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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

sich überhaupt bei manchen in der Umgebung des Menschen lebenden Thieren zu entwickeln, zwar bei den Insecten nicht, denn diese, mögen sie kriechen, hüpfen oder fliegen, handeln bekanntlich alle mit grenzenloser Gewissenlosigkeit, wohl aber kann man zum Beispiel bei einem guten Hunde dergleichen oft beobachten.

Mafuca giebt sich natürlich, auch wenn sie allein mit Membrole ist, solchen Betrachtungen nicht hin; in solchen Stunden gehen ihre Beschäftigungen fort, nur in gemäßigterem Tempo. Das Verzehren der Carotten, deren äußere Hülle sie sehr sorgfältig abschält, kann sie sehr lange beschäftigen. Ich selbst sah früher einmal einen Knaben, meinen Neffen, mit den Kniekehlen am Reck, also mit dem Kopfe nach unten hängend, ganz gemüthlich sein Vesperbrod verzehren. Es hat mich daher gar nicht gewundert, als ich Mafuca in ähnlichen Stellungen ihre Carotten bearbeiten sah, ja ich halte das bei ihren Anlagen dazu für ihre Schuldigkeit, und wenn sie dadurch etwas aufgehalten wird – nun, für sie ist Zeit noch nicht Geld.

Die bisher nach Europa gebrachten Schimpanses waren, so viel ich mich erinnere, alle von der Westküste Afrikas nördlich vom Aequator, Mafuca aber stammt aus der Gegend südlich vom Gleicher, ungefähr aus der Gegend, von wo aus die neueste deutsche Expedition das innere Afrika zu erreichen sucht. Vielleicht hängt ihr schwarzes Gesicht auch mit dieser anderen Herkunft zusammen. Es ist schade, daß, obgleich Mafuca offenbar jetzt kerngesund ist, doch selbst im glücklichsten Falle keine Aussicht ist, sie länger als einige Jahre am Leben zu erhalten. Für den Dresdener zoologischen Garten wäre auch diese kurze Lebensdauer Mafuca’s zwar schon ein großer Vortheil, aber recht folgenreiche Beobachtungen könnten doch nur gemacht werden, wenn ihre Entwickelung bis zur völligen Ausbildung verfolgt werden könnte. Gewachsen ist sie in den vier Monaten ihres Dresdener Aufenthaltes sehr merklich und jetzt, ganz aufrecht stehend, ziemlich einen Meter hoch, aber das ist, selbst in Betracht ihres Geschlechts, noch lange nicht die volle Größe eines ausgewachsenen Schimpanses. Mafuca fängt übrigens auch erst jetzt an, ihre Milchzähne zu verlieren.

Wer sich für dergleichen Thiererscheinungen interessirt, Der versäume nicht, wenn er nach Lübeck kommen sollte, das dortige naturgeschichtliche Museum zu besuchen. Dort stehen drei ausgestopfte erwachsene Gorillas und ein Schimpanse. Es graut Einem vor diesen furchtbaren Gestalten, und sind ähnliche Kerle wirklich unsere Vorfahren, dann ist es kein Wunder, daß in uns sonst so himmlischen Menschen noch ein natürlich nur ganz kleiner Rest von Bestialität zurückgeblieben ist. Denn man mag es nehmen, wie man will, der noch so genial eingefädelte und ausgeführte Krieg ist doch im Grunde nichts Anderes, als eine mit außerordentlich viel Bildung und nach einem großen Maßstabe ausgeführte – Bestialität.

L.




Die Vermittler zwischen dem Volke und seinen Vertretern.


Eine tröstliche Erscheinung steht jener Gleichgültigkeit gegenüber, mit welcher so manche Staatsbürger ihre wichtigsten Rechte betrachten, jener Theilnahmlosigkeit, welche die Bethätigung bei politischen Wahlen zum Beispiel versäumen läßt – das ist die lebendige Begier, mit welcher andererseits die Verhandlungen unserer maßgebenden Staatskörper verfolgt werden: das Volk will wenigstens wissen, bis auf das Härchen wissen, wie es von seinen Abgeordneten vertreten wird. Niemand ist heute mehr zufrieden, wenn ihm die Drahtbotschaft das Ergebniß einer hervorragenden Sitzung des Reichstages kundgiebt; kein Gebildeter begnügt sich mehr mit den bloßen Berichten und Erläuterungen der Tagesblätter über Gesetzesverhandlungen; man verschlingt das Alles wohl, aber – man nimmt es nur hin als eine Abschlagszahlung, und gespannt harrt man des nächsten Morgens, welcher den stenographischen Bericht bieten soll, an dessen verbrecherisch kleinem Drucke man sich dann mit Beharrlichkeit die Sehkraft schädigt.

Einst schätzte man den Werth eines Romans nur danach, daß er „vor Allem recht viel geschehen ließ“; erlebnißreich, Gefahr auf Gefahr heraufbeschwörend und besiegend, kurz, abenteuerlich mußte die Erzählung sein, und die beste war die, welche die meisten von ihren Helden durch Gift und Dolch, durch Feuer und Wasser vom Schauplatze ihrer Pilgerfahrt wegräumte. Und jetzt? – Eine Dorfgeschichte der alltäglichsten Art, arm an Ereignissen, reich aber an Schilderungen des innern Menschen, vermag uns mehr zu fesseln und zu rühren, als selbst der thatenreiche „rasende Roland“. In ähnlicher Weise ist man in den Naturwissenschaften in die Tiefen des Thierlebens hinabgestiegen und läßt uns in die Falten eines „Löwengemüthes“ blicken (welchen Ausdruck uns Brehm gewiß erlauben wird). Ein verwandter Zug, ein Verlangen nach Einblick in die innerste Eigenthümlichkeit ist es, welcher uns drängt, in allen Einzelzügen auch jene Männer zu belauschen, welche über das nationale Wohl und Wehe berathen und beschließen. Wir möchten alle selbst den Schall ihrer Rede vernehmen, und da wir Deutschen, selbst nach Abzug der Sondergelüstler, auch im dereinstigen neuen Reichstagsgebäude doch kaum alle Platz finden dürften, so soll im entlegensten Winkel des Vaterlandes jeder Laut, der von der Rednerbühne des Reichstages erklang, wenigstens nachhallen.

Ob nicht Manches nur gesprochen wird, weil es solchen Widerklang findet? Da Gelehrten gut predigen ist; da der Schwerpunkt der Arbeiten eines gesetzgebenden Körpers keineswegs in den öffentlichen Sitzungen, sondern in den Vorberathungen der Ausschüsse ruht; da die schönste Rede wohl schwerlich einen einzigen Abgeordneten von der Ueberzeugung abwendig macht, welche er beim Eintritte in die Versammlung fertig mitbrachte – so sind wir gar nicht abgeneigt zu glauben, daß wohl manches treffliche Wort nicht für das „Haus“, sondern nur für die Stenographen gesprochen wird, für diese Vermittler zwischen dem ganzen Volke und seinen Vertretern.

Was leistet nun ein Stenograph als Diener der Oeffentlichkeit? Ist der Mann zu seiner wichtigen Aufgabe gerüstet, wenn er seine Schnellschrift meisterlich zu üben weiß? – O nein. Den Stenographen macht die Stenographie allein nicht. Wenn er sich nicht auf einen einzelnen Zweig, zum Beispiel Parlamentsstenographie, beschränken will, so muß er an erster Stelle ein Mann von tüchtiger Bildung sein, zugleich ein Mann von Geistesgegenwart und Gewandtheit. Auf dem Felde, wo er arbeiten soll, muß er wenigstens einigermaßen zu Hause sein, sonst wird seine Arbeit immerdar mangelhaft ausfallen. Bedenkt man, daß ein ausübender Stenograph in den allerverschiedensten Gebieten selbstständige Dienste leisten soll – so wird man vielleicht zugeben, daß einem so weit gehenden Vertrauen gegenüber eine encyklopädische Ausrüstung in weitestem Umfange sehr wünschenswerth ist.

Wer da weiß, was es heißt, stundenlang mit gespanntester Aufmerksamkeit jeder Silbe eines Vortrages zu folgen, wird sich leicht ein Bild davon machen können, welch geistige Anstrengung die Arbeit des Stenographirens verlangt. Der Hörer, welcher sich nicht mehr gefesselt fühlt, läßt seine Gedanken in andere Gegenden wandern, wenn er nicht vorzieht, sich selbst auf das Wandern zu begeben. Der Stenograph aber, welchen der verehrte Redner vielleicht auf das Peinlichste langweilt, ist festgenagelt an seinem Pulte, er muß durch Dick und Dünn, über Korn und Dorn, wie weiland der arme Sünder auf der Kuhhaut. – Und umgekehrt, wenn ein einzelner Gedanke ihn fesselt, wenn er diesen weiter verfolgen, ihn ausdenken möchte – er darf nicht: „Schreib’, schreib’, schreib’!“ ruft die Stimme der Pflicht, und er – schreibt. Oder wenn der Sprecher den Kreis seiner Hörer ergreift, erschüttert, wenn er dem Gefühle in ihrer Brust beredsame, warme, begeisterte Worte leiht, daß Alles erregt aufjauchzt, dem Redner zujubelt – der arme Stenograph muß sich mühen, daß ihm im Gewirr der Erregung nicht etwa ein Wörtlein entflieht, und daß er gebührend „Bravo“ in Klammern hinter die Rede setzt, wie es sich geziemt. Noch übler ist er daran, wenn ein Redner etwa in Humor macht und die Lachmuskeln der Hörerschaft reizt – gleich dem trübselig-kindlichen Komiker darf der Stenograph keine Miene verziehen, denn niemals schreibt sich’s schlechter, als beim Lachen. Nur im Vorbeigehen wollen wir noch bemerken, daß auch die körperliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_067.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)