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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

kurze Pause, dann ein anderer Ruf, aber in derselben Tonfärbung. Es ist gleichsam die Begräbnißmusik für das erlegte Wild, das da in langen Reihen auf der Wildstrecke liegt. Der Jäger von Profession wird sagen: die Wildstrecke wird abgeblasen. Da liegen sie, die Capitalrothhirsche, das Damwild, die Sauen, die das Geschoß des Jägers erreicht hatte. Vor wenig Minuten noch stürzten sie geängstigt von dem lebhaften Feuer der Schützen in wilder Todesverzweiflung an den Gehegen entlang, aber der Kugeln und der Jäger waren zu viele. Nun sind ihre Leichname in einer gewissen Rangordnung nach der Vornehmheit des Wildes gestreckt. Für jede einzelne Gattung gilt ein besonderer Ruf des Jagdhorns, und nachdem dieser verstummt ist, hört man im Walde nur noch Töne, ähnlich denen, welche durch das Fällen von Kleinholz hervorgebracht werden. Der Mann, welcher auf dem Bilde vor einem feisten Hirsche kniet, ist in der That ein Holzfäller, vielleicht derselbe, der die Lappen bewegt hat. Er hält das Tempo seines Handwerkes fest, auch wenn er den Schädel mit dem Geweih abschlägt.

Ein anderes Bild! Ein Vorgang fast zu gleicher Zeit. Zur Erhaltung des Wildes ist es nöthig, daß es noch vor dem Verladen „aufgebrochen“, das heißt der Eingeweide entledigt wird. Vom Beginne der Jagd an lauern arme Bauerfrauen der Umgegend mit ihren Tragkörben, meistens die Frauen der Treiber, um das „Gescheide“ in Empfang zu nehmen. Namentlich ist ihnen das der Wildschweine erwünscht, indem sie die Gedärme derselben zum Wurstmachen verwerthen.

Nehmen wir an, daß die vor dem Korbe Knieende die Frau des Schädelabschlägers ist. Eine Zierde ihres Geschlechtes ist sie freilich nicht zu nennen, aber mit welchen Anzeichen der Freude und Dankbarkeit nimmt sie die Gabe des Försters in Empfang! Der Forstmann übt eine besondere Höflichkeit gegen das zarte und schöne Geschlecht, indem er das Geschenk selbst in den Tragkorb legt. Aber wenn die Frau achtzehn Jahre wäre, und wenn er selbst sein Herz mit in den Korb legte, etwas würde er nimmermehr mit hineingeben – die Leber des Wildes. Die gebührt ihm nach uraltem Wald- und Jagdgebrauche, und die Jäger sind die conservativsten Leute, die von solchem Herkommen nicht ablassen. Das nächste Bild läßt es unentschieden, ob die geladenen Theilnehmer der Jagd das Geweih des Wildes, das sie erlegt haben, vom königlichen Jagdherrn, vielmehr dessen Bevollmächtigen, zum Geschenk erhalten haben, wie das so die Sitte verlangt. Möglich, daß der junge Forstbeamte, der die Aufsammlung des Wildes controlirt, die auf dem Wagen liegenden Geweihe nach dem Schlosse bringen läßt, möglich auch, daß die Hirsche nicht für die Jagdbeute bereits harrender Wildhändler, sondern für die Küche des Kaisers bestimmt sind. Eines ist gewiß, daß an dem Abende der Jagd der unter Fackelschein in Begleitung seines Oberjägermeisters nach dem Schlosse zurückfahrende Jagdherr Eines mit dem geringsten Holzfäller des Waldes gemeinsam hat – einen tüchtigen Jägerappetit, für dessen Befriedigung jedenfalls der königliche Mundkoch wohl gesorgt haben wird.

Den Abend bringt die Jagdgesellschaft beim Gläserklange an fröhlicher Tafel zu. Hier schmettert die Tafelmusik der altmärkischen Ulanen. Die Fenster des sonst so ruhigen einsamen Schlosses leuchten weit in den Wald hinein. In den Wirthshäusern des Dorfes sitzt derweilen das nicht geladene Jagdpublicum, beim Biere die Ereignisse und Ergebnisse des Tages zu besprechen. Im reinsten Jägerlatein werden die seltsamsten Jagdgeschichten erzählt, die nie gedruckt werden und doch immer wieder zum Vorschein kommen. Dem Jägersmanne, der ohne Gesellschaft monatelang schweigend seine Pflicht thun muß, geht bei solcher Gelegenheit das Herz auf; sind doch diese paar Tage die einzige Zeit im Jahre, wo er alte Freunde und Gefährten von weit und breit wiedersieht, um sich dann wieder auf ein Jahr in seiner grünen Einsamkeit zu verlieren, bis zu dem Tage, wo der Kaiser wieder in Letzlingen erscheinen wird. Das ist für die Jäger und die ganze dortige Gegend eine Festzeit.




Winter im Allgäuer Hochgebirge.


(Schluß.)


Die Natur im Schneekleide. – Aufbruch zu einer Winterfahrt in die Berge. – Ausrüstung in Einödsbach. – Zwischen Schnee und Eis. – In der Wirthsstube zu Lechleiten. – Kraxen-Michel. – Winternöthen. – Die rauchenden Hochlandsschönen. – Mensch und Thier im Kampf mit dem Schnee. – Am Bodensee.


Nicht blos das Leben der Bergbewohner im Winter bietet manche originelle Eigenthümlichkeiten dar, auch die Hochgebirgsnatur zeigt in ihrem Schneekleide interessante Seiten. Eine Wanderung in die Berge und in die stillen Hochthäler mitten im tiefsten Winter gewährt unstreitig hohen Genuß, der allerdings in der Regel mit nicht geringer Anstrengung erkauft werden muß. Da es dem freundlichen Leser keine besondere Mühe verursachen wird, im gemüthlich durchwärmten Zimmer zu sitzen und dabei im Geiste eine solche Winterfahrt mitzumachen, so dürfen wir es wagen, denselben hierzu einzuladen. Allerdings wird von allen Seiten von einer solchen Schneetour abgerathen. Haushoher Schnee, unübersteigliche Schneewehen, „Gehwinden“ wie der Allgäuer sagt, sollen die Wanderung und besonders den Aufstieg zum Schrofenpaß, der auf dem Wege der projectirten Route liegt, gefährlich machen. Doch der Himmel ist so blau und rein, und die Berge glänzen in so wunderbarer Pracht, daß der Lust, in den stillen Hochgebirgswinkel einzudringen, nicht widerstanden werden kann. Pfeilschnell fliegt der Schlitten auf festgefrorner Bahn von Oberstdorf zum Dörfchen Birgsau, jenem reizend gelegenen, im Sommer von Touristen zahlreich besuchten Orte, bei welchem der Blick auf die im südöstlichen Winkel des Rappenalpenthales majestätisch emporragenden Zacken der Mädelegabel sich öffnet. Neben ihr blickt der hohe Felskoloß des Wilden Mannes auf das steile Thal hernieder. Seine Felsstirne ziert ein schimmerndes Diadem von blendendem Schnee, und unwillig scheint er sein finsteres Haupt über das frevle Beginnen der kleinen Erdenmenschen zu schütteln, welche es auch im Winter nicht unterlassen können, in das Bergheiligthum einzudringen. Von Birgsau beginnt die Fußwanderung nach Einödsbach, um daselbst den als tüchtigen Bergführer und Kletterer bekannten „Moosrainer-Sepp“ zum Mitgehn zu bewegen; denn ohne Führer im Winter die Tour über den Schrofenpaß zu unternehmen, möchte wohl Keinem anzurathen sein.

Auf dem schmalen Pfade knirscht der festgefrorne Schnee unter den Füßen. Die scharfe Winterluft beschleunigt die Schritte; bald zeigen sich die wenigen Häuser des Weilers Einödsbach, des südlichst gelegenen Wohnorts im gesammten deutschen Reiche. Die blauen Rauchsäulen, welche senkrecht in die klare Luft emporsteigen, bezeichnen die Stellen, wo die an die äußersten von erhabenen Felsgipfeln gebildete Marken des großen Vaterlandes vorgeschobenen Herdstätten liegen. Moosrainer Sepp leistete der Aufforderung Folge, trotz der in Oberstdorf und Birgsau wiederholten Prophezeiung: „Es gaht koi Mensch üb’rn Schrofen“. Die nötigen Reise-Vorbereitungen waren bald getroffen und besonders wurde nicht vergessen, ein paar tüchtige Schneereife, ein unentbehrlicher Ausrüstungsgegenstand für Hochgebirgswanderungen im Winter, mitzunehmen. Die „Wobsbilder“, wie Sepp die weiblichen Bewohner seines Hauses nannte, sorgten auch noch für eine „Buttl ächten Enzioners“, jener Branntweinsorte, mit der man nach Behauptung des Berglers alle Uebel, Seuchen und Pestilenzen beschwören kann. – Hinter Einödsbach endete bald jegliche Pfadspur, und die Schneemassen mehrten sich in dem Maße, als man in dem engen Rappenalpenthale aufwärtsstieg. Das im Sommer von Heerdengeläute und den Jodlern der Sennen belebte Thal ist nunmehr höchst einsam und still. Die ernsten weißen Berggestalten scheinen noch feierlicher und mächtiger auf das unbewohnte Thal niederzublicken. Da, wo sonst kleine Wasserfälle rauschten, hängen starre Eismassen und groteske Eiszapfen, und die dunklen Tannen beugen ihre Aeste unter schweren Schneelasten zur Erde.

Die Darstellung der Schwierigkeiten der Wanderung über den stellenweise erweichten Schnee, aus dem kaum mehr die Firste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_134.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2023)