Seite:Die Gartenlaube (1874) 070.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Feststehende Abkürzungen waren sonst die Hauptwaffe der Stenographie; auch das Alt-Stolzesche System hat noch ein reich ausgestattetes Zeughaus solcher Geschosse aufzuweisen, während die Zahl solcher Abkürzungen (Sigel genannt) bei Gabelsberger nur unbedeutend ist. Bei Aufstellung dieser Kürzungen hat man keineswegs darauf zu sehen, besonders lange Wörter zu verkürzen; man sorgt vielmehr für kurze Bezeichnung solcher Wörter, welche in der Sprache jeden Augenblick vorkommen; man kürzt also die Artikel, die Hülfszeitwörter, die Fürwörter, die gebräuchlichsten Bindewörter und Verhältnißwörter.

Die runden Zahlen werden nicht nur kürzer, sondern auch übersichtlicher, unverwechselbarer geschrieben, als in der gewöhnlichen Schrift. Unsere Ziffern sind dieselben, wie sie Jedermann schreibt. Um nun die Zehner auszudrücken, setzt man der Ziffer eine kleine Null auf der Zeile bei; es ist also 10 gleich 10. Bei den Hunderten dagegen tritt diese kleine Null oben neben die Ziffer, mithin ist 100 gleich 10, 800 gleich 80. Für die Tausende dient ein oben neben die Zahl gesetztes Komma, zum Beispiel 4’ gleich 4000. Aus der Verbindung der Null und des Komma ergiebt sich dann die Bezeichnung der Zehntausende, der Hunderttausende etc.

Diese Schrift, wie wir sie in allerdings nur dürftigen Zügen geschildert haben, ist mindestens fünfmal kürzer, als die gewöhnliche Schrift, das heißt, mit ihr kann man in einer Stunde schreiben, was bei Currentschrift fünf Stunden erfordert. Für den alltäglichen Gebrauch, für jede schriftliche Arbeit, wie auch für den Briefwechsel ist sie im allerhöchsten Grade empfehlenswerth. Ich habe diese Schrift nunmehr dreißig Jahre hindurch Tag für Tag angewandt, und zwar zu den verschiedenartigsten Aufzeichnungen, auch zu philologischen Arbeiten, wo es vorkam, daß auf einer Seite drei, vier oder noch mehr Sprachen sich mischten, aber nirgends hat sie mich im Stich gelassen, selbst bei Anlegung von Listen nicht, welche nur abgerissene deutsche, lateinische, griechische und arabische Namen enthielten. Ich halte es für eine schwärmerische Ansicht, wenn man die Currentschrift vollständig durch die Stenographie verdrängen und ersetzen zu können glaubt („caviare to the general!“), aber ich meine auch, jeder Gebildete, und nun vollends gar ein Gelehrter, sollte froh sein, durch die Stenographie sich von den Fesseln und Fußangeln der lästigen und langweiligen Currentschrift frei machen zu können, um so mehr, da das Erlernen dieser so reichlich lohnenden Kunst durchaus nicht mit besonderer Schwierigkeit verknüpft ist. Das Schriftthum beider Stenographiesysteme bietet eine reiche Auswahl von Lehrmitteln, auch für den Selbstunterricht, die Jedermann leicht zugänglich sein dürften. Gelegenheit zu der allerdings erforderlichen Uebung findet sich im Gang der Geschäfte oder der Studien ganz von selbst. Nicht zum Stenographen von Fach möchten wir jeden Gebildeten machen, aber wir würden es jedem Gebildeten gönnen, sich der angenehmen Vortheile der Stenographie zu erfreuen, der einzigen sich für praktische Menschen im neunzehnten Jahrhundert noch geziemenden Schrift.

Vor Allem würde die Stenographie sich als Unterrichtsgegenstand für jede Lehranstalt mit etwas höherem Ziele eignen, sie ist, im Anschluß an den Sprachunterricht, vielfacher Erfahrung nach ein werthvolles formales Bildungsmittel, wird gerade von jugendlichen Schülern gern aufgenommen und lohnt auch bald ihren Eifer.

Karl Albrecht.




Die Geburtsstätte der „Zauberflöte“.


Wer, die enge, stets menschenüberfüllte Kärnthnerstraße in Wien verlassend, die Ringstraße und statuengeschmückte Elisabethbrücke überschreitet, gewahrt jenseits der letzteren zur rechten Seite ein weitläufiges, altes Gebäude, das die Spuren vorübergegangener Jahrhunderte deutlich an sich trägt – es ist das Starhemberg’sche Freihaus. Auf einem riesigen Flächenraume mit wahrer Raumverschwendung erbaut und seiner Bauart nach längst nicht mehr den Anforderungen modernen Geschmacks und Comforts entsprechend, mußte es in einer Zeit so reger Baulust bald die Aufmerksamkeit einer begehrlichen Baugesellschaft auf sich ziehen; so wurde das Haus denn auch zur Demolirung bestimmt, und bald werden sich an seiner Stelle neue Gebäude erheben und neue Straßenzüge dem Verkehre Raum schaffen.

Mit dem alten Freihause aber sind persönliche Erinnerungen an den großen Meister der Tonkunst verknüpft, der innerhalb jener Mauern eines seiner bedeutendsten Werke, „Die Zauberflöte“, geschaffen hat – und darum sei der nun der Vernichtung anheimgefallenen Stätte hier in weihevoller Erinnerung gedacht.

Es war im Frühlinge des Jahres 1791, als der Theaterdirector Emanuel Schikaneder an Mozart, dessen Bekanntschaft er schon vor elf Jahren in Salzburg gemacht hatte, mit der Aufforderung herantrat, eine Oper für sein Theater zu componiren, um dem etwas herabgekommenen Musentempel wieder auf die Beine zu helfen. Mozart war die Idee, eine deutsche Oper zu schreiben, hochwillkommen; hatte er ja doch selbst oft genug seine Sehnsucht nach Befreiung der deutschen Bühne von der Herrschaft der Wälschen und nach Begründung einer nationalen Oper ausgesprochen. Am deutlichsten erhellt dies aus seinem Briefe vom 21. März 1785 an den Theaterdirector und Dramaturgen Anton Klein in Mannheim; nachdem er in diesem Schreiben seinen Unwillen über die Ränke der italienischen und die mangelnde Thatkraft der deutschen Partei Ausdruck gegeben, schließt er dasselbe folgendermaßen:

„Die Idee dermalen ist, sich bei der deutschen Oper mit Acteurs und Actricen zu behelfen, die nur zur Noth singen; zum größten Unglück sind die Directeurs des Theaters sowohl als des Orchesters beibehalten worden, welche durch ihre Unwissenheit und Unthätigkeit das Meiste dazu beigetragen haben, ihr eigenes Werk fallen zu machen. Wäre nur ein einziger Patriot mit am Brette – es sollte ein anderes Gesicht bekommen! – Doch würde vielleicht das so schön aufkeimende National-Theater zur Blüthe gedeihen, und das wäre ja ein ewiger Schandfleck für Deutschland, wenn wir Deutsche einmal mit Ernst anfingen deutsch zu denken – deutsch zu handeln – deutsch zu reden und gar deutsch – zu singen! – Nehmen Sie nur nicht übel, mein bester Herr geheimer Rath, wenn ich in meinem Eifer vielleicht zu weit gegangen bin. Gänzlich überzeugt, mit einem deutschen Manne zu reden, ließ ich meiner Zunge freien Lauf, welches dermalen leider so selten geschehen darf, daß man sich nach solch einer Herzensergießung kecklich einen Rausch trinken dürfte, ohne Gefahr zu laufen, seine Gesundheit zu verderben.“

Wenn sich Mozart trotzdem anfänglich weigerte, die Musik zur Zauberflöte zu schreiben, so geschah es wegen des mangelhaften Textes, der ihm nicht zusagen wollte; die dringenden Bitten Schikaneder’s und mehr noch der mächtige Drang zum Schaffen besiegten jedoch seine Bedenken, und er willigte ein. Entscheidend für diesen Entschluß mochte wohl auch die Hoffnung auf pecuniären Erfolg eingewirkt haben; denn vom Wiener Hofe nach dem Tode des Kaisers Joseph schmählich vernachlässigt und ignorirt, in seinem Ringen nach einer festen Lebensstellung stets durch seine zahlreichen Feinde gehindert, mußte er die dargebotene Gelegenheit schon um seiner bedrohten Existenz willen ergreifen. Leider sollte er gerade in diesem Punkte um eine traurige Erfahrung reicher werden. Da in Schikaneder’s Casse die vollständigste Ebbe herrschte, wollte oder konnte Mozart keinen Anspruch auf das dazumal für die Composition einer Oper übliche Honorar von hundert Ducaten erheben, und er begnügte sich damit, daß ihm das Erträgniß von dem Verkaufe seiner Partitur an andere Bühnen zugesagt wurde. Wahrlich bescheidene Ansprüche, wenn man die Forderungen moderner Operncomponisten damit vergleicht! Und ein trauriges Merkzeichen der guten alten Zeit, daß man sich die Werke eines Künstlers wohl gefallen ließ, um den Menschen aber sich blutwenig bekümmerte. Mozart’s gutmüthige Bescheidenheit wurde schlecht belohnt, denn der biedere Schikaneder verkaufte später in aller Stille die Partitur für seine eigene Rechnung, und Mozart blieb das leere Nachsehen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_070.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)