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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Auf dem Oybin.
Nach der Natur aufgenommen von Richard Püttner.


an seinem Oybin mit aller Liebe hängt. Sein Leben ist aber auch sozusagen mit ihm verwachsen. Schon als Bambino wird der Zittauer Weltbürger im Kinderwagen nach Oybin gefahren; dorthin macht er seine ersten Marschirübungen; als fröhlicher Schüler wandert er mit seinen Kameraden singend nach der Ruine; als Jüngling begleitet er sein schmuckes Liebchen den reizenden Weg durch die wogenden Saaten, durch den schattigen Wald nach dem grünen Oybinthal. Sehr viele Brautleute lassen sich in dem kleinen Kirchlein dort trauen; als rüstiger Mann zieht der ehrbare Bürger mit Weib und Kindern nach der lieben Stätte seiner Jugenderinnerungen, und der Genesende macht nach schwerer Krankheit gewiß seine erste Ausfahrt nach dem Oybin.

Vollends eine schöne Mondnacht auf dem Oybin zuzubringen, gehört zu den Hochgenüssen der Natur. Hier oben ist die Luft noch warm und lind, wenn unten im Thal schon die kühlen Nebel streichen. Hier labt sich ein Kreis heiterer Männer an einer kühlen Bowle, deren edler Stoff aus der großen und altrenommirten Rathskellerei des wackern Onkel Schwertfeger zu Zittau stammt, und manch frohes Lied erklingt über das Thal hinüber nach dem Waldgebirge, dessen Echo den Klang dreifach zurückgiebt. Dort scherzt und kost Jugend mit Schönheit bei schäumenden Bechern. Ist dann die Nacht am Himmel aufgezogen, so geht man wohl die wenigen Schritte nach der Kirchenruine, die wie ein Phantasiegebilde, in glühendem Rothlicht erleuchtet, aus den Bäumen hervorscheint, während aus dem Innern der Kirche ein vierstimmiger Männergesang, wie einst zur Zeit der Mönche die Hora, erklingt. Inzwischen ist auch der Vollmond aufgegangen und übergießt mit seinen spielenden Lichtern Bäume, Felsen und Gemäuer. Noch einmal setzen wir uns nieder und horchen dem leisen Rauschen des Waldes unter uns zu; noch einmal erklingen die Gläser voll kühlenden Nasses, und der letzte Becher wird zur Erinnerung an die schöne Sommernacht geleert. Dann wandern wir gemeinschaftlich durch die in Silberglanz getauchten Bogen der Ruine, zwischen denen sich geheimnißvoll die Sträucher in leichtem Nachtwind wiegen, hernieder in das mondbeleuchtete Thal, aus dem uns die freundlichen Lichter in den Hütten entgegenwinken. Ein letztes Lebewohl und frohes Wiedersehen – auf dem Oybin!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_048.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)