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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

hatten sich breite Pfützen gebildet, die schwer zu passiren waren. An einer der breitesten derselben angekommen, überlegte ich eben, ob ich umkehren oder aber den Versuch machen solle, das Terrainhinderniß durch einen kühnen Sprung zu überwinden, als ich eine Stimme neben mir höre:

„Hindurchgehen, oder Nichthindurchgehen, das ist hier die Frage, nicht wahr?“

Ich wende mich rasch um und sehe Dr. Strauß vor mir, der, ohne daß sich es bemerkt hatte, hinter mir drein gekommen war, nun lächelnd den Hut zog und mit komischer Geberde auf die Pfütze wies.

„Sie haben ganz Recht,“ entgegnete ich, den Gruß erwidernd, „eine ähnliche Frage habe ich mir in diesem Augenblicke wirklich gestellt, wenn ich dabei auch nicht, wie Sie es thaten, an den berühmten Monolog des Hamlet dachte.“

Damit war die Bekanntschaft gemacht und das Gespräch eingeleitet. Da Strauß keine Lust bezeigte, seine Geschicklichkeit im Voltigiren zu erproben, so kehrte ich mit ihm um, und wir setzten Seite an Seite unsern Spaziergang auf gangbareren Wegen fort. Unterwegs erwähnte er, daß er zwar nicht wisse, wer ich sei und wie ich heiße, daß er mich aber vom häufigen Begegnen gar wohl kenne und daß dies ihn auch entschuldigen müsse, wenn er sich erlaubt habe, mich auf so vertrauliche Weise anzureden.

Ich entgegnete, daß mir seine Ansprache sehr willkommen sei, weil sie mir Gelegenheit gebe, einen längst genährten Wunsch zu verwirklichen, nämlich den, ihn persönlich kennen zu lernen, denn ich wisse wohl, daß ich in seiner Person den berühmten Verfasser des „Leben Jesu“ vor mir sehe.

Er erröthete wie ein schüchternes Mädchen und versetzte: „Sagen Sie lieber berüchtigt, so wenigstens pflegen meine fanatischen Gegner sich auszudrücken.“ Er ließ sich im Verlaufe des Gesprächs noch weiter über sein Buch aus und that es mit großer Bescheidenheit.

„Ich leugne nicht,“ bemerkte er, „daß ich mir sagte, der verwegene Riß, den ich in langgewohnte, liebgewordene, allem Zweifel entrückte Anschauungen that, werde Aufsehen machen und mir viele Feinde zuziehen. Ich war mir auch bewußt, meine Behauptungen durch alle Beweismittel, welche die Wissenschaft an die Hand giebt, erhärtet zu haben; ich hatte die Arbeit mit allem Eifer eines feurigen, von einer starken Ueberzeugung durchdrungenen Gemüthes unternommen, dennoch ging der Erfolg weit über meine Erwartungen hinaus. Ich müßte sehr eigenliebig sein, wollte ich mir einbilden, Andere hätten das Buch nicht ebenfalls und vielleicht weit besser machen können, als ich. Ich weiß auch, daß ich keineswegs etwas absolut Neues sagte, daß gar Mancher meine Ansichten über die Natur Christi theilte. Mein Verdienst, wenn man mir ein solches zuerkennen will, beruht darin, daß ich auszusprechen wagte, was Andere nur dachten.“

Zu einem anderen Thema übergehend, fragte er mich, woher ich ihn kenne. Ich erzählte ihm nun, wie ich ihn im Theater in Stuttgart zuerst gesehen, wie ich seinen Ausstellungen über „Don Carlos“ gelauscht und wie ich namentlich von der Aeußerung frappirt gewesen sei, daß man die Pointe eines geistreichen Wortes nicht erst durch Reflexion zu finden gezwungen werden dürfe, weil dies so viel hieße, als den Blitz mit der Laterne suchen.

„Sie haben ein treueres Gedächtniß als ich,“ entgegnete er lachend. „Ich erinnere mich wohl jener Aufführung des ‚Don Carlos‘, ich erinnere mich auch, daß ich Dies und Jenes über diesem Drama sagte, aber speciell jenes Ausspruches von Blitz und Laterne, der nichts weniger als ein treffendes Bild ist, kann ich mich nicht mehr entsinnen.“

Von diesem Tage an verkehrte ich mit dem Philosophen noch öfter, aber nie in seinem Hause, sondern nur ab und zu bei zufälligem Begegnen im Schloßgarten. Ein Gespräch in’s Besondere steht noch lebhaft in meiner Erinnerung. Es hatte die Eigenschaften der Materie und die ideale und reale Welt zum Gegenstand, worüber ich vielleicht später berichten werde.

–dt.




Portraitirung der Deutschen. Aus Neapel schickt uns ein dort wohnender Landsmann nachfolgende Mittheilung.

In einem vor Kurzem veröffentlichten Buche von E. Reich, „Der Mensch und die Seele“ (Berlin, Nicolai’sche Verlagsbuchhandlung) ist Folgendes zu lesen: „Ob der Deutsche ohne die Knechtschaft, welche die kleinen Zaunkönige über ihn ausübten, ohne das übermäßige Biersaufen und Tabakqualmen ‚phlegmatisch‘ geworden wäre? Kaum; denn die weintrinkenden Rheinländer, obgleich richtigere Deutsche, als die Brandenburger und Pommern, sind nicht nur nicht phlegmatisch, sondern geradezu sanguinisch. Im Großen und Ganzen aber, und so wie die Dinge heutzutage liegen, wird man berechtigt sein, die deutsche Nation eine phlegmatische zu nennen, und zum Theil eine phlegmatisch-melancholische.“

Hierauf bringt der Verfasser ein längeres Citat von Carus über die Deutschen, „theilweise ein Posaunenconcert von Selbstlob und Weihrauch der Selbstverherrlichung,“ und fährt dann fort:

„Der Deutsche ist ein fleißiger Arbeiter, aber der Engländer, Franzose, Italiener etc. nicht minder, der Deutsche hat Mancherlei erfunden, aber jede der anderen Nationen nicht minder. Der Deutsche ist voll von Mißtrauen, der Engländer und Franzose ohne Mißtrauen; der Deutsche ist gut und redlich, aber die anderen Nationen sind desgleichen. Unter allen Völkern giebt es Schurken, und in Deutschland lebt dieses Geschlecht gleichfalls und in allen Schichten, nur zuweilen verkappter, als anderswo; der Deutsche ist vielfach der Theologie verfallen, gleich dem Engländer, aber der Franzose und der Italiener drehen der Theologie eine Nase. Der Deutsche ist deshalb nicht revolutionär, weil sein Herr es nicht erlaubt. Gelehrig sind Pudel und Menschen, und wenn der Deutsche in Gelehrigkeit den Vorrang zu behaupten sich bestrebt, so thut er dies auf Grund der Thatsache, daß an seinen geistigen Abrichtungsanstalten ehedem die Patente der Weisheit öffentlich gegen gleich baare Zahlung verkauft wurden. Der Deutsche lehrt meistens Doctrinen und lernt, anstatt die Tugenden, die Laster anderer Völker. Das Ganze können in jeder Nation, sei diese chinesisch, englisch, deutsch oder französisch, immer nur sehr wenige Auserlesene denken, und der große Haufe der deutschen Hochgelehrten zeichnet sich dadurch aus, daß er das Ganze nicht nur nicht hell, sondern gar nicht denken kann.

Wißbegierde und Scharfsinn findet man auch in O-Tahiti, und die Welt wäre zu beklagen, wenn nur die Deutschen Wißbegierde und Scharfsinn gepachtet hätten. Unter allen Völkern der Gegenwart hat der Deutsche die höchste Meinung von sich selbst, besonders seitdem er die Dänen, Oesterreicher und Franzosen beseitigt; die Titel- und Ordenssucht der Deutschen ist weit größer, als die anderer Völker, und nirgends wird der Mensch so sehr nach seinem äußeren Rang beurtheilt, als in Deutschland. Wo Barbarei in Deutschland vorkommt, nimmt sie entweder feine Formen an, wie im Norden, oder sie nimmt rüpelhafte Formen an, wie im Süden; in Nachahmung, Verleumdung, Neid, Verkleinerung leistet der Deutsche Großes, dürfte aber diese Eigenschaften in dem Maße ablegen, in welchem die Einigung und Borussificirung seines Vaterlandes vorwärts schreitet. Die Deutschen haben fast gar keinen Gemeinsinn und sind nicht im Stande, für gemeinnützige Dinge im Geheimen Opfer zu bringen, große Ideen und Unternehmungen zu protegiren; sie überlassen dies ihren Herren, und diese – schicken das Geld in die Bank von England und lassen die Gelehrten, Künstler etc. verhungern.“

So weit Herr Reich. Es steckt in der That etwas von Bedientenhaftigkeit im deutschen Charakter! Nachdem die Franzosen mit großem Geschrei die in den Tuilerien aufgefundenen deutschen Bettelbriefe publicirt haben, veranstaltet man hier eine deutsche Ausgabe derselben mit illustrirenden Randbemerkungen. Keine andere Nation wäre fähig, sich mit solchem Behagen selbst an den Pranger zu stellen.

Auf vorstehenden Passus des Reich’schen Buches machte ein Italiener den Einsender Dieses triumphirend aufmerksam, konnte sich jedoch nicht enthalten, zu bemerken, daß, wenn ein Italiener so über seine Nation schriebe, er öffentlich durchgeprügelt würde.




Noch eine Bitte an Eisenbahndirectionen. Auf den obscursten Bahnhöfen im lieben Deutschland sieht man jetzt zeigende Hände und Tafeln mit den ortsüblichen Inschriften: Brunnen, Pumpe etc. Wie wohlthätig ist dies, was man jahrelang unbegreiflicher Weise entbehrte, entbehren mußte wegen Sorglosigkeit und Inhumanität mancher Bahnverwaltungen! Dankbar ruft mancher Vorbeifahrende wohl aus:

„Das hat mit ihrem Artikel
Die Gartenlaube gethan!“

Diese könnte noch etwas thun, da es fast ebenso unbegreiflich lässig und inhuman ist, die Fahrpläne dem Publicum überhaupt nicht oder nicht lesbar auszuhängen.

Wie man nach Baltimore und Odessa kommt, das ist breit auf allen Corridoren und Wartesälen angeschlagen – aber die Nachbarstation?

Selbst auf königlichen Bahnen sah ich oft neben dem Billetschalter den Befehl: „Das Bahngeld abgezählt bereit zu halten!“ Wie aber, wenn weder Plan noch Taxe irgendwo zu lesen ist? In irgend einem Winkel des Flurs hängt ein abgelaufener und unlesbar gemachter Plan, dessen Ziffern gar nicht zu entziffern sind. Wie wäre es, wenn Befehl erlassen würde, neben jedem Billetschalter in angemessener Entfernung von Zugwind und Gepäckträgercarambolage einen auffallend eingerahmten Fahrplan der eigenen Bahn wenigstens anzubringen? Geschieht dies unter einer starken Glasplatte, so ist der Beschädigung auch besser vorgebeugt. Die einzelnen Stationen selbst müßten auf den verschiedenen Plänen nebst Abfahrtszeiten farbig unterstrichen werden.

Erwerben Sie sich durch Besprechung dieser Angelegenheit neue Verdienste um die reisende Menschheit, der von Reichswegen Manches jetzt zugestanden werden kann!

Ein orientirungslustiger Vielreisender.




Ein ägyptisches Wunder. „Mose hob den Stab auf und schlug in’s Wasser und alles Wasser im Strome ward in Blut verwandelt.“ 2. Buch Mose, Cap. 7, V. 20.

Nahe bei Kahla in Thüringen findet man auf dem Grunde eines Teiches zur Zeit einige quadratellengroße rothaussehende Stellen, während das sie umgebende, ein bis zwei Ellen tiefe Wasser völlig klar ist. Werden die auf dem Boden befindlichen Pflanzen (Sumpfschachtelhalm) mit einem Stocke in Bewegung gebracht, so steigen alsbald rothe Wolken im Wasser empor, die sich ausbreiten und der Wassermenge ringsum rasch eine rosenrothe Färbung verleihen. Ein Tropfen dieses röthlich gefärbten Wassers zeigt unter dem Mikroskop Tausende von länglich-runden blaßröthlichen Infusorien, die noch nicht ganz die Größe der Blutkörperchen haben und sich schwimmend fortbewegen.

Bleibt derartiges Wasser einige Zeit in einem Glase stehen, und haben sich die mikroskopischen Thierchen, wie es bald geschieht, an irgend einem Pflanzenreste oder Schlammtheilchen angesammelt, dann erscheinen sie unter dem Mikroskop in der Dichtigkeit der Blutkörperchen im Blut.

Dr. B. Hirsch.




Berichtigung. Zu dem in der vorigen Nummer unseres Blattes mitgetheilten Liede, „Abschied“ von Hoffmann von Fallersleben, haben wir berichtigend hinzuzufügen, daß dasselbe, wie uns von mehreren Seiten geschrieben wird, bereits vor Jahren in dem Capellmeister Herrn Wilhelm Tschirch in Gera seinen Componisten gefunden hat und in dieser Composition schon in mehrere Liedersammlungen übergegangen ist. Die irrthümliche Mittheilung, daß Hoffmann’s „Abschied“ noch nicht componirt worden, machten wir auf Grund einer Zuschrift des Einsenders jenes Liedes.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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