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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Was Boß Tweed für die älteren gesetzteren Classen dunkler Ehrenmänner war, das war James Fisk für die jüngere Generation lebenslustiger Schwindler und Verschwender, ein Ideal, zu dem man mit Bewunderung aufblickte. Mitten in dieser glänzenden Laufbahn traf den Prinzen Erie die Hand des Schicksals schnell und unerwartet.

Es war im Anfange des Jahres 1872, als er einigen Damen seiner Bekanntschaft im „Grand-Central-Hotel“ einen Besuch abstatten wollte. Er befand sich gerade auf der großen Freitreppe des Hauses, als ein Schuß aus einem der Seitengänge auf ihn abgefeuert wurde und ihn tödtlich verwundet niederstreckte. Trotz der Bemühungen mehrerer herbeigerufener Aerzte verschied James Fisk am nächsten Tage. Der Mörder war Edward Stokes, ein New-Yorker Actienmäkler und alter Bekannter des Ermordeten. Stokes machte keinen Versuch zur Flucht, leugnete auch seine offenkundige That gar nicht und wurde demgemäß nach dem Stadtgefängnisse abgeführt, um seinen Proceß zu erwarten.

Die Affaire erregte natürlich gewaltiges Aufsehen. Im Allgemeinen bedauerte man es freilich nicht allzu sehr, daß ein Mann von Fisk’s Charakter und verderblichem Einflusse aus dem Wege geräumt worden war; aber die Art seines Todes erschien eben doch nicht viel anders als gemeiner Meuchelmord, und da überdies nach seinem Tode die Erinnerung an seine besseren Eigenschaften, namentlich in New-York, stark in den Vordergrund trat, so wandte sich die öffentliche Stimmung bald gegen Stokes, und man erwartete allgemein, daß er als Mörder ersten Grades sein feiges Verbrechen mit dem Tode büßen werde. Es sollte aber ganz anders kommen. Der Proceß begann, und da an der Thatsache der Tödtung Fisk’s durch Stokes nichts abzuleugnen war, so griff die Vertheidigung zu dem Mittel, zu beweisen, Stokes habe die That nur gezwungen, in Selbstvertheidigung seines von Fisk bedrohten Lebens begangen. Ersterer hatte früher in freundschaftlicher Geschäftsverbindung mit dem Getödteten gestanden; später war eine Spannung zwischen Beiden eingetreten, die endlich in förmliche Feindschaft ausartete.

Man versuchte jetzt zu beweisen, Fisk habe seinem ehemaligen Genossen nach dem Leben getrachtet, er habe geschworen, ihn finanziell zu ruiniren, ja er habe Meuchelmörder gedungen, die ihm überall nachgeschlichen seien, so daß er endlich, um sich von seinem Verfolger zu befreien, in einer Anwandlung von Verzweiflung und Todesangst denselben erschossen habe. Auf diese Weise hoffte man den Mörder wenigstens vom Galgen zu retten. Die Jury ließ sich indeß nicht irre machen, sondern erklärte ihn schuldig des Mordes im ersten Grade. Er wurde als Todescandidat nach den Tombs zurückgeführt. Statt der Execution kam indeß die Bewilligung eines neuen Processes. Stokes triumphirte; er sah sich schon freigesprochen und prahlte laut damit. Diesmal schlug die Vertheidigung einen andern Weg ein. Es wurde zu beweisen gesucht, Fisk sei gar nicht an der erhaltenen Wunde gestorben, sondern an zu starken Opiaten, die ihm von seinen Aerzten gereicht worden seien. Nach langen Versuchen, diese unwahrscheinliche Geschichte glaubhaft zu machen, erschien zum zweiten Male das Verdict der Geschworenen: Schuldig des Mordes im ersten Grade, und der Richter fällte das Urtheil: Tod am Galgen. Schon war der Tag der Hinrichtung bestimmt, aber man fand auch diesmal wieder verschiedene Formfehler in den Gerichtsverhandlungen, die genügend befunden wurden, um die Sache hinauszuschieben; Wochen und Monate vergingen; Stokes war immer noch Gefangener.

Es saßen damals, im Laufe des Jahres 1873, über dreißig Mörder im New-Yorker Stadtgefängnisse, Alle ihrer Verbrechen überwiesen, ohne daß ein Einziger seine Strafe wirklich gebüßt hätte; die Idee, daß sie gehängt werden könnten, wurde sowohl von ihnen selbst wie von ihren sauberen Advocaten förmlich verspottet. Die Volksstimmung begann eine sehr erbitterte zu werden; man sprach sogar von Volksjustiz, wenn die Gerichte nicht ihre Schuldigkeit thun würden. Es mußten also wenigstens einige Opfer gebracht werden, um den Unwillen zu beschwichtigen.

Zum Glück gab es denn unter dieser Mordbande Delinquenten aus den unteren Classen, und einige von diesen wurden ausersehen, als Beruhigungsmittel zu dienen. Sie wurden gehängt. Aber Stokes war nicht unter ihnen. Er hatte Geld, Freunde und berühmte Abvocaten, die es sich zur Ehrensache machten, ihren Clienten zu retten. So erschien endlich, zum Erstaunen des Publicums, statt des Befehls zur Hinrichtung, die Bewilligung eines dritten Processes für den durch zwei Juries zum Tode verurtheilten Mörder. Und diesmal hatte man sich gut vorbereitet. Ein Gesetz war für diesen speciellen Fall in Albany durchgesetzt worden, welches bestimmte, daß ein Verbrecher nur dann des Mordes im ersten Grade überführt werden könne, wenn seine Absicht, den Mord zu begehen, als schon längere Zeit vor der That in ihm existirend, klar und unumstößlich nachgewiesen werden könne. Dies war fast gleichbedeutend mit Abschaffung der Todesstrafe.

Ferner fanden sich jetzt, fast zweiundzwanzig Monate nach der That, eine wunderbar große Anzahl Zeugen, die Alle auf’s Bestimmteste behaupteten, Fisk habe die Absicht gehabt und dieselbe positiv ausgesprochen, Stokes ermorden zu wollen. Da beschwor ein ehemaliger Polizist, die beiden Hauptbelastungszeugen hätten ihm öfters mitgetheilt, sie seien von Fisk’s Freunden gekauft worden, um gegen Stokes auszusagen. Da erschien eine Waschfrau auf dem Zeugenstand und beschwor, ein Gespräch zwischen Fisk und mehreren Damen im „Grand-Central-Hotel“ angehört zu haben, im Verlauf dessen derselbe geschworen habe, er werde den Hund Stokes niederschießen, so wahr sein Name James Fisk sei, wobei er ein Pistol zeigte, das er immer bei sich führte. Da fand sich sogar eine andere Frau, die gesehen haben wollte, wie Fisk aus dem Dameneingang des Hôtels herausgetreten und gleich darauf wieder in großer Aufregung mit einer Pistole in der Hand die große Treppe hinaufgestiegen sei; unmittelbar darauf seien zwei Schüsse gefallen. Kurz, es wurde Beweis auf Beweis gehäuft, daß Stokes eigentlich gar nichts Anderes, als der unschuldigste Mensch von der Welt sei, der sich ganz einfach gegen den auf ihn eindringenden Mörder Fisk vertheidigt habe, um sein Leben zu schützen, wobei dann unglücklicher Weise sein Schuß dem Angreifer das Lebenslicht ausgeblasen habe.

Das niederträchtige Spiel der Vertheidigung lag so klar auf der Hand, daß man erwarten durfte, es werde keinen Eindruck auf die Jury machen, zumal derselbe Richter, Davis, dem Gerichtshof präsidirte, welcher ein halbes Jahr zuvor den Vatermörder Walworth auf Lebenszeit nach Sing-Sing gebracht hatte. Allgemein war deshalb die Entrüstung, als die Geschworenen den Angeklagten nur des Todtschlags im vierten Grade schuldig fanden, und ihn so den Händen der Gerechtigkeit entrissen. Richter Davis konnte seinen Unwillen kaum verbergen, als er den Mörder nur zu vier Jahren Zuchthaus verurtheilen durfte, eine Strafe, die der dem Galgen schon Verfallene natürlich mit einer Art triumphirender Freude hinnahm.

Daß die Jury bestochen war, lag so deutlich am Tage, daß Davis drei der Geschworenen überweisen und zur Strafe ziehen konnte; aber am Urtheil war jetzt nichts mehr zu ändern, und einer der notorischsten Mörder New-Yorks wird in kurzer Zeit die Gesellschaft mit seiner Anwesenheit zieren. Edward Stokes befindet sich gegenwärtig in Sing-Sing, dem Aufenthaltsorte des Vatermörders Walworth. Als Letzterer von der bevorstehenden Ankunft seines Schicksalsgenossen hörte, schickte er ihm ein Billet, das an Frivolität und schamloser Frechheit seines Gleichen suchte. Er versprach ihm in demselben einen glänzenden Empfang im Zuchthause und hofft, daß sie angenehme Zeiten daselbst miteinander verbringen werden, bis die Stunde ihrer Erlösung schlägt. Daß diese Stunde für Beide kommen wird, ist so ziemlich außer allem Zweifel. Beide werden, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Zellen der Mörder wieder verlassen, der Eine nach Ablauf seiner Strafzeit, der Andere, wenn Freunde und Geld seine Begnadigung erwirkt haben werden. Und wer wird dann noch das Blut sehen, das an ihren Händen klebt? oder das Kainsmal, das an ihren Stirnen brennt? Die Gesellschaft, in welcher sie sich bewegen, hat für so etwas weder Auge noch Gefühl, und das Volk, die große Masse, wird sie dann im Strudel der Ereignisse vergessen haben.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)