Seite:Die Gartenlaube (1874) 054.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Adelsfamilien, hatten schon nicht mehr über ihre Hand zu verfügen gehabt; sie waren durch Uebereinkommen der Eltern versprochen gewesen und waren fast alle vom Institute aus durch einen sehr kurzen, erklärten Brautstand in die Ehe gegangen, ja, eine derselben, eine schöne junge Dame, von welcher Liane wußte, daß sie eine tiefe Liebe zu einem Bürgerlichen im Herzen trug, hatte sich, ohne ein Wort des Widerspruchs, mit einem alternden Standesherrn verheirathet. … Unter dem Einfluß dieser Erfahrungen und Anschauungen und bestärkt durch Mutter und Geschwister, hatte sie gewähnt, daß dazu gar kein besonderer Entschluß gehöre – vielmehr ergebe er sich von selbst aus den gebotenen Verhältnissen. Magnus und Ulrike hatten sie retten wollen aus der Hölle daheim, und sie hatte sich retten lassen – nicht das mindeste Recht stand ihr zu, Mainau anzuklagen, daß er sie betrogen habe. Sie brachte ja auch nichts mit, als den guten Willen, treulich den neuen Pflichten zu leben. Wie fielen ihr jetzt die Schuppen von den Augen! Sie war für immer losgetrennt von Denen, die sie liebte, und hatte nicht die geringste Hoffnung, für dieses Aufgeben je entschädigt zu werden; ja, sie mußte sich auf eine Art Gefrierpunkt dem Manne gegenüberstellen, an den sie zeitlebens gekettet war, der ihr keine Liebe geben konnte und nichts weniger wünschte, als von ihr geliebt zu werden. … Ein ganzes, langes Leben in der Fremde ohne das Gefühl, einwurzeln zu dürfen durch gegenseitige Sympathie! …

Sie warf einen heißen Blick nach oben – er blieb in Wolken von strahlend blauem Atlas hängen. Jetzt erst sah sie, daß dieser glänzende Stoff sie umrieselte[WS 1], als schwimme sie im Aether. … Nach der bitteren Ironie, mit welcher Mainau von ihr gesprochen, mochte die Frau, die hier gewohnt, wohl ein eigensinniges Köpfchen gewesen sein, ein verzogenes Kind, das in übler Laune mit den kleinen Füßen stampfte und den zarten, verwöhnten Körper rücksichtslos hintenüberwarf, und das konnte sie hier ungestraft – unter den Füßen schwoll ein zolldicker, mit blauen Cyanen bestreuter Teppich, und in dem ganzen kleinen, üppigen Boudoir war nicht eine harte Holzkante zu sehen – Polster und weicher, gleißender Atlas, wohin man sah! … Liane öffnete ein Fenster – diese Verstorbene mußte sich in Jasminduft förmlich gebadet haben; er füllte betäubend die Luft und entströmte selbst den Gardinen und Wandbehängen. Zog nicht in diesem Augenblicke, wo die zweite Frau mit dem eigenmächtigen Oeffnen des Fensters gleichsam von diesen Räumen Besitz ergriff, „die flatternde, aus Spitzen gewobene Seele“, die auf den Engelsflügeln strenger Frömmigkeit in den Himmel zurückgekehrt sein sollte, zürnend und aufseufzend droben am Plafond hin? Wie ein Hauch, und doch bestimmt, hatte der weiche Klagelaut einer Frauenstimme Lianens Ohr berührt. Sie blieb mit zurückgehaltenem Athem stehen und horchte. Da trat das Kammermädchen ein, um zu melden, daß zur Toilette Alles vorgerichtet sei.

„Was ist das?“ fragte die junge Dame – sie war im Begriff, über die Schwelle des Nebenzimmers zu gehen, als jener eigenthümliche Klang wieder durch das Zimmer schwebte – diesmal kam er unbestritten durch das Fenster.

„Da drüben in dem Baume hängen Windharfen, gnädige Frau,“ versetzte das Mädchen.

Sie sah hinüber und schüttelte den Kopf. „Aber es rührt sich ja kein Lüftchen!“

„Vielleicht kommt es von dort her, wo die Frau seit vielen Jahren krank liegt,“ meinte sie und zeigte nach dem fern vorüberlaufenden Drahtgitter, hinter welchem ein röthlich blinkender Obelisk in die Lüfte stieg. „Ich weiß es nicht – ich bin selbst erst seit acht Tagen in Schönwerth. … Die Leute kümmern sich nicht darum, und in der Küche sagten sie nur, sie hätte das Gnadenbrod im Hause – schrecklich – sie soll nicht einmal getauft sein. … Hinter das Gitter traue ich mich nicht – ich fürchte mich vor dem großen, tückischen Ochsen, und die Bäume wimmeln von Affen – gräuliche Thiere – puh!“

Liane ging schweigend in das Nebenzimmer und überließ sich den flinken Händen der Redseligen. Diesmal rauschte und flirrte der Silberstoff um die bräutliche Gestalt her, und als sie nach einer halben Stunde im blauen Boudoir Mainau entgegentrat, da fuhr er sichtlich zurück. … Die „Hopfenstange“ verstand es, die Silberschleppe zu tragen, die „Hopfenstange“ hatte Schultern und Arme von so unvergleichlicher Schönheit, daß nur völliger Mangel an Coquetterie und ein keusches, ernstes Denken diese Vorzüge bisher achtlos unter verhüllenden Stoffen hatten verbergen mögen. … Ein Orangenblüthenkranz lag in dem hochaufschwellenden, vielverhöhnten Rothhaar – es hob sich in wuchtiger Pracht, wie mit goldfunkelndem Thau überhaucht, von den blauglänzenden Wänden des Zimmers.

„Ich danke Dir, Juliane, daß Du Deine Vorliebe für ein bescheidenes Auftreten so tactvoll unterdrückst und in meinem Hause erscheinst, wie es Deine Stellung nun einmal verlangt,“ sagte er freundlich, wenn auch nicht ohne Betroffenheit im Ton.

Sie hob die dunkelblonden Wimpern – das waren keine blassen Veilchenaugen à la Lavallière – ein Paar großer, dunkelgrauer Augensterne voll Klugheit, aber auch voll finsteren Ernstes sahen ihn fest an. „Denken Sie nicht zu gut von mir!“ versetzte sie gelassen – noch brachte sie das „Du“, das ihm so geläufig war, nicht über ihre Lippen. „Nicht aus Bescheidenheit bin ich in Rudisdorf einfach an den Altar getreten – nennen Sie es Stolz, Hochmuth, wie Sie wollen. … Ich weiß recht gut, daß verschiedene Frauen in der Rudisdorfer Marmorgalerie den Hermelin um Schultern und Schleppe tragen – ich habe auch ein Anrecht daran und werde es zu behaupten wissen. … Gerade deshalb mochte ich diese geschenkte Pracht hier,“ sie strich mit der Hand über die steife Robe, „nicht an mir leiden und durch mein Vaterhaus schleifen, von welchem uns augenblicklich kein Stein gehört. Ich meinte, das Geräusch müsse alle die Trachenberger aufwecken, die unter dem Altar in der Gruft schlafen – und ihnen ist gerade jetzt der Schlaf zu gönnen. … Hier repräsentire ich Ihren Namen und dazu gehört das Geschenk.“

Er biß sich auf die Lippen. Etwas wie eine unliebsame, zornige Ueberraschung lag in dem Blicke, der bald an dem zarten, ruhigsprechenden Munde hing, bald sich in die unerschrockenen Augen bohrte, die nicht zurückwichen.

„Nun, die Trachenberger durften getrost aufwachen,“ sagte er sarkastisch. „Ihr weltbekannter Familienstolz lebt ja fort und weiß sehr energisch aufzutreten, und das hätte sie über die leeren Truhen – die Du eben betontest – sicher getröstet.“

Sie schwieg und trat langsam und majestätisch über die Schwelle der Thür, die er mit einer fast ironisch tiefen Verbeugung öffnete. … Wie er so an ihrer Seite dahinschritt, war er ein vollkommen Anderer, als der frivole Weltmann, der sie in Rudisdorf mit einer so graciösen Leichtigkeit, als gehe es zur Tafel, an den Altar geführt – er war ein Anderer, als der kühne Bändiger der wildjagenden Rosse, der bei der Begegnung im Walde, strahlend vor Triumph, der bleichen, dahinfliehenden Fürstin nachgesehen hatte – in diesem Augenblicke kämpfte er denselben Kampf, den seine junge Frau eben durchgemacht; er bereute tief und sichtlich den Schritt, den er im Vertrauen auf die Betheuerungen der Gräfin Trachenberg gewagt – sie hatte ihm ja fälschlicher Weise eine Frau versprochen, „die er um den Finger wickeln könne“ … Noch war es Zeit, noch hatte seine Kirche das ewig bindende Wort nicht gesprochen, das jede Scheidung verneint – das Rauschen der langen, schweren Schleppe verstummte plötzlich, die junge Dame zögerte, den Fuß weiterzusetzen; sie hob die Hand, die auf seinem Arme lag – nothgedrungen hielt er den Schritt an und wandte befremdet das so nachdenklich gewordene Gesicht nach ihr; ein einziges Hinstreifen seiner Augen über ihr tieferblaßtes Antlitz mochte ihn belehren, was in ihr vorging – mit einem ausdrucksvoll spöttischen Lächeln empfing er die niedergleitende Hand, legte sie wieder auf den Arm, wo er sie augenblicklich festhielt, und schritt weiter durch das Spalier, das die festlich geschmückten Schloßleute vor der gewaltigen, erzenen Kirchenthür bildeten. … Nun denn – er war trotzalledem entschlossen, und sie ging mit ihm; aber nicht wie ein in sein Schicksal ergebenes Opferlamm – die stolze Prinzessin Großmutter in der Ahnengalerie hätte sicher nichts auszusetzen gewußt an den majestätischen Geberden der Enkelin, an dem verschlossen ruhigen Gesicht, das nicht im Entferntesten auf das beschleunigte Klopfen eines erregten Herzens schließen ließ.

Mit welchem Glanz wurde hier der Betrug in Scene gesetzt! Ein Silberreichthum, wie ihn Liane selbst in Rudisdorf, in den versunkenen Zeiten der Pracht nie gesehen, umringte und bedeckte den Altar, Hunderte von Flammen auf mattblinkenden Armen emportragend, und die Orangerie, die der alte kranke

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: umriesele
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)