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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Machtverhältnisse, 1814, kam Holland wieder in Besitz seiner früheren Colonien, mit Ausnahme des Caps der guten Hoffnung und einiger anderer Punkte. Endlich vertauschte es 1824 seine Besitzungen auf dem asiatischen Festlande und die Insel Singapore an England gegen dessen Colonien im indischen Archipel. So wurde Holland nach unvermeidlichen, aber glücklichen Kämpfen mit den Eingeborenen die größte europäische Macht im ostindischen Archipel, und sein Colonialbesitz hier, der nur dem Englands nachsteht, bildet die Grundlage für den Wohlstand des europäischen Mutterlandes. Das gesammte Ländergebiet mit fast neunundzwanzigtausend Quadratmeilen und über dreiundzwanzig Millionen Bewohnern ist überreich an Naturproducten jeder Art, an Edelsteinen, Gold, Zinn, Eisen, vor allem an edlen Gewürzen, Zimmt, Muscaten, Nelken, Pfeffer, an Kaffee, Tabak, Opium, Betel, Thee, Reis, Zucker, Campher, an Indigo und Cochenille und den vortrefflichsten Holzarten. Und wie die Flora bietet auch die Fauna werthvolle Producte, wie Elfenbein, Thierhäute, Vögel und viele andere, so daß die Gesammtausfuhr jährlich hundert Millionen holländische Gulden übersteigt.

Was Wunder, daß die Holländer diese Colonien in hohem Werthe halten und sie fort und fort durch Tausch, Verträge und blutige Kämpfe zu verstärken und zu vergrößern suchen. Gegenwärtig sind sie auf Sumatra schwer beschäftigt, und hier kam in letzter Zeit – – „Holland in Noth“.

Sumatra, von allen Inseln auf der Erde, wenn man Neuholland ausnimmt, der Größe nach die dritte, liegt in paralleler Nähe von Malakka, fast sechs Breitengrade auf beiden Seiten des Aequators. Von ihrem auf acht- bis zehntausend Quadratmeilen geschätzten Areal besitzt Holland im Süden und an der Westküste weit über die Hälfte mit über anderthalb Millionen Bewohnern.

Das Innere von Sumatra ist größtentheils noch wenig bekannt, von vulcanischen, in einzelnen Höhen auf über zehntausend Fuß aufsteigenden Gebirge durchzogen und von wilden Stämmen bewohnt, von denen die Battas Menschenfleisch auch noch roh, wie Beefsteak à la Tartare, verschmausen. Das Klima ist in den heißen und niedrigen Küstenstrichen nicht besser, als das von Java; die Wärme variirt zwischen achtundzwanzig und dreiunddreißig, und im innern Hochlande zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Centesimalgraden. Die Westküste, von der die Holländer über drei Viertel inne haben, unterscheidet sich indeß vortheilhaft von der im Osten durch eine Reihe mehr oder weniger geschützter Häfen und Ankerplätze, von denen die unter anderthalb Grad nördlicher Breite gelegene Bai von Tappanoli groß und tief genug ist, um eine Kriegsflotte, wie die englische, aufzunehmen. Die Ostküste ist dagegen flach, nur an den Flußmündungen von mephitischen Morästen unterbrochen, und meilenweit landeinwärts unbewohnbar.

Die Mannigfaltigkeit, Fülle und Schönheit der Naturproducte ist größer als auf irgend einer andern Insel des indischen Archipels und übertrifft selbst den wunderbaren Reichthum Javas. Vor Allem ist die Vegetation an Nahrungsstoffen, edlen Gewürzen, Pflanzen- und Baumgattungen, die in technischer oder ökonomischer Weise hochgewerthet werden, überschwänglich groß. Hier blühen die Muscaten- und Cardamomwälder, hier ist seit Alters her die unerschöpfliche Urheimath der Pfeffersäcke, von andern Gewürzen und Harzen, von Kaffee, Tabak, Baumwolle u. dgl. gar nicht zu reden.

Die Menge der Holzarten ist zahllos in allen nur denkbaren Abstufungen und Uebergängen, von den leichtesten und losesten bis zu den allerhärtesten und festesten. Während das Holz der Aeschynomene-Arten kaum ein Gewicht besitzt und sich wie Hollundermark zwischen den Fingern zusammendrücken läßt, ist das verschiedener Sideroxylon-Arten so hart, fest und schwer, daß das schärfste Beil sich daran nach wenigen Hieben abstumpft, und alle sonst zerstörenden Einflüsse des Klimas und der Atmosphäre machtlos gegen dasselbe erscheinen. Dieses Eisenholz ist das vortrefflichste Material für den Schiffsbau.

Auch die Thierwelt ist hier reichlichst vertreten. Wir nennen nur die Aristokraten von uraltem Grundbesitze, den Elephanten, Tiger, Büffel, das Nashorn, den Orangutang nicht zu vergessen, der hier von den Eingeborenen schon lange vor Darwin und Vogt als Urahn und Erzvater verehrt und daher niemals getödtet wurde, weil in ihm die Seelen ihrer Voreltern wohnen sollen.

Den nördlichen Theil dieser an werthvollen Ausfuhrproducten überreichen Insel Sumatra bildet das Königreich oder Sultanat Atschin mit der Hauptstadt gleichen Namens. Auf einem Areal von etwa achthundert Quadratmeilen mit zwei Millionen Bewohnern hat es von jeher vollen Antheil an dem Productenreichthume der Insel und für die Verwerthung derselben durch die Nähe Malakka’s die günstigste Lage. Die Ausfuhr an Pfeffer allein beträgt an zweihunderttausend Picol oder eine Viertelmillion Zollcentner. Hier liegt der Hase im Pfeffer, und dies der Grund, die Besitzlust der Holländer zu reizen, die seit Kurzem in blutigen Krieg ausgebrochen ist.

Atschin ist das einzige Reich auf der großen Insel, welches eine Geschichte in unserem Sinne hat und die schon bis zur Zeit der Hedschra hinaufreicht. Es war immer unabhängig und mächtig durch Handel und mußte schon eben deswegen mit den Portugiesen und ihren Nachfolgern, den Holländern, in mehr ober minder harte und anhaltende Conflicte kommen. Bemerkenswerth ist indeß, daß nach dem Tode des mächtigsten Herrschers, Iskander Muda, 1641, vier Frauen in ungestörter Folge nacheinander achtundfünfzig Jahre, bis 1699, die Regierung führten, von denen die erste sich sogar mit einem Holländer vermählen wollte, wozu indeß die Handelscompagnie die Zustimmung versagte.

In neuerer Zeit sollen – sagen die Holländer – anhaltende Beleidigungen, Menschenraub, Grenzverletzungen, Piraterie alle friedlichen Vermittelungen vereitelt haben, und es sei ihnen nichts übrig geblieben, als am 26. März 1873 dem Fürsten von Atschin den Krieg zu erklären. Wie gewöhnlich in solchen Fällen wurde auch hier das sachliche und formale Recht auf die Interpellation eines Abgeordneten den überraschten Kammern nachträglich vom Colonial- und Kriegsminister vordemonstrirt, als die Holländer schon nach ihren ersten Angriffen im April 1873 mit einem Verlust von zweiunddreißig Officieren, unter denen auch der commandirende Generalmajor von Köhler, und über vierhundert Mann zurückgeschlagen waren, ein Verlust, der bei dem nur viertausend Mann starken Expeditionscorps schwer in’s Gewicht fällt. Und noch schwerer wiegt die Schuld der Unwissenheit und Indolenz, die das Eintreten des hier beginnenden Monsuns nicht früh genug beachtet, die ganze Expedition der größten Gefahr ausgesetzt und zu einer fluchtähnlichen Heimkehr genöthigt hat.

Die Atschinesen sind übrigens kriegerisch, groß, kräftig, heftiger und stolzer Gemüthsart und zeichnen sich vor allen übrigen eingeborenen Bewohnern Sumatras durch Intelligenz und manche Kunstfertigkeit aus. Sie sind größtentheils Mohammedaner. Die Hauptstadt Atschin ist zwar lange nicht mehr von der früheren Bedeutung, zählt aber noch immer in achttausend Häusern an dreißig- bis vierzigtausend Einwohner. Der Palast des Sultans, der „Kraton“, ist ziemlich verfallen, aber auch nicht der einzige und Hauptpalast, wie denn überhaupt der Besitz der Stadt Atschin noch in keiner Weise für die Eroberung des Landes maßgebend wäre, das sehr respectable Mittel hat, den Widerstand längere Zeit mit Erfolg fortzusetzen. Die Befestigung von Atschin, das an der äußersten Nordspitze etwa zwei und eine halbe englische Meile vom Meere entfernt liegt, beschränkt sich auf einige Schanzen und Wälle an der Küste, von denen der „Missigit“ am stärksten ist. Von den drei Mündungen des Flusses, an dem die Hauptstadt liegt, ist die mittlere zwanzig bis dreißig Fuß tief und an dreihundert Fuß breit, während die beiden andern meist ziemlich seicht sind und nur zur Regenzeit einigen Tiefgang gewähren.

Wer sich der brüsken Haltung der Holländer gegenüber Deutschland zur Zeit des letzten Krieges mit Frankreich erinnert, wird ihren Eifer erklärlich finden, die Schmach vor Atschin zu rächen und zu tilgen. Ein Credit von fünf und einer halben Million holländischen Gulden wurde dem Ministerium zur Fortführung des Krieges bewilligt. Die Küsten Atschins wurden in Blokadezustand versetzt. Von vierzehn zu vierzehn Tagen gingen aus den holländischen Häfen Truppentransporte, Waffen und Munition ab, und die holländische Armada soll an neunundzwanzigtausend Mann zählen, unter denen aber kaum dreitausend Europäer, während die Atchinesen an fünfzigtausend Krieger haben, die durch befreundete Stämme noch vermehrt werden. General van Swieten, in den Kriegen der ostindischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_137.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)