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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

sehr viel abwesend sein. Das Alles wissend, haben Sie mir Juliane als ein sanftes weibliches Wesen zugesagt, das sich vortrefflich in die Stellung finden werde. … Liebe kann ich ihr nicht geben; ich bin aber auch gewissenhaft genug, in ihrem Herzen keine wecken zu wollen.“

Schmerzlich aufweinend breitete Ulrike ihre Arme aus und zog die Schwester an ihr Herz.

„Um Gott – ereifere Dich doch nicht, Raoul!“ bat eingeschüchtert die Gräfin drunten. „Du hast mich völlig mißverstanden. Wer spricht denn von einem so sentimentalen Verhältniß? Das könnte doch mir am allerwenigstem einfallen. … Ich appellirte einfach an Deine Nachsicht. Du hast ja heute selbst gesehen, wie weit dies ‚ewig Weibliche‘ in seiner Bescheidenheit gehen kann – uns einen solchen Streich zu spielen mit der Brauttoilette!“

„Lassen Sie das, Tante – Juliane kann darin handeln, wie sie Lust hat. Wenn sie sich in die Verhältnisse zu schicken weiß –“

„Dafür stehe ich ein. … Gott – es ist ja zu unsäglich traurig, es aussprechen zu müssen – aber Magnus ist eine Schlafmütze, ein Mann ohne alle Energie, eine Null, allein was ich an ihm verabscheue, das ziert seine Schwester – Liane ist ein unbeschreiblich harmloses Kind, und wenn erst Ulrike, der böse Geist meines Hauses, nicht mehr auf sie einzuwirken vermag, dann kannst Du sie um den Finger wickeln.“

„Mama ist sehr rasch in ihrem Urtheil,“ sagte Liane bitter, während die Schritte der Sprechenden drunten sich immer weiter entfernten. „Sie hat sich nie Mühe gegeben, einen Blick in mein Seelenleben zu werfen – wir waren ja zu allen Zeiten Fremden überlassen. … Warum weinst Du, Ulrike? … Wir dürfen auf den kalten Egoisten da unten keinen Stein werfen – habe ich denn mein Herz befragt, als ich meine Hand in die seinige legte? Ich habe ‚Ja‘ gesagt aus Furcht vor Mama –“

„Und aus Liebe zu mir und Magnus,“ ergänzte Ulrike mit so tonloser Stimme, als sei sie für immer gebrochen an Leib und Seele. „Wir haben Alles aufgeboten, Dich zu überreden; wir wollten Dich retten aus der Hölle unseres Hauses und sind nicht einen Augenblick im Zweifel gewesen, daß Du Liebe finden müßtest, wohin Du auch kämest – und nun wird sie Dir so systematisch verweigert. … Du, so jung –“

„So jung? … Ulrike, ich werde im nächsten Monat einundzwanzig Jahre alt; wir haben viel Bitteres und Schmerzliches zusammen verlebt – ich bin durchaus nicht das Kind an Erfahrung und Lebensanschauung, als welches Mama mich eben hingestellt hat. … Lasse mich ohne Sorge mit Mainau gehen – ich will seine Liebe nicht, und bin stolz genug, ihn darüber nie im Zweifel zu lassen. Meine Institutszeugnisse bezüglich der Sprachfertigkeit geben mir sehr viel Muth – die Baronin Mainau zieht heute in Schönwerth ein, in Wahrheit aber nur die Erzieherin des kleinen Leo. Ich habe dann einen edlen Wirkungskreis und kann vielleicht manches Gute stiften – mehr will ich nicht für mein ganzes Leben. … Lasse uns jetzt Abschied nehmen, Ulrike – bleibe hier bei Papa, während ich das Haus verlasse!“

Sie umarmte die zurückbleibende Schwester wiederholt und stürmisch, dann flog sie, ohne noch einmal die Augen zurückzuwenden, durch die Marmorgalerie hinüber in das Wohnzimmer ihrer Mutter. Dort stand Magnus am Fenster und sah nach dem Wagen, der bereits am Fuß der Freitreppe hielt; die Gräfin Trachenberg kam eben mit den drei Herren über den Schloßhof her. Es war gut, daß sie nicht sehen konnte, wie ihr Sohn, die „Schlafmütze“, der „Mensch ohne alle Energie“ bitterlich weinend die Schwester umfangen hielt – wie würde sie gezürnt haben über diesen herzzerreißenden Abschied, der „so wenig standesgemäß“ war!

Liane stieg mit festem Schritt, den Schleier über das Gesicht gezogen, die Treppe hinab. „Geh’ mit Gott und meinem Segen, liebes Kind!“ sagte die Gräfin mit theatralischer Geberde und ließ die Hand einen Moment über dem Haupt der Tochter schweben; dann hob sie den Schleier empor und berührte die weiße Stirn der jungen Frau mit kühlen Lippen.

Wenige Minuten darauf rollte der Wagen auf der Chaussee, die nach der nächsten Eisenbahnstation führte.




5.


Nach vierstündiger Fahrt stiegen die Reisenden auf dem Bahnhof der Residenz aus. Hier trat bereits das neue Leben in all seinem Glanz an die junge Frau heran. Die Equipage, die sie erwartete, um sie nach dem eine Stunde entfernten Schönwerth zu bringen, fiel auf durch das Feenhafte ihrer ganzen Ausstattung – man mußte sich sofort sagen, daß der mattsilbern schimmernde, milchweiße Atlas im Fond nur bestimmt sein könne, eine junge, verwöhnte Schönheit zu umschmiegen – das staubgraue, schlichte Reisekleid der jungen Dame, die sich still gelassen in die Ecke zurücklehnte, sah demnach fast aus wie die dürftige Hülle eines Köhlerkindes, das ein verliebter Märchenprinz im Walde aufgelesen hat und in sein Schloß entführt.

Während Herr von Rüdiger den Platz neben Liane einnahm, schwang sich Baron Mainau auf den Bock und ergriff die Zügel. Er saß stolz nachlässig droben; das von ihm beherrschte Gespann aber brauste wie tollkühn die glatte, breite Chaussee hin, die einen Theil des Parkes quer durchschnitt. … Dort blinkte der Teich auf, und über dem Fischerdörfchen kreiste ein Flug weißglänzender Feldtauben, sonst war es todtenstill und verlassen drüben. Nun lief die Fahrstraße zwischen dichtgedrängten Waldbaumriesen hin, die ihr nur widerwillig Raum gaben – hie und da ließ ein jäh vorbeifliegender schmaler Durchhau die sonnige Landschaft draußen wie einen Edelstein im Baumdunkel aufblitzen.

Da flog plötzlich, auf fünfzig Schritt Entfernung, seitwärts aus dem Dickicht eine Reiterin mitten auf die Chaussee – fast schien es, als stelle sie die heranbrausende Equipage.

„Mainau – die Herzogin!“ rief Herr von Rüdiger, erschrocken auffahrend; aber schon hemmte das herrliche Gespann, infolge einer einzigen Bewegung seines Lenkers, den rasenden Galopp und ging im Schritt. … Eine zweite Dame sprengte aus dem Walde und folgte der Herzogin. Sie kamen rasch näher. So mag man sich den über das Schlachtfeld reitenden Todesengel denken, wie diese fürstliche Reiterin im langwallenden schwarzen Gewande, unter den in den Nacken zurückgeworfenen bläulich-schwarzen Haarmassen – zu schwer, als daß sie der Windhauch zu heben vermochte – das schöne, aber gespenstig farblose Antlitz, das in diesem Augenblick selbst auf den Lippen nicht die leiseste Färbung der lebendig rollenden Blutwelle zeigte.

„Glück zu, Baron Mainau!“ rief sie mit einer stolz grüßenden Handbewegung ihm entgegen, der sich tief vor ihr neigte. Welcher Hohn lag in diesen fast schleppend langsamen, und doch so scharf accentuirten Lauten der vollen, tiefen Frauenstimme. … Hatte sie eine unvorsichtige Bewegung gemacht, oder scheute das schöne, feurige Thier, das sie ritt – genug, es trug sie plötzlich mit einem wilden Satze dicht an den Schlag des langsam vorüberrollenden Wagens.

„Bleiben Sie sitzen, Herr von Rüdiger!“ winkte sie dem Emporschnellenden herablassend zu, ohne ihn anzusehen – ihre flammenden Augen suchten vielmehr in verzehrender Unruhe den herabgelassenen Schleier der erschrockenen jungen Frau zu durchdringen – im nächsten Augenblick schon stoben die Reiterinnen wieder dahin; einige Secunden lang jagten die zwei Pferde, Leib an Leib, nebeneinander, und die geschmeidige Hofdame bog sich zu ihrer Herrin hinüber. „Diese kleine, graue Nonne ist wirklich ein Trachenberg’scher Rothkopf, Hoheit,“ rief der hübsche Mädchenmund ungenirt. Das Rädergeroll verschlang den Zuruf; aber Baron Mainau, der sich zurückgewendet hatte, sah die bezeichnende Geberde der Dame – er lächelte; Liane sah zum ersten Mal dieses stolze Lächeln des Triumphes, der befriedigten Eitelkeit, sah zum ersten Mal seine Augen in jenem Feuer aufstrahlen, das so gefährlich war. Die Ecke, in der seine junge Frau saß, hatte sein Blick nicht einmal gestreift – diese absolute Indolenz und Gleichgültigkeit war so sichtlich unbewußt, daß selbst Freund Rüdiger einsah, sie habe mit jener affectirten geringschätzenden Ruhe nichts gemein, die der schöne Mann aus Caprice oft den blendendsten Frauen gegenüber zeigte.

Die Apfelschimmel brausten wieder über die Chaussee hin, so wildtosend und schwindelnd schnell, als habe die schöne, bleiche Fürstin mit ihrem „Glück zu!“ alle Gluth in den Adern des Lenkers zur Flamme geschürt. Der Blick der jungen Frau hing an jeder seiner Bewegungen. Die Begegnung im Walde hatte plötzlich ein Streiflicht auf die neuen Verhältnisse geworfen – nun wußte sie, weshalb Mainau ihr niemals Liebe geben konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)