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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Zeichnung trägt das Datum vom 3. November 1758, zeigt uns also Chodowiecki’s häusliches Leben ein paar Jahre nach seiner Verheirathung. Die Abendstunden scheinen bereits vorgerückt und des Tages Geschäfte und Sorgen allerseits erledigt. Man ruht aus, spielt, plaudert, erholt sich. Links sitzt der Künstler selbst, behaglich die Beine vor sich hinstreckend. Ich glaube, er beobachtet weniger das Kartenspiel der Frauen und Mädchen, als deren Haltung, Geberden und Mienen. Zunächst neben ihm sitzt seine junge Frau, ein interessantes Profil und einen schönen Augenaufschlag zeigend, neben dieser seine Schwiegermutter. Die beiden Damen gegenüber sind mutmaßlich seine Schwestern, und die stehende schlanke Gestalt, die uns den Rücken zuwendet und liest, ist wohl seine Schwägerin, die Frau seines nebenan sitzenden Bruders Gottfried, der etwas schläfrig dareinschaut und seinen eigenen Gedanken hingegeben scheint.

„Was ist denn“ wird vielleicht mancher unserer Leser fragen, „so vorzüglich, so außerordentlich an diesem Bilde? Haben wir nicht heutigen Tages Hunderte von Künstlern, die solche Scenen mindestens ebenso anschaulich und noch interessanter darstellen?“ Ohne Zweifel, aber an Schlichtheit und Anspruchslosigkeit der Auffassung und an Feinheit der Zeichnung bei solcher Einfachheit werden doch nur Wenige den Meister des vorigen Jahrhunderts übertreffen.

„An Feinheit der Zeichnung?“ frug mich einst erstaunt eine Dame, als ich bei einer anderen Gelegenheit mich ähnlich ausdrückte. Es stellte sich heraus, daß sie unter „feiner Zeichnung“ eine glatte, sauber gestrichelte, sorgfältig ausschattirte verstanden hatte. Ich meinte nun allerdings etwas ganz Anderes. Und was? Das möchten vielleicht auch einige Leserinnen und Leser der Gartenlaube wissen. Es ist Das nicht so leicht zu definiren, doch ich will es versuchen. Unter „feiner Zeichnung“ in höchster Potenz verstehe ich eine solche, die alle jene, oft für das ungeübtere Auge des Nichtkenners kaum bemerkbaren, feinen Formbewegungen wiedergiebt, welche sich innerhalb der größeren Formengestaltungen – als letzte und leiseste Lebensäußerung gewissermaßen des verborgenen Pulsschlages der Natur – offenbaren. Ich sage: in höchster Potenz, gebe also mittlere Potenzen zu, in denen die feine Zeichnung zwar nicht alle jene feineren Formbewegungen wiedergiebt, aber doch den wesentlichsten Theil derselben. So kann eine bloße Contourzeichnung mit Recht fein genannt werden, wenn sie alles Dasjenige giebt, was sich im Contour geben läßt. Andererseits kann eine ausgeführte Zeichnung streng und vollständig correct und dennoch nicht fein gezeichnet sein. Endlich möchte ich nicht behaupten, daß Chodowiecki in vorstehender Gruppe eine feine Zeichnung in höchster Potenz geliefert, immer aber eine Zeichnung von seltener Feinheit. Und nun Verzeihung, daß ich diese ästhetischen Spitzfindigkeiten hier herbeigezogen.

Noch sei mir gestattet, eines späteren Blattes aus dem Familienleben des Künstlers kurz zu erwähnen, für diesmal weniger wegen seines bedeutenden Kunstwerths, den es anerkanntermaßen hat, als weil es hier eine biographische Ergänzung bildet. Er nennt es: le cabinet d’un peintre. Wir sehen ihn hier als glücklichen Familienvater und als wohlsituirten Künstler. Fünf liebenswürdige Kinder bilden, mit der Mutter am Tische sitzend, eine reizende Gruppe, die der Vater, der unweit davon am Fenster sitzt, eben zu zeichnen im Begriff ist. Ich denke, er bereut es heute nicht, die kaufmännische Thätigkeit dem Künstlerberuf geopfert zu haben.

Aus dem ehemaligen Ladengehülfen ist jetzt ein weit und breit berühmter, mit gewinnreichen Arbeiten gesegneter Künstler geworden. Da überkommt ihn die Sehnsucht, einmal seine alte Mutter und seine beiden Schwestern, die er in Danzig zurückgelassen, wiederzusehen. Durften doch beide Theile ein freudiges Wiedersehn erwarten. Dreißig Jahre lagen dazwischen. Damals war eine Reise von Berlin nach Danzig ein großes gefahrvolles Unternehmen. Wie er sie angetreten, wie er feierlichen Abschied von den Seinigen genommen, wie sein Gaul ausgesehen – denn nach der Sitte seiner Zeit machte er die Reise zu Pferde – mit was für zum Theil seltsamen Leuten er zusammengetroffen, was für Quartiere er gefunden, welche kleinen Abenteuer er bestanden, wie er endlich bei dem elterlichen Hause angekommen, und wie er dort die schon erwähnten beiden Bäume, die sein Vater gepflanzt, noch frisch und kräftig vorgefunden, und schließlich von Mutter und Schwestern empfangen und liebevoll umarmt wird: das alles erzählt er in einem Tagebuch, das er nicht geschrieben, sondern auf gerade hundert Blättchen meist mit der Feder gezeichnet. Auch erzählt er von den Besuchen, die er in Danzig bei hohen Personen, beim Fürsten Primas, beim Prediger, bei angesehenen Kaufleuten, bei dem überaus schönen Fräulein Ladikowska etc. gemacht, wie er empfangen und eingeladen worden und was für Leute er portraitirt. Dieses originelle Tagebuch, das bis vor kurzem von seinen Nachkommen als Familienschatz aufbewahrt wurde und sich jetzt in der Berliner Akademie-Bibliothek befindet, der es von der letzten Trägerin seines Namens überwiesen wurde, versetzt uns recht mitten ist seine sinnige und gemüthliche Lebensanschauung, die, stets beobachtend, eine Freude darin findet, die Außenwelt mit all ihren kleinen Abwechselungen in den Charakteren und Scenen in sich aufzunehmen und künstlerisch festzuhalten.

Am Spätabend seines Lebens, bereits einundsiebenzig Jahre alt, wurde dem Meister noch die Ehre zu Theil, die höchste Kunststelle im preußischen Staate als Director der Berliner Kunstakademie, an der er viele Jahre Vicedirector gewesen, zu bekleiden. Wohl schwerlich ahnte er, als er am 7. Februar 1801 seine Augen im Tode schloß, den mächtigen Umschwung der Kunst des eben anbrechenden Jahrhunderts zur entgegengesetzten Richtung, zum Großartigen und Idealen, zur Poesie des Erhabenen in der Weltgeschichte und im Empfindungsleben der Menschenseele. – Welche Richtung den Anschauungen unserer Zeit näher liegt, ist unschwer zu entscheiden.

Lorenz Clasen.




Das Jugend-Eldorado eines großen Königs.


„Rheinsberg, das göttliche, himmlische Rheinsberg, das Eden des jungen Friedrich des Großen“, oder „die schönen, goldenen Tage von Rheinsberg“, oder auch „die Oase in der Wüste der Mark“, so könnten wir die unsere Zeichnung begleitenden Worte beginnen. Wozu? Vielleicht der größte Theil der Leser der Gartenlaube weiß längst, daß die Mark nicht so schlimm ist, wie ihr Ruf, und daß es auch im classischen Italien, dem gelobten Lande der Touristen und Enthusiasten, langweiligere und reizlosere Strecken giebt, als in der Mark, die mit ihrem Reichthum an schilfumkränzten Seen in ihren dunklen Kiefern- und sonniggrünen Buchenforsten dem Auge und Herzen mannigfache Abwechselung zu bieten im Stande ist.

So wollen wir denn mit nüchternem Verstande an Rheinsberg herantreten, ohne allen übertreibenden Touristenenthusiasmus dem Leser vorzuführen suchen, was wir gefunden, und nichts mehr, damit uns kein Vorwurf gemacht werde, dem neugierigen Wallfahrer kommender Tage mehr versprochen zu haben, als wir verantworten können.

Eine Vorliebe für jene Zeit des vorigen Jahrhunderts, in welcher der knospende Genius desselben seinen schönsten und goldigsten Jugendtraum in Rheinsberg träumte, hatte uns längst schon mit dem sehnsüchtigen Verlangen erfüllt, die Stätte zu besuchen, wo der geistvolle Fürst und Dichter in geheiligtem Bunde mit gleichgesinnten Genossen seiner Jugend, scheinbar unter der Maske der Poesie und Romantik tändelnd, sich vorbereitete zu dem ernsten großen Werke, dessen Erfüllung Europa staunen machen sollte über den kleinen „Marquis de Brandebourg“.

Ueber Neustadt an der Dosse per Eisenbahn und von dort per Omnibus über Neu-Ruppin machten wir vor zwei Jahren einen Ausflug nach Rheinsberg. In Neu-Ruppin nahmen wir einen kurzen Aufenthalt. Dort, wo bekanntlich das Regiment des Kronprinzen Friedrich stand, finden sich noch interessante Spuren seines Aufenthalts. In der alten, verwitterten, mächtigen Stadtmauer sieht man ein jetzt vermauertes Pförtchen im Stile des vorigen Jahrhunderts, einfach und edel in den Linien, durch welches Friedrich von seinem Palais aus die Stadt verließ,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_082.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)