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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

beendet, von der die Schlußworte: „Gott sei Dank, er ist eben nach der Stadt zurück!“ auch für die Herrin tiefberuhigend klangen.

Ein Bedienter kam und meldete, daß das Frühstück im Eßzimmer vorbereitet sei. Dieser Speisesaal schloß die Flucht der Gemächer, welche der Hofmarschall bewohnte; aber die Fenster lagen nach Morgen und mündeten in den weiten Schloßhof. Mit schwerfälligeren Eichenmöbeln, einer größeren Anzahl von Hirsch- und Eberköpfen an den Wänden und mächtigeren Humpen auf dem Schenktische konnte auch im wuchtigen, wildmordenden und durstigen Mittelalter kein Rittersaal ausgestattet gewesen sein, als dieser große, holzgetäfelte Raum. Aus dem einen Eckkamine knisterten Funken in den breit über das Parquet hinfließenden Morgensonnenstrahl; aber die Gluth der lodernden Scheite drang nicht weit über den Rollstuhl des Hofmarschalls und das daneben placirte, weißgedeckte Tischchen hinaus – der Saal war zu groß.

Mit den Gichtschmerzen in den Füßen des alten Herrn mußte es heute besser gehen – er hatte seinen Stuhl verlassen, stand aufrecht, allerdings auf einen Krückstock gestützt, in einem der Fenster und sah hinab in den Hof, als Liane eintrat. Sie sah seine ganze Erscheinung im Profil. Er war ein hoher, magerer Mann, der einst, wie alle Mainaus, schön gewesen sein mußte, nur mochten diese Gesichtslinien für einen Männerkopf immer ein wenig zu fein und gedrückt erschienen sein – die starke Vertiefung zwischen Stirn und Nasenwurzel, der geringe Raum zwischen Kinn und Nase, Eigenthümlichkeiten, die vor Jahren das Gesicht jedenfalls als pikant charakterisirt hatten, waren jetzt der Sitz der ausgeprägteste Malice.

Aus der halboffenen Thür des Nebenzimmers klang die kräftig lärmende Stimme des kleinen Leo; sie wirkte – sonderbar genug – angesichts der Erscheinung im Fenster, förmlich ermuthigend auf die eintretende junge Dame. … Seitwärts vom Hofmarschall, in respectvoller Entfernung, stand die Beschließerin. Sie hatte ein Buch und verschiedene Papiere – jedenfalls ein Wirthschaftsbuch sammt Belegen – in der Hand, machte aber auch einen langen Hals und bemühte sich, über die Schulter des alten Herrn in den Hof hinabzusehen. … Nicht ein Zug im Gesichte der Frau verrieth, daß sie des nächtlichen Vorfalles gedenke, als die neue Herrin an ihr vorüberglitt und mit einer höflichen Verbeugung den Hofmarschall begrüßte. Er wandte sich um und erwiderte den Gruß ritterlich und gewandt, aber auch mit sichtlicher Hast – sein ganzes Interesse schien durch irgend einen Gegenstand im Hofe gefesselt zu sein.

„Da – da sehen Sie!“ sagte er erregt zu der neben ihn tretenden jungen Dame und deutete durch das Fenster. „Diese infamen Rangen da unten haben in den neuen Anpflanzungen junge Stämme abgeschnitten – Gesindel das! … Es weiß recht gut, daß die Hetzpeitsche am Nagel hängt, seit ich zum Sitze verurtheilt bin. … Na, diesmal wenigstens wird Raoul ein Exempel statuiren – es geht ihm an den Kragen – die Anpflanzungen sind sein Werk!“

Baron Mainau mußte eben von einem frühen Morgenritte heimgekehrt sein – er trug Sporen, hatte die Reitgerte in der Hand und sah bestaubt aus. Vor ihm standen die „infamen Rangen“, ein Paar Dorfkinder, ein Knabe und ein Mädchen. Ein Feldhüter, an dem Alles verwittert schien, nur das blanke Messingschild nicht, hatte sie eingebracht und berichtete, den Knaben an der Schulter haltend, über die Missethat in den Anlagen. Aus allen Fenstern lauschten Köpfe, und der Blick eines Stallknechtes, der breitspurig und behaglich in einem Remisenthor stand, hing gespannt an der Reitgerte, die „der gnädige Herr“ während des Berichtes spielend durch die Luft pfeifen ließ. Das kleine Mädchen weinte bitterlich in die Schürze, und das jämmerlich gesenkte Jungengesicht war weiß wie eine Kalkwand.

Der Feldhüter war zu Ende; Baron Mainau schalt heftig – seine Stimme schallte herauf. Er schwang seine Reitgerte, jedenfalls in Verheißung einer kräftige Züchtigung bei einem Rückfalle, ein paar Mal drohend über den Köpfe der kleinen Delinquenten, dann zeigte er mit derselben nach dem offenen Hofthor – das Mädchen ließ seine Schürze fallen und gab Fersengeld; der Junge folgte schleunigst, und in wenigen Augenblicken waren sie unter dem Gelächter der Schloßleute um die Ecke verschwunden.

„Der Narr, der!“ murmelte der Hofmarschall wüthend und hinkte vom Fenster weg zu seinem Rollstuhle – er war in der übelsten Laune. Frau Löhn schlug die Steppdecke um seine Füße, schürte das Kaminfeuer und fragte mit monotoner Stimme nach den weiteren Befehlen des „gnädigen Herrn“, indem sie auf das Wirthschaftsbuch zeigte.

„Nichts,“ sagte er mürrisch, „als was ich bereits befohlen habe – keinen Madeira mehr drüben im indischen Hause! … Sie sind nicht bei Trost, Löhn, und müssen denken, das Geld falle mir aus dem Aermel. Warum nicht lieber gleich Wein- und Bouillonbäder? – Sie wären dazu im Stande.“

„Mir kann’s recht sein, gnädiger Herr – was geht’s mich denn an?“ versetzte die Beschließerin gleichmüthig. „Es kann mir doch sehr egal sein, ob ich Wein oder Wasser in den Löffel gieße, den ich ihr gebe. … Der neue Doctor hat einfach gesagt: ‚Sie muß Madeira bekommen –‘“

„Der Einfaltspinsel mit seiner Weisheit soll sich zum Kukuk scheren! Er hat nichts da drüben zu suchen.“

„An dem Tage, wo er Schloßdoctor geworden ist, hat’s ihm der junge Herr Baron selbst befohlen,“ referirte die Frau weiter, völlig unberührt von dem groben Ton ihres Herrn. „Er hat sie untersucht und hat mich schon zweimal gefragt – als ob ich das wissen könnte! – ob der Lähmung nicht ein Erstickungsanfall vorausgegangen wäre.“

Liane war inzwischen an den großen, runden Tisch inmitten des Saales getreten – er trug das Frühstück auf seiner Platte. Sie nahm die Kaffeemaschine vor und stand mit dem Rücken den Sprechenden zugewandt – aber sie fuhr erschrocken herum und griff nach ihrem leichten Battistkleide, ein solcher Funkenregen knisterte plötzlich vom Kamin herüber – der Hofmarschall hatte seine Krückstock mit wüthender Vehemenz zwischen die brennenden Scheite gestoßen.

„Machen Sie, daß Sie hinauskommen, Löhn!“ schalt er mit funkelnden Augen und zeigte nach der Thür. „Sie langweilen mich mit Ihrem Altweibergewäsch.“

Die Beschließerin marschirte pflichtschuldigst nach der Thür und legte die Hand derb auf das Schloß. Bei diesem Geräusch stieß er abermals heftig in die Flammen, aber er wandte das Gesicht nach der Hinausgehenden. „Löhn!“ rief er sie zurück. „Sie sind das unausstehlichste Frauenzimmer, das mir je vorgekommen ist – aber Sie haben wenigstens den einen Vorzug vor dem übrigen Schloßgesindel, daß Sie in den meisten Fällen Ihre Weisheit für sich behalten.“ … Er räusperte sich. – „Geben Sie ihr meinetwegen den Madeira fort, aber nur theelöffelweise – hören Sie? theelöffelweise! – mehr ist ihr unbedingt schädlich. … Die Besuche des Doctors aber verbiete ich hiermit ein- für allemal. Er incommodirt sie mit seinen Untersuchungen und kann ihr doch nicht helfen.“

In diesem Augenblicke scholl aus dem Nebenzimmer ein zorniger Aufschrei, dem eine Fluth von Scheltworten aus Leo’s Munde folgte – dazu hörte man den Knaben mit den Füßen stampfen.

„Holla – was ist los da drüben?“ rief der Hofmarschall. „Wo steckt denn wieder einmal diese Person, die Berger –“

„Ich bin hier, gnädiger Herr,“ antwortete die Erzieherin und trat mit gekränkter, aber dennoch demüthiger Miene auf die Schwelle. „Ich bin immer hier im Zimmer gewesen … Leo’chen war erst ganz artig, sehr artig; aber da fiel dem Gabriel eine Zeichnung aus dem Gebetbuche. Der Junge ist doch zu albern, zu dickköpfig, gnädiger Herr. Statt dem Kleinen das Blatt zu lassen, reißt er es ihm aus der Hand –“

Der kleine Leo unterbrach sie, schob sie mit kräftigen Fäusten bei Seite und stürmte herein – in jeder Hand hielt er einen Papierfetzen.

„Zu zerreißen brauchte sie es doch nicht? – war das nicht dumm, Großpapa?“ rief er ganz empört. „Ich wollte es gern haben, das Bild – das ist wahr – und Gabriel gab es mir nicht, durchaus nicht – da nimmt sie den wunderhübschen Löwen und zerreißt ihn in zwei Stücke – sieh nur her!“

„Ich mache Ihnen mein Compliment für die unvergleichliche Entscheidung, Fräulein Weisheit,“ sagte der Hofmarschall mit beißendem Sarkasmus zu der Gouvernante, die im Bewußtsein ihres Rechtes näher getreten war und nun verlegen ihre schielenden Augen wegwendete. Er nahm die Papierstücke und warf einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)