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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

daß die Zollwächter nicht mehr vorrückten, so vermutheten sie, daß jene am Ende ihres Muthes angelangt und gesonnen seien, für jetzt in gedeckter Stellung zu verbleiben.

Nach langer Berathung beschlossen sie, ihren Weg nunmehr auf der entgegengesetzten Seite fortzusetzen. Er war zwar um ein Beträchtliches weiter, auch mußte er durch tiefen Schnee gebahnt werden, aber es blieb ihnen in der That nichts Anderes übrig, wenn sie nicht die theuren Waaren und die Verwundeten zurücklassen wollten. Aber selbst wenn sie den schwierigen Gang auf den Schneefeldern versuchten, befanden sie sich deshalb doch nicht außerhalb der Gefahr feindlicher Kugeln, denn es war nicht so dunkel, daß sich die schwarzen Gestalten nicht deutlich von der weißen Fläche abgehoben haben würden. Um das zu vermeiden, zog Jeder aus der Umhüllung, in der die Seidenwaaren staken, ein großes Leinentuch und schlug es sich in der Art eines Plaids um den Leib. So waren sie Alle weiß eingehüllt und konnten vom Schnee nur schwer unterschieden werden. Ehe sie den Marsch antraten, wurde dem Feuer noch eine Menge Nahrung zugeschleppt, damit die Grünröcke glauben sollten, sie blieben hier über Nacht und bereiteten ihnen einen Hinterhalt.

Zu einem Kampfe hätten es die Verwegenen nicht mehr kommen lassen dürfen; denn abgesehen von der Noth, die sie mit den Verwundeten hatten, waren bei dem Schneewaten Munition und Gewehre naß und unbrauchbar geworden. Die Flucht gelang ihnen, obwohl sie oft mit Sack und Pack tief in den Schnee hineinstürzten und dadurch naß und starr wurden. Auch ging ihnen auf diesem Wege mancher nothwendige Gegenstand verloren.

Endlich erreichten sie einen Thalboden und luden in einem alten Bergmannsstollen den Inhalt ihrer Bündel ab. Obwohl rings herum Schnee lag, hatten sie doch von einem Auffinden dieses Stollens durch unberufene Lauscher nichts zu fürchten. Man konnte ihre Spuren deshalb nicht entdecken, weil aus dem Stollen ein Wässerlein herausfloß, das niemals zufror, ringsherum auf mehrere Hand breit den Schnee wegleckte, keine verrätherische Kruste trug und also die Schritte Derjenigen, die in ihm selbst auf- und abwärtsgingen, Niemanden verrieth.

Aber auch den Fall angenommen, es wäre ein Unkundiger in den finsteren Schacht hineingerathen, so wäre er ohne Zweifel ertrunken oder über einen Absturz im Innern hinabgefallen. Der Stollen zieht sich nämlich zuerst eben und wagrecht in den Berg hinein, endet aber an einem sehr tiefen und breiten Schacht, der ganz und gar mit Wasser ausgefüllt ist. Wer hier nicht Bescheid weiß, kann unmöglich darüber hinwegkommen. Seitwärts an der Felsenwand liegt etwa zwei Fuß unter dem Wasser versteckt ein an Ketten wohl befestigter Baumstamm. Der Uneingeweihte sieht ihn nicht, wer ihn aber kennt, der vermag ganz gut auf ihm fortzuwaten.

Am anderen Ufer des Schachtes, welches einige Klafter weit entfernt ist, zieht sich der Stollen wieder weiter und zwar in eine sehr geräumige Höhle hinein. Diese Höhle ist vollkommen trocken, weil die aus dem Berg abtriefenden Wasser in dem Schacht ihr Bett gefunden haben. Die Höhle war also zum Aufbewahren der Päcke um so mehr geeignet, als das Weiterschaffen von da in gesicherte Unterkunftsörter als eine Kleinigkeit betrachtet werden konnte.

Noch Mancherlei wäre anzuführen von nächtlichen Schmuggelfahrten, die über den Eibsee hin veranstaltet wurden, von Kämpfen im Wald und in den hohen Felsklippen. Doch würde das Alles hier zu weit führen, und ich beschränke mich darauf, nach den Mittheilungen meines Gewährsmannes ein Bild von dem schließlichen Schicksale eines der Hauptunternehmer dieser Züge, nämlich des oben erwähnten sogenannten Duxer Neuner, zu entwerfen.

Da steht am Bergabhang ein altes Holzhaus inmitten von Feldern. Oberhalb der Zäune zieht sich ein ansehnlicher Wald, mit Felsblöcken untermischt, von Schluchten und Gräben durchzogen, hin. Es ist das eine Gegend wie gemacht für Rehe, Füchse, Hasen, Marder und – Wildschützen. Man hat von hier eine sehr hübsche Aussicht auf die hohen Kalkschrofen, aber auch die Staffage macht keinen unangenehmen Eindruck. Aus einem Felsenbrunnen sprudelte helles Wasser; zwei Kühe standen im Stalle; Schweine und Hühner trieben sich vor dem Hause herum. Dem Anscheine nach waltet hier ein glücklicher Hausstand. Die Thür ist verschlossen, aber die sichtbaren Fußtritte deuten darauf hin, daß der Bewohner oder letzte Besucher des Hauses bergauf in den Wald gegangen ist.

Nach dem Stand der Sonne muß es etwa vier Uhr Nachmittags, das heißt Melkzeit, sein. Wir werden deshalb im Schatten des blühenden Holunderbaumes nicht lange zu warten haben, bis irgend Jemand zur Bedienung des Viehes erscheint. In der That kommt hinter dem Feldsaum her ein Mann von mittlerem Alter geschritten. An der Thür angekommen, öffnet er dieselbe mit einem sogenannten Züngl und verschwindet im Hausgang. Bald darauf kehrt derselbe mit einem Melkseiher und einem mit Kleien gefüllten Geschirr zurück. Die Thiere werden gefüttert, gemolken; die schäumende Milch wird in’s Haus gebracht. Dieser Mann ist kein Anderer als der „Duxer Neuner“, der sich von seinem Geschäft zur Ruhe gesetzt und in diesem versteckten Winkel angesiedelt hat. Er ist aber unbeweibt geblieben, wie viele unserer Gebirgsbauern, die dennoch ihren eigenen Haushalt führen.

Bald darauf erscheint auf dieser Bühne ein Schicksalsgenosse, nämlich „die Kropfglocken“ in eigener Person. Welches die Beziehungen dieses Letzteren, der sich aus seinen Unternehmungen weniger erübrigt hat, zu dem klugen Ersteren waren, das werden wir sofort sehen.

„Neuner, ich möcht’ einen Hochwurzenen (Branntwein);“ sagt er zum alten Gefährten, der unter die Thür getreten ist. „Aber echt muß er sein, und das Gährfaßl darf nicht zu nah’ beim hinteren Thürl draußen (das heißt beim Brunnen) gestanden haben. Verstehst Du mich? Zahlen möcht’ ich ihn schon, zuerst aber verkosten.“

Der „Neuner“ begrüßte den Ankömmling freundlich und brachte bald ein großes mit Enzian-Branntwein gefülltes Glas. Aus diesem goß er in ein Kelchgläschen und reichte es ihm zum Versuchen.

„Doch geh’ herein!“ setzte er hinzu, „die Sonne ist heiß, und bei der Hitze könnte es leicht den Geist austreiben.“

Da ich den Leser nicht in die Dialekteigenthümlichkeiten der Leutascher einweihen kann, so berichte ich hochdeutsch und in indirecter Redeform über die stattgefundene Unterredung und ihre Folgen.

Der „Neuner“ sagte, es gehe ihm da heroben in seiner Einsamkeit recht gut. Wenn ihm die Zeit zu lang würde, ginge er in den Wald, machte Fallen, finge Füchse, Dachse, Marder und was ihm sonst unterkäme. Er hätte zwar auch ein Schießgewehr, doch das gebrauchte er nur im Nothfalle und ginge nicht gern damit aus. Denn beim Schießen würde man leicht entdeckt, und überdies hatte der Neuner mehrmals eine Ursache gehabt, sich vollständig ruhig zu verhalten und so wenig als möglich von sich sprechen zu machen, damit nicht alte Geschichten wieder aufgerührt würden. Doch löste der Einsiedler vom Wildpret so viel, als er von seiner kleinen Besitzung gewann, insbesondere vom Rauchwerk. Das trug er in’s Oberinnthal hinunter, wo er für diese Felle seine sicheren Abnehmer hatte. Damit aber, wenn er einmal in eine Untersuchung von Seiten der neugierigen Gerichte geriethe, seine Werkstätte nicht entdeckt werden sollte, so hatte er sich einen versteckten Ort für diese seine Thätigkeit ausgesucht. Dort wurde den eingefangenen Thieren die Haut abgezogen und dieselbe gedörrt. Diejenigen, welche verfrüht eingefangen wurden, räucherte er eben dort selbst, damit das Pelzwerk keinen Schaden nähme. Das Fleisch wurde von ihm in gesottenem, gebratenem oder geräuchertem Zustande gegessen. An ein Auffinden dieses Versteckes durch Späher war nach des Neuner Behauptung in keiner Weise zu denken.

„Die Kropfglocken“ wurde, wie man begreift, sehr neugierig und bat den Genossen, ihm diese absonderliche Oertlichkeit zu zeigen. Der aber wollte davon durchaus nichts wissen. Er würde, sagte er, keine ruhige Stunde mehr haben, wenn er wüßte, daß noch ein Anderer sein Geheimniß kenne, und überdies habe er gelobt, niemals irgend Jemanden in dieser Beziehung zu seinem Vertrauten zu machen.

„Die Kropfglocken“ aber antwortete ungefähr so: „Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, so finde ich es. Und ich entdecke zuversichtlich diese Gegend, wenn nicht im heurigen Jahre, so im nächsten.“

Der Neuner wußte zwar aus ihren gemeinschaftlichen Schmugglerabenteuern, daß seinem Genossen ein sehr feiner Spürsinn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_096.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)