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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

„Mit Verlaub, meine Gnädigste!“ rief er in schneidenden Tönen der jungen Frau zu, als sie sich im Vorübergehen bückte, um eine kleine, in den Sammetrasen verirrte Karthäusernelke zu pflücken. „Heute werden keine Orchideen oder sonstiges Unkraut für Rußland gesammelt!“

Mainau fuhr mit dunkelrothem Gesichte herum – er hatte vielleicht eine scharfe Replik für den Hofmarschall auf den Lippen – aber nach einem Blicke auf die junge Frau, die so „hochmüthig schweigend“ und gelassen die kleine, rothe Blume in den Gürtel steckte, zuckte er wie in grollender Ungeduld die Achseln und nahm, rasch weitergehend, das unterbrochene Gespräch mit der Herzogin wieder auf.

Der Parktheil, in welchem das köstliche Schönwerther Obst gezogen wurde, lag neben dem indischen Garten, im Schutze der Berge, deren glückliche Gruppirung es möglich machte, in kühler, spröder Zone ein Stück indischer Wunderwelt am Leben zu erhalten. Die concentrirten Sonnenstrahlen, die hier, unbehelligt von Nord- und Weststürmen, den Schaft der Bananen hoch in die Lüfte trieben, reiften auch Prachtexemplare von Pfirsichen, die empfindlichsten Trauben- und Obstsorten an Spalieren und Cordons und auf den Pyramidenstämmchen, die gruppenweise in weiten Rasenflächen standen. Die Anlagen, die allerdings mehr den Gaumen, als das Auge reizten, liefen schließlich in den Wald aus – selbstverständlich nicht sofort in die uralte, prächtige Wildniß, wie sie tiefer hinein und höher hinauf mit ihrem wirren Gestrüppe und Unterholze nur einer Fahrstraße widerwillig Raum gab – eine bedeutende Strecke noch schlängelten sich die hellen saubergehaltenen Linien der Fußwege um die Stämme, und unter der ersten Ahorngruppe breitete sich eine weite, kühlbeschattete Kiesfläche hin.

Auf dieses Kiesrund sah auch die Giebelseite des sogenannten Jägerhäuschens. Es war ein hübscher kleiner Bau aus Ziegelsteinen mit blanken Fenstern und den obligaten Hirschgeweihen auf dem Dache und konnte gewissermaßen als eine Station zwischen dem Schlosse und dem eigentlichen, zur Schönwerther Herrschaft gehörigen Forsthause gelten, das, über eine halbe Wegstunde entfernt, tief und einsam im Walde lag. In diesem Häuschen war ein Jägerbursche mit den Jagdhunden einquartiert; Mainau’s reicher Gewehrschrank stand unter seiner Controle, und bei Festivitäten figurirte er in Galauniform als Jäger des Herrn Barons.

Sollte ein wenig Idylle gespielt werden, dann verlegte man sie unter die Ahorngruppe vor dem Jägerhause – es war einer der lieblichsten Punkte von Schönwerth; man athmete unverfälschte Waldluft und sah doch den farbensprühenden Hindutempel inmitten einer fremdartigen Vegetation herüberschimmern, während sich fern die Zinnen und Mosaikdächer des Schlosses in mittelalterlicher Romantik über den köstlichen Baumschlag der vorderen Parkpartien malerisch erhoben.

Bei solchen Festen mit ländlichem Anstriche functionirte auch niemals der Schloßkoch in Person – da stand Frau Löhn am schneeweißen Kachelherde des Jägerhäuschens und kochte den Kaffee. Das war seit Jahren hergebracht, und die breitschulterige Gestalt im unsterblichen schwarzseidenen Staatskleide durfte unter der Thür des Hauses so wenig fehlen, wie die kläffenden oder faul in den Sand hingestreckten prächtigen Rüden. … Das ernsthafte Gesicht unter der Haube mit den stereotypen schottischen Bändern lachte zwar niemals, und der „Hofknix“ fiel stets zum Erbarmen aus; aber der Kaffee war delicat und Alles, was aus den Händen der Frau kam, so sauber und appetitlich auf köstlichem Weißzeuge geordnet, daß man ihr herbes, mürrisch trockenes Wesen stillschweigend mit in den Kauf nahm.

War es heute schwüler als sonst in der kleinen Küche, oder hatte ihr das Arrangement viel zu schaffen gemacht – die Frau sah echauffirt aus, und wäre es bei diesem ausgesprochen harten Charakter nicht fast undenkbar gewesen, man hätte meinen mögen, sie habe geweint, so fieberhaft glimmend lagen die Augen unter der stark gewölbten Stirn.

„Sind Sie krank, liebe Löhn?“ fragte die Herzogin leutselig.

„Ei, beileibe nicht, Hoheit! Danke unterthänigst für gnädige Nachfrage – frisch und gesund, wie ein Fisch im Wasser!“ versetzte sie fast erschrocken mit einem raschen Seitenblicke nach dem Hofmarschall. … Sie brachte eine Anzahl weißer, feingeflochtener Weidenkörbchen, die von den kleinen Prinzen sofort mit Beschlag belegt wurden. Der Kaffeetisch blieb für den ersten Moment verödet; die Kinder stürmten in die Obstplantage, und in ehrerbietiger Entfernung stand der Schloßgärtner und sah in stiller Verzweiflung zu, wie die kleinen Vandalen ohne Auswahl und Schonung die aufopfernd gehegten und gepflegten Spaliere plünderten und das feine Obst polternd in die Körbe warfen.

Der Hofmarschall hatte sich auch hinüberrollen lassen – es mußte gehen, der klägliche Eindruck seiner Hülflosigkeit mußte verwischt werden, und sollte es unter tausend Martern geschehen. Er erhob sich und stelzte ein großes, üppig belaubtes Weinspalier entlang, das bis an das Drahtgitter des indischen Gartens lief. Wirklich glückte es ihm, zu Fuße und in ziemlich strammer Haltung den Kaffeetisch wieder zu erreichen, an welchem sich die Herzogin eben niedergelassen hatte. Mit eitlem Lächeln überreichte er ihr in einem der Körbchen mehrere von ihm selbst abgeschnittene Frühtrauben – aber das Lächeln erlosch plötzlich; er wurde roth vor Schrecken.

„Mein Ring!“ rief er aufgeregt; er warf hastig das Körbchen auf den Tisch und besah den dünnen Zeigefinger seiner Rechten, an welchem vor wenigen Minuten noch ein kostbarer Smaragd gefunkelt hatte.

Alle, mit Ausnahme der Herzogin, sprangen auf und suchten. Der Ring, „der immer so fest gesessen, hatte,“ wie der Hofmarschall klagend versicherte, war von dem mager gewordenen Finger jedenfalls beim Traubenpflücken niedergeglitten und zwischen dem Weinlaube versunken – aber wie aufmerksam man auch suchte, er fand sich nicht.

„Das Schloßgesinde wird später unter meiner speciellen Aufsicht das Suchen fortsetzen,“ sagte Mainau, an den Tisch zurückkehrend – aus Etiquetterücksichten mußte dieses fatale Intermezzo endlich abgekürzt werden.

„Ja später – wenn er in irgend einer Rocktasche rettungslos versunken sein wird,“ erwiderte der Hofmarschall mit einem finstern Lächeln. „Traue Einer den Domestiken! Sie verkehren hauptsächlich an diesem Weinspalier – der Hauptweg läuft ja vorüber. … Hoheit mögen verzeihen, wenn mich die Sache ein wenig alterirt!“ wandte er sich bittend an die Herzogin. „Aber der Ring ist mir sehr werthvoll als ein seltsames Vermächtniß Gisbert’s. Wenige Tage vor seinem Tode übergab er mir denselben in Gegenwart von Zeugen, wobei er die Worte niederschrieb: ‚Vergiß nie, daß Du den Siegelring am zehnten September erhalten hast!‘ – Er hat ihn mir speciell vererben wollen, und Das rührt mich bis auf den heutigen Tag. … Hoheit wissen, daß ich mit diesem Bruder nicht harmonirt, daß ich im Gegentheil seinen stürmischen, gegen die Moral verstoßenden Lebensgang stets entschieden verurtheilt habe – aber mein Gott, das Herz behauptet doch seine Rechte. Ich habe ihn trotz alledem lieb gehabt, und deshalb würde mich der Verlust tief schmerzen –“

„Abgesehen von dem wirklich fabelhaft hohen Werthe des Steines selbst,“ warf Mainau trocken hin. Er saß bereits wieder neben der Herzogin, während die Anderen eben zurückkamen.

„Nun ja doch, in zweiter Linie allerdings – wer wollte Das leugnen?“ sagte der Hofmarschall mit affectirtem Gleichmuth – fast zugleich aber schob er mit einem Rucke – die Bewegung sah ziemlich desperat aus – seinen Stuhl mehr seitwärts; von da aus konnte er die ganze Wegstrecke an dem verhängnißvollen Spalier überwachen. – „Der Smaragd ist kostbar und die Gravirung eine seltene Arbeit, eine Art Wunder. … Es ist auch ein kleines Geheimniß dabei. In der Nähe des Wappens macht sich ein feiner Punkt bemerklich – man meint, ein winziger Splitter sei von dem Steine abgesprungen; unter der Loupe aber tritt Einem scharf ausgeprägt ein schöner Männerkopf entgegen. Tief in Wachs oder feinen Lack eingedrückt, gilt dieses Siegel in meinen Augen mehr als eine Namensunterschrift.“

„Wir werden jetzt Kaffee trinken, und dann gehe ich auch mit suchen,“ sagte die Herzogin liebenswürdig. „Der interessante Ring muß sich wiederfinden.“

Frau Löhn ging inzwischen mit dem großen silbernen Kaffeebrette herum. Sie verzog keine Miene; in die eingetretene secundenlange Stille hinein knisterte ihr Seidenkleid und der Sand unter ihren kräftig ausschreitenden Füßen. Plötzlich klirrte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_140.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)