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verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Unternehmen nur darauf ausging, seinen „Gründern“ Gelegenheit zu geben, sich während der dem Baue selbst vorhergehenden Schritte zu bereichern. Die höheren Eisenbahnschwindler sehen aber auf Leute solchen Calibers als Stümper herab; denn da, wo diese sich befriedigt, fast beschämt und die Nemesis fürchtend, möglichst still zurückziehen, fängt das Talent und die eiserne Frechheit jener erst an sich zu entwickeln, und zwar in einem Manöver, das vorläufig als die höchste Blüthe der Eisenbahnwissenschaft bezeichnet zu werden verdient. Es ist dies das in den Vereinigten Staaten sogenannte Credit-Mobilier-System, dessen Erfinder Oakes Ames von Boston war. Er setzte es zuerst beim Baue der Union-Pacific-Eisenbahn (von Omaha am Missouri bis Ogden am Großen Salzsee) in’s Werk und hinterließ bei seinem vor einigen Monaten erfolgten Tode über fünfzehn Millionen Dollars als Lohn seiner Erfindung, bei deren Beginne er kaum so viele Tausende besaß. Es ist dies Derselbe, der, zum Durchsetzen seiner schönen Idee in den Congreß gewählt, die bedeutendsten Männer desselben mit seinen Credit-Mobilier-Actien bestach. Um meinen Lesern das System verständlicher zu machen, will ich den Fall einer solchen Bahn erzählen, bei dem es angewendet wurde.

Im Staate Illinois wurde von Gilman nach Springfield eine hundertzwanzig Meilen lange Bahn für ein und eine halbe Million Dollars erbaut. Sie zahlte die laufenden Ausgaben und einen bedeutenden Ueberschuß zur Deckung der Zinsen des Anlagecapitals, so daß nicht einzusehen war, weshalb es nicht eine gute Speculation sein sollte. Aber nun wollen wir einmal zusehen, wie manipulirt wurde. Die ersten Faiseurs unterzeichneten für dreißigtausend Dollars Actien und zahlten darauf zehn Procent oder dreitausend Dollars. Sie bewogen Grafschaften und Städte dazu, für fünfhundertachtundneunzigtausend Dollars Actien zu zeichnen, die mit Schuldscheinen bezahlt wurden. Dann gaben sie für drei Millionen Dollars (also das Doppelte der ganzen Kosten der Bahn) erste Hypothekenscheine (Prioritätsactien) aus. Die thatsächliche Folge hiervon war, daß der Werth aller früher unterzeichneten Actien auf Nichts reducirt wurde, und ihnen für weitere Operationen ein nettes Sümmchen zur Verfügung blieb. Wie sollte man es nun anfangen, um so viel wie möglich hiervon sich anzueignen? Die Directoren oder einige derselben begaben sich nach Philadelphia, woselbst sie unter Zuziehung einiger Andern ein „Credit-Mobilier“-Geschäftchen unter dem Namen die „Morgan-Verbesserungsgesellschaft“ organisirten. Diese letztere Gesellschaft, – d. h. die Directoren, als Credit-Mobilier organisirt, – übernahm nun von denselben Personen als Directoren der genannten Eisenbahngesellschaft den Bau der Bahn und erhielt als Zahlung 1) zwei Millionen der Prioritätsactien (die übrige Million blieb für Betriebsmaterial stehn), – 2) eine Million und vierhunderttausend Dollars in Actien, – 3) fünfhundertachtundneunzigtausend in Stadt- und Grafschaftsschuldscheinen (also im Ganzen drei Millionen neunhundertachtundneunzigtausend Dollars). Darauf verpachteten dieselben Directoren die Bahn auf ewige Zeiten an die Pennsylvanische Eisenbahngesellschaft, – so daß den Actionären absolut nichts übrig blieb. Aber damit noch nicht genug, machten der Präsident und zwei Directoren, als Zwei-Dritttheil-Eigenthümer einer Steinkohlenmine, mit sich selbst als Präsident und Directoren der Eisenbahn einen Vertrag, wodurch die Bahn verpflichtet wurde, alle ihre Kohlen zu einem festgesetzten Preise von jener Mine zu kaufen und die Kohlen derselben zu einem bestimmten Preise zu verfahren.

Ich habe diesen Fall so ausführlich beschrieben, weil er als Muster für ähnliche dienen kann und weil die Thatsachen gerichtlich festgestellt wurden in einem Verfahren, das die Actionäre gegen die Directoren anstrengten und dessen Ergebniß war, daß die Handlungsweise der Directoren für Vertrauensbruch erklärt und die Bahn einem vom Gerichte bestellten Dritten (Receiver) so lange zur Verwaltung übergeben wurde, bis sie den wahren Eigenthümern zurückerstattet werden könnte. Es würde mich zu weit führen, wollte ich alle die Bahnen aufzählen, die in dem erläuterten Systeme gebaut werden. Die Ausnahmen sind so wenige, daß ich mich für berechtigt halte zu sagen: alle.

Ich habe in Vorstehendem ängstlich vermieden, Namen von Personen zu nennen, obwohl mir die Hauptunternehmer und Schwindler ebenso gut bekannt sind, wie die hiesigen und deutschen Häuser, welche sich mit dem sauberen Geschäfte abgeben, das Vertrauen ihrer Mitbürger zu mißbrauchen und die Ersparnisse fleißiger Arbeiter, ja die von Wittwen und Waisen in den Strudel hiesigen Eisenbahnschwindels zu werfen, sie, die Millionäre, um ein paar Dollars Commission zu gewinnen. Ich habe es vermieden, nicht weil ich meiner Sache nicht gewiß wäre oder persönliche Unannehmlichkeiten scheute, sondern weil ich es für unpassend halte, ein Blatt wie die Gartenlaube zum Pranger zu benutzen. Ich schrieb nicht um Verbrechen zu strafen – dafür sind die Gerichte –, sondern um, getreu der Mission der Presse, die Unerfahrenen zu warnen, sie zu warnen nicht nur vor dem fremden Verführer, sondern auch vor der eigenen Geldgier, die jeder vernünftigen Ueberlegung spottet. Wenn wahr wäre, was ihnen vorgespiegelt wird, dann würden die Eisenbahnpapiere nicht den Deutschen angeboten werden, es würden sich Käufer genug hier finden, denn für jede wohlbegründete Speculation ist Geld genug hier. Die hölzernen Schinken und gedrechselten Muscatnüsse – eine hübsche Yankee-Erfindung – wurden nicht im eigenen Lande consumirt, sondern nach den spanischen Colonien vertrieben.

New-York, im Januar 1874.
G. O.


Aus der Beamtenwelt.


Nr. 4. Der Postschein.


Am 9. März 1869 saß ich Morgens in meiner Amtsstube hinter dem Schalter und hatte alle Hände voll zu thun. Vor dem Fenster stand eine Menge von Leuten, die sich drängten und stießen, um einen Platz möglichst nahe an meinem Schiebefensterchen zu erhalten, und die in der Absicht, schnell abgefertigt zu werden, mir Rufe und Bitten zukommen ließen, welche mich nur störten und die Erledigung meiner Geschäfte verlangsamten. Ich sollte nach ihrer Ansicht zugleich Geldbriefe eintragen, Passagiere einschreiben und Francosätze in den Listen nachschlagen. Während ich in der vollsten Arbeit war, mir die Kehle heiser schrie, mir die Finger lahm schrieb und innerlich über die Rücksichtslosigkeit eines Theiles der Menschen da draußen, die nie das Warten gelernt zu haben schienen, fluchte, trat einer unserer Unterbeamten an mich heran.

„Herr Postexpedient,“ sagte er, „da draußen ist ein Herr, der Sie auf einen Augenblick zu sprechen wünscht.“

„Sagen Sie ihm,“ entgegnete ich, „daß ich augenblicklich keine Secunde Zeit zu Gesprächen übrig hätte!“

Der Unterbeamte ging hinaus und kam nach einigen Minuten zurück.

„Der Herr will sich durchaus nicht abweisen lassen; er sagt, in einem Scheine, den Sie ihm ausgestellt hätten, wäre ein Irrthum enthalten, und wenn Sie ihm nicht einen Augenblick zur Aufklärung schenken könnten, so müßte er sich bei der Oberpostdirection beschweren.“

Jeder Beamte weiß, wie entsetzlich diese Beschwerden sind. Wenn man seine Pflicht thut – und die erfüllen, Gott sei Dank! ja fast Alle –, so befindet sich der Beschwerdeführer im Unrecht und bekommt auch Unrecht; aber wie viel Schreiberei erfordert das nicht erst! Die Beschwerde geht durch alle Instanzen bis zu Demjenigen, über den die Beschwerde lautet, hinunter, zur Verantwortung etwa binnen drei Tagen. Um nicht Unrecht zu bekommen, muß man den Herren Vorgesetzten die Sache ganz außerordentlich deutlich machen und den gehorsamsten Bericht so verfassen, daß Form und Inhalt tadellos sind. Hat man sich damit auch genugsam gequält, so kann es doch Jedem begegnen, daß er im Berichte ungenaue Kenntniß dieser oder jener Bestimmung verrathen hat, und dann wehe dem Unglücklichen, gegen welchen dem Vorgesetzten ja ein ganzes Arsenal von Mahnungen, Verweisen, Geldstrafen und anderen schönen Mitteln zu Gebote steht! Kurz, das Berichten auch auf die alleralbernsten Beschwerden ist immer ein Ding, das Jeder,

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