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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die Anstalt macht in allen ihren Theilen den Eindruck der frischesten Gesundheit; Kinderkrankheiten werden auch ihr freilich nicht ganz erspart bleiben, ist doch die Wissenschaft der Fischzucht noch sehr jung; aber Vertrauen erweckend ist es, daß die unternehmenden Leiter der Anstalt selbst von dem besten Vertrauen beseelt sind.

Die Direction gedenkt die Lebensdauer einer Anstaltsforelle auf fünf bis sechs Jahre auszudehnen, will also der Anzucht eine Mast folgen lassen. Die künstliche Befruchtung der etwa erbsengroßen Eier, welche sich der Laie, durch das Wort „künstlich“ verführt, gewöhnlich sehr complicirt vorstellt, ist eine einfache Vermengung des Rogens mit der Milch und kommt dadurch zu Stande, daß man durch einen leisen Druck auf die Bauchfläche der laichfähigen Fische diese veranlaßt, die Milch oder die Eier von sich zu geben. In den feineren Vorgang bei der Verbindung beider Substanzen läßt uns die Natur absolut nicht blicken, und er wird uns ein Geheimniß sein und bleiben. Die Befruchtung gelingt, wenn ein sachkundiges Auge die gehörige Reife des Rogens vorher richtig erkannte, fast auf alle Fälle. Die Eier nehmen sofort eine glänzende blaßrothe Farbe an und man vertheilt sie dann in zartester Weise, vermittelst der Fahnen von Gänsefedern, gleichmäßig in die Bruttröge und überläßt das Geschäft der Ausbrütung dem Wasser und der Zeit. Das Wärmebedürfniß ist hierbei ein ganz geringes; die Forelle sucht auch in der Natur als sogenannter Winterlaichfisch die frischesten Gewässer hierzu auf. Der Mensch hat in der eigentlichen Brutzeit nichts zu thun, als für einen regelmäßigen Zufluß von sauerstoffreichem Wasser zu sorgen und außerdem die Feinde fernzuhalten. Unter diesen zählt merkwürdiger Weise unser Aller Freund, das Licht, zu den gefährlichsten.

In der Natur bedeckt die weibliche Forelle diejenigen Eier, welche der hinterdreinschwimmende Herr Gemahl nicht gleich auffrißt, durch Wedeln der Schwanzflossen mit Sand; wahrscheinlich lebt auch schon in ihrem Instinct das dumpfe Bewußtsein von der Lichtscheu ihrer zukünftigen Sprossen. Diese an und für sich so häßliche vaticanische Eigenschaft begründet sich ganz wie bei den Römlingen auf Furcht vor neuem jungen Leben, und so sehr wir wünschen müssen, daß das junge Licht und Leben des Geistes dem vergreisten Institut zu Rom bald vollends heimleuchten möge, ebenso sehr müssen wir hoffen, daß unser Einsiedeler Institut dem jungen Leben dauernd trotzen möge, nämlich dem vegetabilischen, welches das frische animalische bedroht. Das Licht bringt nämlich die massenhaften Samensporen im Wasser zur Entwicklung und die verschiedenartigsten Algen und Pilze ersticken, zerfressen und zersetzen das junge animalische Leben. Ein weiterer sehr gefährlicher Feind ist unreines Wasser. Der abgesetzte Schlamm befördert die Entwickelung jener gefährlichen Feinde und die Samensporen sind in ihm in viel größeren Mengen vorhanden, so daß selbst die dichteste Finsterniß, welche man durch einfache Holzdecken in den Brutkästen herstellt, nicht im Stande ist, das Uebel ganz aufzuheben. Glücklicher Weise liegen die Quellen der Anstalt sehr tief im Schiefergebirge, so daß sich das Wasser selbst nach langem Regen nicht trübt.

Nach ungefähr ein bis zwei Monaten nach der Befruchtung werden die Augen des jungen Wesens als zwei unverhältnißmäßig große schwarze Punkte sichtbar und das Leben hat begonnen; bei leisem Druck dreht das Thierchen sich in seiner gummiartigen zähen Hülle im Kreise herum. Jetzt sind die Eier am wenigsten empfindlich, und die Zeit ist gekommen, in welcher sich die Anstalt der Ueberzahl ihrer Zöglinge entledigen muß. In Holzkästen, etwa auf zwei- bis dreitausend Stück berechnet, wird das halblebendige Volk in feuchtes Moos sorgfältig verpackt und den Bestellern per Post oder Bahn zugesandt. Auf diese Weise hat man selbst von England aus embryonirte Lachseier mit Erfolg nach Australien spedirt.

Die zurückbleibenden, die eigentlichen Zöglinge der Anstalt, kriechen je nach der Temperatur des Wassers in zwei bis drei Monaten aus ihren immer dünner gewordenen Hüllen, ähnlich wie der Keim aus einer enthülsten Erbse, und es kommt ein Geschöpf zum Vorschein, welches der Nichteingeweihte eher für einen vorweltlichen Lurch, als für eine Forelle halten wird. Ein dünnes, durchsichtiges, fadenartiges Gallert mit einem großen Kopf, der eigentlich nur aus zwei Augen besteht, schwankt unbehülflich auf einem gelblichen Dottersack und müht sich mit dieser Last vergeblich vorwärts. In dieser Dotterblase hat ihm die Natur für die erste Zeit seines Lebens einen Freßkorb mitgegeben, dessen Vorrath circa vier bis fünf Wochen ausreicht. In dieser Zeit ist das junge Wesen so unbehülflich, daß jedenfalls in der Natur Abermillionen derselben zu Grunde gehen.

Nicht einmal gegen die Welle kann es sich halten und seinen zahllosen Feinden (seine liebevollen Eltern inbegriffen) ist es hülflos preisgegeben; ein einziger Elritze, dieser bubenböse Sperling des Wassers, kann in kurzer Zeit ganze Massen dieser gesuchten Nahrung vertilgen. Selbst der aufgewirbelte Sand wird ihnen schon gefährlich – ein Körnchen, das sich in die Kiemen legt, führt sehr oft den Erstickungstod herbei. Man sieht, wie erfolgreich hier die Menschenhand die Natur unterstützen und schützen kann.

Nach abermals vier Wochen hat sich die Nabel-Ernährung unmerklich in eine Freßwerkzeug-Ernährung verwandelt. Die Durchsichtigkeit, welche anfänglich dem bloßen Auge schon allerhand Beobachtungen des innern Baues, des Herzschlages etc. zuließ, hat sich verloren, und das Thierchen ist reif, nunmehr selbstständig seine Laufbahn zu beginnen. Jetzt drängen sie sich tausendweise an die künstlich hergestellten Rüsche und zeigen ihren Pflegern damit, daß sie Hunger haben und daß sie fähig geworden sind, ihr Futter selbst zu suchen. Die Quellen werden nun aus dem Bruthause in die bereits genannten Gräben geleitet und das schwärzliche, fröhlich wimmelnde Volk folgt ihnen nach. Die feine und so verschiedenartige Nahrung, wie sie das Wasser enthält und wie sie das junge Fischchen bedarf, kann ihm nur die Natur bieten. Der Mensch hat jetzt ein Vierteljahr lang nur auf Schutz gegen Krähen, Wasserratten und ähnliches Gethier bedacht zu sein; später gewöhnt man sie allmählich an das Mastfutter. Maden, Kerbthierchen, feingehacktes Pferdefleisch wird ihnen wechselsweise gereicht, bis sie sich schließlich mit bloßem Pferdefleische begnügen müssen. Es bilden sich bald sogenannte „Fresser“ heraus, welche ihre Cameraden oft an Umfang um Leibeslänge überholen. Diese gefährlichen Burschen müssen entfernt und allein gehalten werden, denn hier schont die Schwester leider den Bruder nicht. Ein einziges solches Exemplar kann nach und nach, à la Hecht, ganze Teichbevölkerungen auffressen.

Je größer nun das Völkchen wird, je weniger dicht darf es gehalten werden, was die Anstalt in den Teichen nicht unterbringt, verkauft sie als Satzforellen weiter. Die fernere Pflege ist ohne Interesse. Man hält die Jahrgänge sorgsam auseinander und füttert sie mit Pferdefleisch; zu bemerken ist nur, daß auch die Forelle in gewisser Hinsicht sich civilisiren läßt. Sie sucht bald, wie ein Hausthier, regelmäßig die Futterbänke auf und denkt nicht mehr an das gegenseitige Auffressen. Nach drei Jahren stellen die nunmehr unter die Reihe der erwachsenen Forellen aufgenommenen Fische ihre erste Lieferung an Eiern für die Anstalt. Die Männchen werden jetzt meistens ausgeschieden und verkauft, denn zur Zucht bedarf man etwa auf vierzig Weibchen ein Männchen. Man nimmt ihnen, wie es bereits mit den Eltern geschah, die Sorge für Nachkommen, vielleicht in unliebsamer, aber gewiß sehr „zuvorkommender“ Weise ab, und der Rundlauf beginnt von Neuem.

In fünf bis sechs Jahren ist die „Saat im Wasser“ zur wohlschmeckenden, gesunden Fracht herangereift und harrt blau oder in Butter ihrer endlichen Bestimmung entgegen.

Das ist, dem reichen Stoffe gegenüber in kurzen Worten das Schicksal einer Anstaltsforelle. Möchten aber auch diejenigen Zöglinge der Anstalt, welche hier nicht aufgezogen werden können, immer eine Stätte finden, daß der Absatz leicht von Statten gehe und daß die in’s Leben gerufenen Thierchen nicht frühzeitig wieder zu Grunde gehen. Und darum rufe ich den Besitzern von Seen, Teichen, Flüssen, Bächen und Quellen zu:

Saat in’s Wasser! Verwandelt Eure todten Moore in lebendige! Hier ist die Anstalt, aus der Ihr jetzt embryonirte Eier und im Frühjahre junge Satzforellen beziehen könnt. Manche Quelle, die sich jetzt miasmenträge durch das Moor dahinwindet, kann Euch zu einer silbernen werden. Ihr namentlich im Erzgebirge, die Ihr es so in der Nähe habt und dazu die schönen forellenfrischen Gewässer, eßt Euch und Euren Nachkommen nicht mit den ewigen Kartoffeln die Scrophulose an den Hals, schafft Euch eine gesündere Nahrung an, schüttet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)