in leisem Roth die Blüthe
Schon zu schwellen beginnt am Mandelbaume
Und der Pinie schwarzer Schatten absticht
Von dem keimenden Grün der jungen Wiesen; –
Aus dem Staube der Stadt und leerer Unruh’
Warum fliehen wir nicht zur Bergesstille?

Und so gaben wir noch einen Tag zu. Wir bereuten ihn nicht als einen verlorenen.

Karl du Prel.




Die Moränenlandschaft.[1]


Von E. Desor.


Unter den Tausenden, die es alljährlich aus der einförmigen Ebene des Nordens nach der Alpenwelt und ihren ewigen Ueberraschungen zieht, mag es nicht Wenige geben, welche es einem Naturforscher Dank wissen, wenn er ihre Blicke auf Erscheinungen richtet, an denen sie sonst achtungslos vorübergingen. Ist es ja doch die schönste Aufgabe der Wissenschaft, die

  1. Wir erlauben uns, die Leser der Gartenlaube noch besonders auf obigen Artikel aufmerksam zu machen. Der berühmte Geolog, der Freund Humboldt’s und Agassiz’s, erörtert hier zum ersten Male eine Erscheinung der Alpenwelt, die für alle Freunde der geologischen Wissenschaft von größtem Interesse sein dürfte.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_168.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)