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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die letzten Waldbäume flogen vorüber, dann ging es bergab in das Schönwerther Thal, durch Anlagen, mit denen sich der herzogliche Park nicht messen durfte. Eine Zeit lang lief ein hohes Gitter, fein wie Spinnweben, in gleicher Richtung mit dem Fahrweg; weit drinnen, von diesem durchsichtigen Drahtschleier grau verhangen, hoben sich fremdartige Wipfel in die blaue Luft; aus ungeheuren Staudenkelchen dämmerten glühende Blüthenrispen herüber, wie Korallenschnüre aus grüner Meerfluth. Dann drängte sich secundenlang eine Wand von Mimosengesträuch verdunkelnd an das Gitter – sie zerriß, und erschreckend jäh trat ein grellbemalter Hindutempel mit goldstrahlenden Kuppeln hervor; an seine breit herniedersteigende Marmortreppe klopften die bläulich durchsichtigen Wasser eines großen Weihers, und im Vordergrunde, auf dem feingeschorenen Uferrasen stand ein mächtiger Stier, die breite Stirn majestätisch nach dem vorüberrollenden Wagen gewandt. … Das war wie ein sonnengoldener, über das märchenhafte Indien hinflatternder Traum – mit dem Ende des Drahtnetzes erlosch er spurlos; da rauschten wieder ehrwürdige Linden, und die dunklen Fichten hingen greisenhaft ernst ihre langen Bärte über die jungen weißen Kleeblüthen der Wiesen.

Noch einen kühnen Bogen mitten durch uralten, dunkelnden Maßholderbusch beschrieb der Fahrweg, dann rollte der Wagen über eine freie Kiesfläche und hielt vor dem Portal des Schönwerther Schlosses.

Mehrere Lakaien in Galalivrée stürzten herbei, und der Haushofmeister in schwarzem Frack und weißer Weste öffnete unter einem tiefen Bückling den Wagenschlag … Liane war vor mehreren Jahren ungesehen Zeugin gewesen, wie der junge Förster in Rudisdorf seine Braut mit starken Armen aus dem Wagen gehoben und jubelnd in sein Forsthaus getragen hatte – hier warf der neue Eheherr dem Stallknecht die Zügel hin, trat kühlgelassen, wenn auch mit sehr verbindlicher Haltung, an den Wagen, und die linke Hand der jungen Dame zart, mit kaum fühlbarer Berührung ergreifend, half er ihr über den Tritt herab. Unter etwas festerem Druck legte er die unwillkürlich zurückschreckende Hand auf seinen Arm und führte die neue Herrin von Schönwerth über die Schwelle.

Ihr war, als betrete sie einen Dom, so gewaltig, so feierlich erhaben wölbte sich der Thorbogen über ihrem Haupte, und ein so kirchenartiges Licht fiel durch das bunte Glas der Spitzbogenfenster in die weite Treppenhalle. Diese schillernden Reflexe, die hier das Purpurgewand einer Muttergottes als rosige Fluth auf den hallenden Fußboden warfen, und dort die Palmenkuppel über der ruhenden heiligen Familie leuchtend grün an der rothen Porphyrwand herabfließen ließen, sie waren doch nur ein verfälschtes, erkaltetes Sonnenlicht; selbst der breite, die Treppen herablaufende Teppich, so weich und elastisch er sich auch dem Stein anschmiegte, vervollständigte den Eindruck eines überall absichtlich, wie in einer Abtei, festgehaltenen kirchlichen Stils – er zeigte die sprühende, überladene Farbenpracht, aber auch die steifen, geistlosen Linien des byzantinischen Geschmacks in seiner letzten Periode.

Kaum eingetreten, blieb Mainau überrascht stehen, und seine Augen richteten sich zornfunkelnd auf den Haushofmeister. Der tiefniedergeduckte Mann räusperte sich verlegen hinter der vorgehaltenen Hand – man sah, nicht um die Welt hätte er seine Augen erheben mögen, um dem Blick des Gebieters noch einmal zu begegnen. „Ich durfte nicht, gnädiger Herr,“ sagte er leise. „Der gnädige Herr Baron haben nicht erlaubt, daß die Orangerie aufgestellt wurde, und die Guirlanden mußten auch wieder abgenommen werden – von wegen der hochseligen gnädigen Frau.“

Ein Feuerstrom schoß dem Schloßherrn über das Gesicht. Mit katzenartiger, lautloser Geschmeidigkeit machten die Lakaien einen Rettungsversuch hinaus in’s Freie, die klägliche Gestalt des Haushofmeisters aber, der auf seinem Posten aushalten mußte, sank tief in sich zusammen. … Der gefürchtete Sturmausbruch beschränkte sich diesmal auf ein unbeschreiblich spöttisches Lächeln, das den Mund des schönen Mannes entstellte.

„Du siehst mich beschämt, Juliane,“ sagte er – an seiner Stimme hörte man den inneren Kampf mit dem Zorn – „Ich bin außer Stande, mich zu revanchiren. In Rudisdorf hatten wir Blumen auf dem Wege – hier trittst Du in ein ungeschmücktes Haus. Entschuldige den Onkel – diese hochselige gnädige Frau war seine Tochter.“

Er ließ ihr keine Zeit zur Antwort. Im Sturmschritt – voran der dahinstiebende, in Dienstfertigkeit ersterbende Haushofmeister und mit Kopfschütteln nachstrebend Freund Rüdiger – führte er die junge Frau die Treppe hinauf durch Prachtsäle, denen sich eine herrliche Spiegelgalerie anschloß. Liane sah sich am Arm des hohen, stolzen Mannes dahinschreiten – der Gestalt und Haltung nach gehörten sie zusammen; aber welch eine himmelweite Kluft lag zwischen den Seelen, die ein geschäftsmäßiger Vertrag, sanctionirt durch Priesterwort, heute aneinander geschmiedet hatte!

Der Haushofmeister schlug mit feierlich bedeutungsvoller Geberde die Flügel der Ausgangsthür zurück – eine Art von Schwindel ergriff die junge Frau; trotz der klafterdicken Steinwände und der imposanten Deckenwölbung war es schwül und heiß in der Galerie; die ganze Glühhitze der Julisonne fiel durch die unverhüllten Scheiben der langen Fensterreihe – und dort an der gegenüberliegenden Wand des weiten Salons loderten die hellen Flammen im Kamin. Dicke Teppichstoffe bedeckten die Wände, den Fußboden und drapirten Fenster und Thüren; auf den letzteren lagen noch besondere, hermetisch schließende, wattirte Flügel – überall sah man das ängstliche Bestreben, Wärme zu erzeugen und die äußere Luft abzuwehren, und in dieser schweren Atmosphäre, die auch noch ganze Wolken starker Essenzen erstickend füllten, saß ein fröstelnder Mann. Seine Füße, nahe an die prasselnden Holzklötze gerückt, waren in seidene Steppdecken gehüllt; ihre ganze Lage hatte etwas leblos Unbewegliches; dagegen zeigte der Oberkörper eine fast jugendlich graziöse Leichtigkeit in der Haltung. Er war im schwarzen Frack, und über der schneeweißen Halsbinde saß ein kleines, feines, kluges Gesicht, dessen kränkliche Blässe leichenhaft angehaucht wurde durch das unerquickliche Gemisch von Tageslicht und bleichgelbem Flammenschein – das war der Hofmarschall Baron von Mainau.

„Lieber Onkel, erlaube mir, Dir meine junge Frau vorzustellen,“ sagte Mainau ziemlich lakonisch, während Liane den Schleier über die Hutkrempe zurückschlug und sich verbeugte.

Die kleinen braunen Augen des alten Herrn richteten sich scharf auf ihr Gesicht. „Du weißt ja, mein lieber Raoul,“ versetzte er langsam und bedächtig, ohne den Blick von der Erröthenden wegzuwenden, „daß ich die junge Dame nicht als Deine Frau begrüßen kann, bevor unsere Kirche die Ehe sanctionirt hat.“

„Mit nichten, Onkel!“ fuhr Mainau auf. „Ich erfahre erst in diesem Augenblicke, bis zu welcher haarsträubenden Rücksichtslosigkeit Deine Bigotterie sich steigern kann, sonst würde ich wohl einer solchen Auslassung vorzubeugen gewußt haben.“

„Ta, ta, ta – nicht ereifern, bester Raoul! Das sind Glaubenssachen, und darüber streiten noble Naturen nicht,“ sagte der Hofmarschall begütigend – es war nicht zu verkennen, der schwächliche Mann mit dem geistreichen Gesichte hatte Furcht vor der drohenden Stimme des Neffen. „Einstweilen heiße ich Sie als Gräfin Trachenberg willkommen – Sie tragen einen vortrefflichen Namen,“ wandte er sich an Liane. Er reichte ihr seine Rechte begrüßend hin – sie zögerte, ihre Hand zwischen diese bleichen, schmalen, etwas verkrümmten Finger zu legen; ein zorniger Schrecken zitterte in ihr nach. Sie hatte gewußt, daß die Ehe noch einmal, am selben Tage, nach katholischem Ritus eingesegnet werden solle – die Mainaus waren Katholiken –, aber daß man die in Rudisdorf vollzogene protestantische Trauung für so vollkommen null und nichtig in diesem Hause erklärte[WS 1], das traf sie wie ein niederschmetternder Schlag.

Der alte Baron that, als bemerke er ihr Zögern nicht, und ergriff statt ihrer Hand die Spitze einer ihrer niederhängenden Flechten. „Sieh da, wie hübsch!“ sagte er galant. „Ihr alter, erlauchter Name braucht nicht genannt zu werden, sein untrügliches Wahrzeichen wird Sie überall einführen – Das hat geleuchtet, schon in den Kreuzzügen! … Nicht immer ist die Natur so zuvorkommend, den Stempel der Geschlechter in alle Generationen festzuhalten, wie bei der dicken Unterlippe der Habsburger und dem Trachenberger Rothhaar.“ – Er lächelte so verbindlich, wie man nur lächeln kann nach einer wohlgemeint ausgesprochenen Liebenswürdigkeit.

Freund Rüdiger kämpfte mit einem Hüsteln, und Mainau

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkärte
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_040.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)